5. August 2010

Überlegungen zur Freiheit (12): Fleischeslust. Was der Fleischverzehr mit der Freiheit des Einzelnen zu tun hat

Auf den ersten Blick haben die zwei Meldungen nur an der Oberfläche etwas gemeinsam: Sie handeln beide vom Verzehr von Fleisch. Der zweite Blick zeigt mehr an Gemeinsamkeit; er zeigt eine schon recht beklemmende Gemeinsamkeit.

Im ersten Fall geht es um die Steaks, die wir Deutsche verzehren.

Um diese ist es fürchterlich schlecht bestellt, wie wir diesem gestrigen Artikel in "Welt-Online" entnehmen müssen:
Wer an der Theke klebriges oder grünliches Fleisch entdeckt, sollte stutzig werden. Verbraucherschützer warnen vor Fleisch, das nicht neutral riecht. Frisches Fleisch sollte neutral und niemals unangenehm-süßlich riechen. Darauf weist die Ernährungswissenschaftlerin Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in Stuttgart hin. Die Oberfläche darf nicht schmierig oder klebrig sein, und auch bei leicht grünlich gefärbtem Fleisch heißt es: Finger weg.
Ja, wer hätte das gedacht? Gut, daß das einmal jemand offen gesagt hat. Noch dazu eine Schützerin, auf die wir, ihre Schutzbefohlenen, ja hoffentlich hören werden. So daß uns nichts Schlimmes widerfährt. Vor allem dann, wenn wir einem weiteren Schützer vertrauen:
Für Rüdiger Lobitz zählt beim Fleischkauf vor allem eines: das Vertrauen. "Am besten kaufen Verbraucher dort, wo sie gute Erfahrungen gemacht haben" erklärt der Wissenschaftsredakteur.
Ja schau.

Lassen wir das einmal so stehen und wenden wir uns der zweiten aktuellen Meldung zum Fleischverzehr zu. Heute kann man sie lesen, wiederum in "Welt-Online":
Eine Einladung zu einer antimuslimischen Schweinefleisch-Party hat in Frankreich für Aufregung gesorgt. Die Organisatoren hätten über Facebook zu einem öffentlichen Treffen in Orléans mit viel Schweinefleisch und Alkohol eingeladen, "um sicher zu sein, dass wir unter Freunden bleiben", berichtete die Zeitung "Libération". (...)

Die Opposition bezeichnete die Aktion als eine logische Folge der Rechtswende des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. "Wenn Sarkozy die Ideen der Front National imitiert, ist es kein Wunder, wenn manche Anhänger des rechten Lagers Methoden der Rechtsextremen kopieren", sagte Mehdi Ouraoui, Nationalsekretär der linken PS-Partei.
Sie werden Glück haben, die in Orléans wohnenden Freunde des Schweinefleischs und des Weins, wenn sie überhaupt ihr "öffentliches Treffen" durchführen können.

Denn neu ist das durchaus nicht. Mitte Juni hatten Pariser die Idee, ein großes Picknick zu veranstalten, mit Schweinefleisch und Alkohol. Es sollte im Zentrum von Paris stattfinden, in der Goutte d'Or, wo auch viele Moslems wohnen.

Aber dieser apéro saucisson-pinard, dieser Imbiß mit Würstchen und Wein, fand nicht statt.

Der sozialistische Bürgermeister von Paris, Bernard Delanoë, erkannte eine menace contre l'ordre public, eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Die Präfektur von Paris verbot daraufhin die Veranstaltung.

Organisiert worden war dieser öffentliche Imbiß von einer Einwohnerin des Viertels - ihre Familie wohnt dort seit drei Generationen -, die dessen Veränderung miterlebt hatte; Sylvie François.

Keine Rechtsextreme, überhaupt keine Politikerin. Es war ihr nur auf die Nerven gegangen, daß in diesem Viertel - dem achtzehnten Arrondissement -
la déferlante musulmane dans le quartier est en train de nous imposer la prohibition islamique des produits de nos terroirs, parce qu’ils ne sont pas conformes à je ne sais quelle règle religieuse

die moslemische Welle in diesem Viertel uns mittlerweile schon das islamische Verbot der Produkte unserer Erde aufzwingt, weil sie mit ich weiß nicht welcher religiösen Vorschrift nicht übereinstimmen.
Dagegen wollte sie protestieren, die alteingesessene Pariserin Sylvie François, mit ihrem organisierten gemeinsamen Imbiß. Man wollte gemeinsam essen, was der Islam verbietet, nämlich Würstchen aus Schweinefleisch. Man wollte gemeinsam den Wein trinken, den zu trinken der Islam verbietet. Man wollte sich nicht die Lebensart verbieten lassen, die in diesem Viertel Tradition hat.

Also der symbolische Protest einer Minderheit; sagen wir, wie der Christopher Street Day: Man will deutlich machen, daß es einen gibt. Man will Flagge zeigen.

Homosexuelle dürfen das; in Frankreich ebenso wie in Deutschland. Selbstverständlich und mit jedem Recht der Welt.

Christliche Pariser dürfen es nicht. Jedenfalls dürfen sie es nicht, solange dort der Homosexuelle Bernard Delanoë Bürgermeister ist. Ein Mann, von dem man eigentlich eine besondere Sensibilität für Minderheiten erwarten könnte; für ihre Freiheit, sich auch in Form von Veranstaltungen zu artikulieren.

Aber offenbar ist für Delanoë Freiheit keineswegs die Freiheit der Andersdenkenden. Die eigene Lebensart öffentlich demonstrieren - das dürfen die einen, die anderen dürfen es nicht. Freiheit gilt nicht für alle.

So sind Sozialisten halt, parteilich. Wären sie nicht so - würden sie die Freiheit der Andersdenkenden akzeptieren -, dann wären sie Liberale.



Fleisch hier, Fleisch dort. Glibbrige Steaks, verbotene Schweinswürsterl. Und die Gemeinsamkeit? Die Gemeinsamkeit liegt im Kulturellen; ja im Religiösen. Oder in dem, wozu Religion verkommen ist.

Es ist mit den Verzehrgewohnheiten eine seltsame Sache.

Der moderne, säkulare Mensch neigt dazu, das zu essen, was ihm schmeckt und/oder wovon er denkt, daß es "gesund ist". Er sieht das Essen als seine Privatangelegenheit an. Jedenfalls, sofern er "modern" ist im Sinn der Aufklärung. Aber in den meisten nicht aufgeklärten Kulturen war und ist das nicht so.

Neben dem Grundtrieb der Sexualität ist der Grundtrieb, sich zu ernähren, am meisten kulturell überformt worden. Sitte und Anstand, die Religion vor allem, wollen uns vorschreiben, was wir essen dürfen, wie wir essen müssen. Die jüdische Religion ist voll von Essensvorschriften; vielleicht ein Extremfall. Die meisten Religionen wollen unser Essen auch regeln, nur milder. Freitags kein Fleisch; also kommt ein köstlicher Karpfen auf den Tisch.

Beim Essen müssen wir uns beherrschen: So werden Kinder erzogen. "Tischsitten". Und die Mutter blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum. Essen ist doch kein Privatvergnügen. Es will sozial kontrolliert werden.

Also kontrollieren es die frommen Moslems, die es eben noch zu keiner Aufklärung gebracht haben. Also reagieren darauf Christen, die sich ihre saucisson und ihre andouillete, zusammen mit dem pinard, nicht vermiesen lassen wollen. Das ist ein Kampf der Kulturen, auf der direktesten Ebene: Wer bestimmt, was man essen und trinken darf?



Und unsere Verbraucherschützer, die uns mit der Erkenntnis konfrontieren, daß grünes, glibberiges Steak vermutlich nicht mehr so ganz frisch ist?

Sie sind die Nachhut dieser religiösen Verbote. Sie bieten wieder einmal das Satyrspiel nach der Tragödie; die heruntergekommen, die banalisierte, die ins Lächerliche abgleitende Variante des Kulturellen. Siehe Über heruntergekommene Varianten von Askese; ZR vom 4. 8. 2010.

Die Oberen sagen uns, was wir essen und wie wir essen müssen. Unsere säkularisierte Gesellschaft erkennt die religiösen Oberen nicht mehr an. Also sagen es uns die Verbraucherschützer, diese pervertierte Variante des Priestertums.

Sie sagen es so, wie sie es sagen können. Also im besten Fall dumm, im wahrscheinlichsten lächerlich. Eßt kein grünes, glibberiges Steak!



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Die Freiheitsstatue in New York. Vom Autor Derek Jensen (Tysto) in die Public Domain gestellt.