7. Januar 2013

Wie wird es in Syrien weitergehen? Die Vorhersage von Stratfor und das Problem arabischer Nationalstaaten

Wir tendieren dazu, uns kriegerische Auseinandersetzungen wie jetzt in Syrien so vorzustellen wie den russischen oder den spanischen Bürgerkrieg im vorigen Jahrhundert: Zwei Parteien stehen sich gegenüber. Nach einigen Jahren des Bürgerkriegs siegt eine; in Rußland damals die Bolschewiken, in Spanien die Faschisten. Aber muß das eigentlich auch in Syrien so sein? Muß es überhaupt in Arabien so sein?

Stratfor hat heute seine Vorhersagen für 2013 vorgelegt. Der Bericht ist nicht allgemein zugänglich; aber ich kann zusammenfassen, was dort über Syrien zu lesen ist (eines der vielen Themen dieser ausgezeichneten Analyse):

Es gibt kein Assad-Regime mehr. Aber das heißt nicht, daß der Assad-Clan geschlagen wäre. Er ist jetzt einer von vielen Clans, politischen und religiösen Gruppen, die in Syrien existieren und die sich bekriegen. Ein alawitischer Clan; so, wie es in Syrien sunnitische Clans gibt, Dschihadisten, Salafisten, Moslembrüder, Maroniten, Drusen, Kurden.

Und so fort. Jede dieser Ethnien und Gruppen sucht sich vor den anderen zu schützen, baut also Milizen auf, will ein Territorium, in dem sie dominiert.

Die Alawiten werden wahrscheinlich die Mittelmeerküste Syriens halten können, vielleicht Damaskus. Aleppo werden sie - so die Vorhersage von Stratfor - verlieren. Aus den einstigen Herrschern werden dann Aufständische unter Aufständischen werden; die sich mit der Hilfe des schiitischen Iran auf dem ihnen verbleibenden Territorium zu behaupten versuchen werden.

Es wird aber eben auch nicht zu einem Sieg der anderen Seite kommen; wie dem Lenins oder Francos in den damaligen Bürgerkriegen. Ausländische Mächte werden versuchen, neue Machtstrukturen zu befördern, aber diese werden schwach bleiben. Statt daß Syrien sich stabilisiert, wird seine Fragmentierung auf den Libanon übergreifen, der eine lange Geschichte solcher ethnischer und religiöser Auseinander­setzungen hat.

Und die USA? Sie werden versuchen, sich herauszuhalten. Aber was, wenn die Gefahr besteht, daß die chemischen Waffen Assads nicht nur eingesetzt werden, sondern in die Hände von Terroristen fallen könnten? Dann hätten die USA möglicherweise keine Wahl, als zu intervenieren.



Soweit Stratfor. Syrien ist vielleicht kein Einzelfall.

Die Staaten Arabiens sind überwiegend nicht historisch gewachsen, sondern von Mandatsmächten nach dem Ende des Osmanischen Reichs zusammengezimmert worden.

Es sind keine Nationalsstaaten, wie wir sie in Europa kennen, sondern Kunstgebilde. Sie wurden in der Zeit des Arabischen Sozialismus durch die sozialistischen Herrschaftssysteme zusammengehalten (siehe Arabiens Misere (2): Der Arabische Sozialismus; ZR vom 23. 9. 2006).

Jetzt geht der Arabische Sozialismus unter, zwei Jahrzehnte nach dem Sozialismus in Ost- und Mitteleuropa; und diese Staatsgebilde drohen zu zerfallen

Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, daß überhaupt Syrien als Staat weiterbesteht; oder beispielsweise auch das aus ganz separaten Landesteilen - drei Provinzen des Osmanischen Reichs - bestehende Libyen (siehe Aufruhr in Arabien (14): Die Stämme Libyens und ihre Rolle im jetzigen Machtkampf; ZR vom 26. 2. 2011).

Der Irak ist eine ebenso künstliche staatliche Konstruktion, zusammengefaßt aus den Osmanischen Provinzen Basra, Baghdad und Mossul. "Palästinenser" hat es ohnehin nie als ein Volk gegeben; sie sind eine Erfindung der gegen Israel gerichteten Propaganda.

Nach dem Ersten Weltkrieg war unter der kräftigen Einflußnahme durch Frankreich, England und dann auch Italien in Arabien eine Staatenwelt entstanden, sozusagen mit dem äußeren Anschein von Nationalstaaten. Als Nationalstaaten maskiert. Jetzt fallen die Masken, und sichtbar wird eine Welt der Clans, der Konfessionen, der Ethnien, wie sie im Osmanischen Reich bestanden hatte.

Siehe dazu die beiden Serien Arabiens Misere und Aufruhr in Arabien.
Zettel



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