9. August 2010

Kleines Klima-Kaleidoskop (16): Das Wetter spielt mal wieder verrückt

Daß das Wetter verrückt spielt, weiß jeder. Immer spielt das Wetter verrückt.

Meine Großmutter hat mir das in den fünfziger Jahren erklärt: Es liegt an den Atombomben. An den Versuchen mit Atombomben. Davon war sie vollständig überzeugt, denn so verrückt wie damals, in den fünfziger Jahren, war das Wetter doch noch nie gewesen.

Ja, in ihrer Jugend. Da waren die Sommer noch Sommer gewesen, mit milder Wärme im Juni und Hitze im Juli und August. Dann der freundliche Herbst im September und vielleicht noch im Oktober, dann der naßkalte Herbst im November. Dann der klirrende Winter, und ab März der lachende Frühling. Dann noch April, April, der weiß nicht, was er will. Und dann der freundliche Mai und der schon sommermilde Juni. So hat ein Jahr zu sein.

Natürlich hat auch meine Großmutter selten solche Jahre erlebt. Aber sie hatte eine Vorstellung vom idealtypischen Ablauf des Wetterzyklus.

Was davon abwich, das erschien ihr nicht normal.

Sie war damals keineswegs eine Außenseiterin, wenn sie für die Hitzewellen, die seltsam milden Winter, die Naturkatastrophen der fünfziger Jahre die Versuche mit Atombomben verantwortlich machte. Schließlich muß doch alles seine Ursache haben, was von der Norm abweicht. Man sucht sich seine Erklärungen, man macht sich einen Reim. Man weiß doch, was los ist.

Was los ist, das ist freilich nur, daß das Idealtypische selten vorkommt. Abweichungen sind die Regel. Die meisten Franzosen tragen keine Baguette unter dem Arm, haben kein Menjou-Bärtchen, rauchen keine Gauloises, trinken nicht jeden Tag Rotwein und rufen nicht ständig "Vive la liberté".



In "Welt-Online" steht seit heute Abend ein Artikel mit der Überschrift "Klimawandel - Warum das Wetter so verrückt spielt".

Warum spielt es so verrückt, das Wetter?
Das Wetter wird extremer – darin sind sich Klimaforscher wie Stefan Hagemann vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und sein Kollege Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung einig. (...)

"Wir gehen davon aus, dass mit der globalen Erwärmung extreme Ereignisse sehr viel häufiger auftreten werden", erwartet Hagemann. Im Sommer wird es demnach öfter Dürre oder Trockenheit geben. Wenn es mal regnet, kann es dann aber durchaus heftiger sein
Ja, so ist das wohl. Wir hatten einen extrem heißen Juli, natürlich wegen der globalen Erwärmung. Jetzt haben wir einen eher durchwachsenen Sommer und regional Starkregen, der zur Neißeflut führte.

Wegen der globalen Erwärmung. Wie anders soll man das erklären, da doch niemand mehr Atombombenversuche macht, oder fast niemand mehr?

Der letzte Winter war bekanntlich in Deutschland extrem kalt. Auch wieder ein "extremes Ereignis". In Rußland ist es jetzt heiß, und in Pakistan gibt es Überschwemmungen. Natürlich wegen der globalen Erwärmung. See, stupid?



Alles "extreme Ereignisse", also die Kapriolen des Wetters wie immer.

Das Wetter besteht aus extremen Ereignissen, und daraus bilden wir eine intuitive Statistik, die wir "das normale Wetter" nennen.

Das aber eben, wie alles Idealtypische, nicht die Regel ist. Meine Großmutter wußte, daß die Abweichung vom Idealtypischen an den Atombombenversuchen lag. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe und seine Mitstreiter wissen, daß sie an der globalen Erwärmung liegt.

Ich habe damals die Erklärung meiner Großmutter nicht für plausibel gehalten und immer wieder mit ihr darüber gestritten. Mit Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe zu streiten macht vermutlich keinen Sinn.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Drei Bilder, die sich durch das Schütteln eines Kaleidoskops ergeben. Fotografiert und in die Public Domain gestellt von rnbc.