20. August 2010

Kurioses, kurz kommentiert: Willst du ein Liberaler sein, führ eine neue Steuer ein

Hm, sollte es nicht eigentlich eher so sein, daß Liberale für die Abschaffung der einen oder anderen Steuer eintreten, jedenfalls für die Senkung von Steuern? Nein, nicht im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland; jedenfalls nicht unbedingt.

Dort gibt es seit dem jüngsten Regierungswechsel einen liberalen Wirtschaftsminister namens John Vincent Cable, genannt Vince Cable. Dieser hat kürzlich - so ist es jetzt bei "Zeit-Online" zu lesen - der Öffentlichkeit die Idee für eine neue Steuer vorgetragen: Die Akademikersteuer.

Zahlen soll sie jeder, der im Vereinigten Königreich einen akademischen Abschluß erworben hat und der nun dort berufstätig ist. Und zwar in Höhe von, so heißt es, fünf Prozent des Einkommens.

Was da so zusammenkommt, hat schnell jemand ausgerechnet, nämlich der Verband der Hochschullehrer: Eine Lehrerin würde dann im Lauf ihres Berufslebens rund 46.000 Pfund Akademikersteuer zahlen. Dafür hätte sie knapp 29 Semester an der derzeit teuersten Universität (3225 Pfund Studiengebühren pro Jahr) studieren können.

Lehrer sind nicht gerade Spitzenverdiener; gewiß nicht im UK. Man kann sich also vorstellen, was jemand, der sein Berufsleben als gutverdienender Rechtsanwalt oder Manager verbringt, rückwirkend für sein Studium zahlen müßte.

Und zwar nicht an seine alte Alma Mater, was ja noch einen gewissen Sinn machen würde (in Form von Spenden unterstützen vor allem in den USA viele Ehemalige ihre Universität), sondern an den Fiskus.



Vielleicht mögen Sie sich dieses Video ansehen, in dem Cable seine Idee gegenüber einem Journalisten der BBC erläutert. Es ist amüsant, wie er dessen Fragen ausweicht.

Cable findet es in Ordnung - und meint sogar, daß die meisten Menschen so dächten -, daß nicht alle für dieselbe Leistung dasselbe zahlen, sondern jeder umso mehr für sein Studium berappt, je mehr er später verdient. Und zwar nicht etwa, bis er einen bestimmten Betrag zurückerstattet hat, wie beim Studiendarlehen, sondern auf unbestimmte Zeit. Nicht unbedingt - not necessarily - bis zum Ende seines Berufslebens, sagt Cable; aber auch das will er nicht ausschließen.

Eine kuriose Idee, finden Sie nicht? Wenn man sie einmal gefaßt hat, kann man sie auf das ganze Leben anwenden: Warum sollen überhaupt alle für dieselbe Leistung dasselbe zahlen?

Warum staffelt, sagen wir, die TUI nicht die Preise für ihre Reisen nach Einkommen? Auch der Friseur könnte sich seine Leistungen je nach Einkommen des Kunden bezahlen lassen, der Klavierlehrer, der Autovermieter und der Internet-Provider.

Sie meinen, das sei nicht praktikabel? Kein Problem im Zeitalter der Chipkarte. Jeder führt eine Karte, ausgegeben vom Finanzamt, mit sich, die verschlüsselt sein letztes versteuertes Jahreseinkommen enthält. Beim Bezahlen wird sie in die Kasse gesteckt wie heute die Kundenkarte; und diese ermittelt, wieviel der Kunde zu zahlen hat.

Schwierig wird es nur bei nicht personenbezogenen Leistungen und Waren; die Brötchen könnte die Ministergattin ja vom Dienstmädchen mit dessen Chipkarte bezahlen lassen.



Hirnrissig, finden Sie? In der Tat. Ebenso hirnrissig wie die Idee des Abgeordneten von Twickenham, Whitton, St Margarets, Strawberry Hill, Teddington and the Hamptons, Vince Cable, jetzt Minister für Wirtschaft, Innovation und Ausbildung.

Des liberalen Ministers Cable. Aber mit dessen Liberalismus ist das so eine Sache.

Als Student war er Mitglied der Liberalen Partei. Nach Abschluß seines Studiums verließ er sie und trat in die Labour Party ein. Als Sozialdemokrat versuchte er ab 1970 zweimal vergeblich, einen Sitz im Unterhaus zu bekommen.

1982 wechselte er erneut die Partei und trat der neugegründeten Social Democratic Party (SDP) bei, die sich mit den Liberalen verbündete, um unter dem Mehrheitswahlrecht größere Chancen zu haben. Auch für diese neue Partei kandidierter er zweimal für das Unterhaus und verlor zweimal; 1983 und 1987.

1988 dann vereinigten sich die SDP und die Liberalen zu einer einzigen Partei, und für diese Partei - die Liberal Democrats - schaffte es Cable ins Unterhaus. Das war 1997; also 27 Jahre nach seinem ersten Anlauf als Sozialdemokrat. Danach wurde er noch zweimal wiedergewählt.

Eine politische Biographie also, fast so kurvenreich wie die von Winston Churchill. Ein zweiter Churchill freilich ist Vince Cable nicht; nur ein Sozialdemokrat, den es unter die Liberalen verschlagen hat. Insofern ist die liberale Welt doch noch in Ordnung.



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