Die Vorwahl der republikanischen Partei (GOP) in New Hampshire ist so ausgegangen, wie Sie es erwarten konnten, wenn Sie die Berichterstattung in diesem Blog verfolgt haben:
Mitt Romney ist keineswegs "gestrauchelt", wie "Spiegel-Online" noch gestern seinen Lesern nahebringen wollte, sondern er hat einen starken Sieg eingefahren. Ron Paul ist zweiter und Jon Huntsman Dritter geworden, so wie es die Umfragen vorhergesagt hatten. Wie meist hat das Modell von Nate Silver das Ergebnis außerordentlich genau getroffen - mit einer bemerkenswerten Ausnahme allerdings.
Silver aktualisiert seine Vorhersage fortlaufend, indem er neu hinzukommende Daten in das Modell füttert. Als ich meinen Artikel gestern Abend schrieb, sagte Silveer für Mitt Romney 38,5 Prozent vorher. Er hat 39 Prozent erhalten (Stand nach der Auszählung von 92 Prozent der Stimmen). Die Vorhersage für Jon Huntsman war 17,0 Prozent. Er erhielt 17 Prozent.
So weit, so perfekt. Unterschätzt aber hat Nate Silvers Modell die Zustimmung zu dem Libertären Ron Paul. Er erreichte nicht die vorhergesagten 18,6 Prozent, sondern 23 Prozent. Sowohl Gingrich als auch Santorum schnitten komplementär dazu schlechter ab als prognostiziert (Gingrich erreichte 10, Santorum 9 Prozent statt, wie von Silver vorhergesagt, 11,5 und 12,3 Prozent).
Es sieht danach aus, daß Silvers Modell irgendeinen für Ron Pauls Abschneiden relevanten Faktor nicht oder unzulänglich berücksichtigt. Das würde dann allerdings auch für die anderen Prognosen gelten. Die aggregierten Umfragedaten von Real Clear Politics hatten für ihn 17,5 Prozent erwarten lassen; also noch weniger als das Modell von Nate Silver. Anscheinend hat Ron Paul einen Extra-Schub bekommen, der von den Umfragen nicht erfaßt worden war; auch nicht in den letzten Stunden vor der Wahl. Ich habe in der Wahlnacht noch keine Analyse gesehen, die ihn erklärt; möchte aber gleich eine Vermutung äußern.
Was bedeutet das Ergebnis für die Kandidaten?
Mitt Romney ist jetzt in einer ausgezeichneten Position. Noch kein republikanischer Kandidat hat jemals die Vorwahl bzw. die Caucuses sowohl im ländlichen Iowa als auch im Ostküsten-Staat New Hampshire gewonnen; außer Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellten, wie Ronald Reagan. Romney hat damit gezeigt, daß er für Konservative wählbar ist, aber auch Wähler der Mitte gewinnen kann.
Von den Wählern, die sich als "sehr konservativ" bezeichnen, hat er, der selbst kein Konservativer ist, laut einem exit poll von CNN gestern 33 Prozent für sich gewonnen, der konservative Rick Santorum nur 26 Prozent. Und von denjenigen, die sich als Anhänger der Tea Party zu erkennen gaben, haben gar 40 Prozent für Romney gestimmt; nur 24 Prozent für Santorum.
Hinzu kommt, daß Romney auch in den Umfragen für die beiden kommenden Vorwahlen deutlich in Führung liegt: In South Carolina am 21. Januar und in Florida am 31. Januar. Wenn er auch diese beiden Staaten gewinnt, dann hat er (wie es John King in CNN ausdrückte) eine firewall aufgebaut - er ist dann so stark, daß ihn auch die eine oder andere Niederlage in den nachfolgenden Primaries kaum noch aus der Bahn zur Nominierung wird werfen können
In Florida, dem Staat, in dem viele reiche Rentner leben, liegt der Millionär Romney mit einem Abstand von mehr als 10 Prozentpunkten vor Newt Gingrich. Aber er spricht auch andere Schichten an: Gestern hat er (wiederum laut CNN-exit poll) auch in der untersten Einkommensklasse ungefähr so gut abgeschnitten wie insgesamt. Am stärksten war er in der Mittelschicht mit 43 Prozent.
Überhaupt zeigt diese Analyse eine breite Unterstützung für Romney - in allen Einkommensklassen, bei Männern und Frauen, quer über das Spektrum der politischen Philosophien, von sehr konservativ bis liberal. Wie kommt das? Der Schlüssel dürfte in den im exit poll genannten Motiven für die Wahl Romneys liegen: Mit großem Abstand am häufigsten wird genannt, daß man Obama abwählen möchte.
Das ist, so scheint es, das Geheimnis von Romneys Erfolg: Ihm werden die größten Chancen gegen Obama eingeräumt. Wer ihn wählt, der will nicht so sehr einen Präsidenten Romney. Er will nicht noch einmal einen Präsidenten Obama; also ist er für den aussichtsreichsten Kandidaten, ob er dessen Überzeugungen nun teilt oder nicht. Das erklärt auch die starke Unterstützung Romneys durch Anhänger der Tea Party; die ja in ihrem Selbstverständnis eine Bewegung zum Schutz Amerikas gegen die Umwälzungen ist, die Obama dem Land verpassen will oder schon angetan hat.
Ganz anders ist das bei dem überraschend starken Ron Paul.
Alle Kandidaten, die in der Wahlnacht ihre Statements abgaben, wirkten müde und routiniert; am meisten der seine Rede fast murmelnde Newt Gingrich, aber auch Romney und Huntsman, am wenigsten noch Santorum. Ron Paul, der 76jährige, aber kam frisch und tatendurstig herüber, wie einem Jungbrunnen entstiegen.
Kein Wunder, denn er ist der Kandidat der Jugend. Das ist die eigentliche Sensation dieser Vorwahl: Kein Kandidat hat so viele junge Wahlhelfer und Unterstützer wie Ron Paul. In seinem Publikum in der Wahlnacht sah man fast nur junge Gesichter.
Seine besten Ergebnisse holte Ron Paul bei Erstwählern, bei Singles sowie in der unteren Einkommensklasse (in der viele Studenten zu finden sind). Wie dieser alte Herr von 76 Jahren fröhlich und kraftvoll vor begeisterten jungen Leuten sprach - das hat mich fast ein bißchen an die Auftritte Herbert Marcuses vor Stundenten im Jahr 1968 erinnert.
Und hierin könnte - eine Vermutung, die ich aber nicht mit Fakten untermauern kann - eine Ursache für die zu niedrigen Prognosen seines Ergebnisses liegen. Denn noch immer werden Umfragen in der Regel über Festnetz-Telefone durchgeführt; die Generation Handy ist dadurch unterrepräsentiert. New Hampshire hat durch seine zahlreichen Universitäten und Colleges einen hohen studentischen Bevölkerungsanteil.
Werden diese 24 Prozent in New Hampshire Ron Paul ein momentum bescheren, das ihn am Ende gar zur Nominierung trägt? Nein, das ist so gut wie ausgeschlossen.
Dazu muß man wissen, daß in New Hampshire nicht nur Republikaner am republikanischen Primary teilnehmen dürfen, sondern auch Unabhängige (Independents) und sogar Demokraten. Pauls Unterstützung kam ganz erheblich von den Independents, von denen er mit 32 Prozent mehr Stimmen erhielt als jeder andere Kandidat. Auf dem Wahlparteitag in Tampa wird diese Anhängerschaft Ron Pauls von außerhalb der GOP aber keine Rolle spielen.
Das einzige denkbare Szenario, das ihn zur Nominierung führen könnte, wäre eine Entwicklung der Umfragen, die nur ihn als denjenigen zeigt, der Obama schlagen könnte. Dann würden die Delegierten möglicherweise alle Vorbehalte gegen den Libertären vergessen und ihn - Augen zu und durch - nominieren; nur, um Obama loszuwerden.
Auch die Chancen der anderen Kandidaten auf die Nominierung sind nach dem Ergebnis von New Hampshire eher gering.
Jon Huntsman, das Hätschelkind von "Spiegel-Online", hat mit 17 Prozent einen Achtungserfolg erreicht - das allerdings, nachdem er alle seine Kräfte seit Wochen in diese Vorwahl investiert hatte; kein Kandidat hat in New Hampshire soviel Geld für Wahlwerbung ausgegeben wie er. Er hat nicht so schlecht abgeschnitten, daß er jetzt aufgeben wird; aber keineswegs so gut, daß er nun auf ein momentum hoffen könnte.
Rick Santorum und Newt Gingrich blieben noch unterhalb der ohnehin niedrigen Werte, die ihnen das Modell von Nate Silver gegeben hatte. Allerdings hat das für ihren künftigen Wahlkampf ganz unterschiedliche Bedeutung:
Für Gingrich, der eine Zeitlang als Favorit galt, sind die 10 Prozent ein Desaster. In South Carolina hat er nicht viel zu erwarten. Seine letzte Chance dürfte Florida sein, wo er gegenwärtig hinter Romney an zweiter Stelle liegt.
Santorum hingegen galt bis zu den Caucuses von Iowa als weit abgeschlagen. Dort ging er überraschend Kopf-an-Kopf mit Romney durchs Ziel (siehe Iowa hat gewählt; ZR vom 4. 1. 2012). In seinem Statement zum jetzigen Wahlausgang sagte er nicht ohne Berechtigung, daß er immerhin ein Vielfaches der Werte geholt hätte, die ihm noch vor wenigen Wochen die Umfragen gaben.
Solche Statements der Kandidaten gehören in den USA zum Ritual jeder Wahlnacht. Zeitlich abgestimmt treten sie an die Mikrofone, jeweils vor einer Versammlung ihrer Anhänger, fast immer die Familie neben und hinter sich versammelt. Jeder Kandidat redet erst dann - dann aber möglichst bald -, wenn sein Abschneiden feststeht. Das Timing ist so, daß es in der Regel keine Überlappungen gibt und CNN alles live übertragen kann.
Diese Statements werden sehr sorgfältig vorbereitet und spiegeln den jeweiligen Wahlausgang, aber oft auch die Strategie der Kandidaten wider. Heute Nacht wurden drei Strategien deutlich:
Obama ist überhaupt der Schlüssel zu dem, was sich jetzt in der GOP abspielt. Er hat mit seinem Versuch, das Land sozialdemokratisch umzukrempeln, die USA derart tief gespalten, daß im Grunde alle Kandidaten der GOP dasselbe Motto haben, alle ihre Programme dieselbe Überschrift tragen: "Nur das nicht weiter!".
Insofern sind sie alle konservativ - sie versuchen die USA zu bewahren; ihre Tradition, ihre Stärke. Immer wieder wird auf die Verfassung hingewiesen, fast schon rituell beschwörend tut das Ron Paul. Diese Kandidaten sind keine rückwärts gewandten Konservativen; sondern sie sind konservativ in dem Sinn, daß sie ihr Land vor einem Irrweg bewahren wollen, der ihm seine traditionellen Stärken und Wert nehmen würde, ohne etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen. In den deutschen Medien wird das überwiegend ganz falsch gezeichnet.
Wie man am besten wieder das heilt, was Obama angerichtet hat - darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander; vor allem in der Außenpolitik. Hier möchte Romney eher den Kurs von George W. Bush wieder aufnehmen, den Bedrohungen der USA offensiv zu begegnen. Ron Paul hingegen will einen radikalen militärischen Rückzug, verbunden mit einer ebenso drastischen Kürzung der Ausgaben für das, was er - ganz so, als wäre er ein Linker - den "militärisch-industriellen Komplex" nennt.
Selbst in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, daß Paul es ins Weiße Haus schaffen sollte, hätte er freilich keine Chance, diese Außen- und Militärpolitik im Kongreß durchzusetzen. Aber er will das ja wohl auch gar nicht. Ron Paul nutzt die Kandidatur, um seine Ideen zu verbreiten. Vielleicht hofft er darauf, daß diese liberalen Ideen in der jüngeren Generation sogar eines Tages mehrheitsfähig sein könnten.
Mitt Romney ist keineswegs "gestrauchelt", wie "Spiegel-Online" noch gestern seinen Lesern nahebringen wollte, sondern er hat einen starken Sieg eingefahren. Ron Paul ist zweiter und Jon Huntsman Dritter geworden, so wie es die Umfragen vorhergesagt hatten. Wie meist hat das Modell von Nate Silver das Ergebnis außerordentlich genau getroffen - mit einer bemerkenswerten Ausnahme allerdings.
Silver aktualisiert seine Vorhersage fortlaufend, indem er neu hinzukommende Daten in das Modell füttert. Als ich meinen Artikel gestern Abend schrieb, sagte Silveer für Mitt Romney 38,5 Prozent vorher. Er hat 39 Prozent erhalten (Stand nach der Auszählung von 92 Prozent der Stimmen). Die Vorhersage für Jon Huntsman war 17,0 Prozent. Er erhielt 17 Prozent.
So weit, so perfekt. Unterschätzt aber hat Nate Silvers Modell die Zustimmung zu dem Libertären Ron Paul. Er erreichte nicht die vorhergesagten 18,6 Prozent, sondern 23 Prozent. Sowohl Gingrich als auch Santorum schnitten komplementär dazu schlechter ab als prognostiziert (Gingrich erreichte 10, Santorum 9 Prozent statt, wie von Silver vorhergesagt, 11,5 und 12,3 Prozent).
Es sieht danach aus, daß Silvers Modell irgendeinen für Ron Pauls Abschneiden relevanten Faktor nicht oder unzulänglich berücksichtigt. Das würde dann allerdings auch für die anderen Prognosen gelten. Die aggregierten Umfragedaten von Real Clear Politics hatten für ihn 17,5 Prozent erwarten lassen; also noch weniger als das Modell von Nate Silver. Anscheinend hat Ron Paul einen Extra-Schub bekommen, der von den Umfragen nicht erfaßt worden war; auch nicht in den letzten Stunden vor der Wahl. Ich habe in der Wahlnacht noch keine Analyse gesehen, die ihn erklärt; möchte aber gleich eine Vermutung äußern.
Was bedeutet das Ergebnis für die Kandidaten?
Mitt Romney ist jetzt in einer ausgezeichneten Position. Noch kein republikanischer Kandidat hat jemals die Vorwahl bzw. die Caucuses sowohl im ländlichen Iowa als auch im Ostküsten-Staat New Hampshire gewonnen; außer Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellten, wie Ronald Reagan. Romney hat damit gezeigt, daß er für Konservative wählbar ist, aber auch Wähler der Mitte gewinnen kann.
Von den Wählern, die sich als "sehr konservativ" bezeichnen, hat er, der selbst kein Konservativer ist, laut einem exit poll von CNN gestern 33 Prozent für sich gewonnen, der konservative Rick Santorum nur 26 Prozent. Und von denjenigen, die sich als Anhänger der Tea Party zu erkennen gaben, haben gar 40 Prozent für Romney gestimmt; nur 24 Prozent für Santorum.
Hinzu kommt, daß Romney auch in den Umfragen für die beiden kommenden Vorwahlen deutlich in Führung liegt: In South Carolina am 21. Januar und in Florida am 31. Januar. Wenn er auch diese beiden Staaten gewinnt, dann hat er (wie es John King in CNN ausdrückte) eine firewall aufgebaut - er ist dann so stark, daß ihn auch die eine oder andere Niederlage in den nachfolgenden Primaries kaum noch aus der Bahn zur Nominierung wird werfen können
In Florida, dem Staat, in dem viele reiche Rentner leben, liegt der Millionär Romney mit einem Abstand von mehr als 10 Prozentpunkten vor Newt Gingrich. Aber er spricht auch andere Schichten an: Gestern hat er (wiederum laut CNN-exit poll) auch in der untersten Einkommensklasse ungefähr so gut abgeschnitten wie insgesamt. Am stärksten war er in der Mittelschicht mit 43 Prozent.
Überhaupt zeigt diese Analyse eine breite Unterstützung für Romney - in allen Einkommensklassen, bei Männern und Frauen, quer über das Spektrum der politischen Philosophien, von sehr konservativ bis liberal. Wie kommt das? Der Schlüssel dürfte in den im exit poll genannten Motiven für die Wahl Romneys liegen: Mit großem Abstand am häufigsten wird genannt, daß man Obama abwählen möchte.
Das ist, so scheint es, das Geheimnis von Romneys Erfolg: Ihm werden die größten Chancen gegen Obama eingeräumt. Wer ihn wählt, der will nicht so sehr einen Präsidenten Romney. Er will nicht noch einmal einen Präsidenten Obama; also ist er für den aussichtsreichsten Kandidaten, ob er dessen Überzeugungen nun teilt oder nicht. Das erklärt auch die starke Unterstützung Romneys durch Anhänger der Tea Party; die ja in ihrem Selbstverständnis eine Bewegung zum Schutz Amerikas gegen die Umwälzungen ist, die Obama dem Land verpassen will oder schon angetan hat.
Ganz anders ist das bei dem überraschend starken Ron Paul.
Alle Kandidaten, die in der Wahlnacht ihre Statements abgaben, wirkten müde und routiniert; am meisten der seine Rede fast murmelnde Newt Gingrich, aber auch Romney und Huntsman, am wenigsten noch Santorum. Ron Paul, der 76jährige, aber kam frisch und tatendurstig herüber, wie einem Jungbrunnen entstiegen.
Kein Wunder, denn er ist der Kandidat der Jugend. Das ist die eigentliche Sensation dieser Vorwahl: Kein Kandidat hat so viele junge Wahlhelfer und Unterstützer wie Ron Paul. In seinem Publikum in der Wahlnacht sah man fast nur junge Gesichter.
Seine besten Ergebnisse holte Ron Paul bei Erstwählern, bei Singles sowie in der unteren Einkommensklasse (in der viele Studenten zu finden sind). Wie dieser alte Herr von 76 Jahren fröhlich und kraftvoll vor begeisterten jungen Leuten sprach - das hat mich fast ein bißchen an die Auftritte Herbert Marcuses vor Stundenten im Jahr 1968 erinnert.
Und hierin könnte - eine Vermutung, die ich aber nicht mit Fakten untermauern kann - eine Ursache für die zu niedrigen Prognosen seines Ergebnisses liegen. Denn noch immer werden Umfragen in der Regel über Festnetz-Telefone durchgeführt; die Generation Handy ist dadurch unterrepräsentiert. New Hampshire hat durch seine zahlreichen Universitäten und Colleges einen hohen studentischen Bevölkerungsanteil.
Werden diese 24 Prozent in New Hampshire Ron Paul ein momentum bescheren, das ihn am Ende gar zur Nominierung trägt? Nein, das ist so gut wie ausgeschlossen.
Dazu muß man wissen, daß in New Hampshire nicht nur Republikaner am republikanischen Primary teilnehmen dürfen, sondern auch Unabhängige (Independents) und sogar Demokraten. Pauls Unterstützung kam ganz erheblich von den Independents, von denen er mit 32 Prozent mehr Stimmen erhielt als jeder andere Kandidat. Auf dem Wahlparteitag in Tampa wird diese Anhängerschaft Ron Pauls von außerhalb der GOP aber keine Rolle spielen.
Das einzige denkbare Szenario, das ihn zur Nominierung führen könnte, wäre eine Entwicklung der Umfragen, die nur ihn als denjenigen zeigt, der Obama schlagen könnte. Dann würden die Delegierten möglicherweise alle Vorbehalte gegen den Libertären vergessen und ihn - Augen zu und durch - nominieren; nur, um Obama loszuwerden.
Auch die Chancen der anderen Kandidaten auf die Nominierung sind nach dem Ergebnis von New Hampshire eher gering.
Jon Huntsman, das Hätschelkind von "Spiegel-Online", hat mit 17 Prozent einen Achtungserfolg erreicht - das allerdings, nachdem er alle seine Kräfte seit Wochen in diese Vorwahl investiert hatte; kein Kandidat hat in New Hampshire soviel Geld für Wahlwerbung ausgegeben wie er. Er hat nicht so schlecht abgeschnitten, daß er jetzt aufgeben wird; aber keineswegs so gut, daß er nun auf ein momentum hoffen könnte.
Rick Santorum und Newt Gingrich blieben noch unterhalb der ohnehin niedrigen Werte, die ihnen das Modell von Nate Silver gegeben hatte. Allerdings hat das für ihren künftigen Wahlkampf ganz unterschiedliche Bedeutung:
Für Gingrich, der eine Zeitlang als Favorit galt, sind die 10 Prozent ein Desaster. In South Carolina hat er nicht viel zu erwarten. Seine letzte Chance dürfte Florida sein, wo er gegenwärtig hinter Romney an zweiter Stelle liegt.
Santorum hingegen galt bis zu den Caucuses von Iowa als weit abgeschlagen. Dort ging er überraschend Kopf-an-Kopf mit Romney durchs Ziel (siehe Iowa hat gewählt; ZR vom 4. 1. 2012). In seinem Statement zum jetzigen Wahlausgang sagte er nicht ohne Berechtigung, daß er immerhin ein Vielfaches der Werte geholt hätte, die ihm noch vor wenigen Wochen die Umfragen gaben.
Solche Statements der Kandidaten gehören in den USA zum Ritual jeder Wahlnacht. Zeitlich abgestimmt treten sie an die Mikrofone, jeweils vor einer Versammlung ihrer Anhänger, fast immer die Familie neben und hinter sich versammelt. Jeder Kandidat redet erst dann - dann aber möglichst bald -, wenn sein Abschneiden feststeht. Das Timing ist so, daß es in der Regel keine Überlappungen gibt und CNN alles live übertragen kann.
Diese Statements werden sehr sorgfältig vorbereitet und spiegeln den jeweiligen Wahlausgang, aber oft auch die Strategie der Kandidaten wider. Heute Nacht wurden drei Strategien deutlich:
Romneys Botschaft lautet, daß er nach vier Jahren des Niedergangs unter Obama die USA wieder zu ihrer alten Größe führen will ("restore our greatness"). Er betont die Stärke des Landes, sein weiter vorhandenes Potential und vor allem die Kraft des freien Unternehmertums, die unter Obama gelähmt worden sei; von einem Obama, der die alten amerikanischen Tugenden opfern und ein sozialdemokratisches Amerika errichten wolle. Auch Ron Pauls Botschaft lautet: Zurück zu unserer traditionellen Stärke! Aber er sieht diese Stärke nicht nur im Ökonomischen, sondern in der Freiheit des Einzelnen in allen Lebensbereichen. Seinen jubelnden Anhängern - nur bei Paul schien mir so etwas wie echte, nicht inszenierte Begeisterung aufzukommen - sagte er Sätze wie "What should be the role of government? The role should be very simple: Protect liberty" (Welches sollte die Rolle der Regierung sein? Ihre Rolle sollte eine sehr einfache sein: Die Freiheiten bewahren) oder "If you are a true humanitarian, you have to argue the case for free markets" (Wenn Sie ein wahrer Humanist sind, dann müssen Sie sich für die Sache der freien Märkte einsetzen).
Und ein fröhlich-verschmitztes: "Freedom is popular, don't you know that?" (Freiheit ist populär, schon gewußt?) war von Ron Paul auch zu hören.Jon Huntsman versuchte, seinen Achtungserfolg als den großen Durchbruch zu verkaufen. Wie die anderen betonte er die traditionellen Werte Amerikas; aber seine eigentlich Botschaft war außenpolitisch. Er - der ehemalige Botschafter in China - beschwor die Konkurrenz der anderen Mächte rund um den Pazifik und prophezeite, wenn sich nichts ändern werde, ein "Ende des Amerikanischen Jahrhunderts" um 2050 herum.
Er wirkte ein wenig wie ein Obama-Imitator; auch was seine Beschwörung der Einheit des amerikanischen Volks anging. Die Amerikaner seien "tired to be divided", sagte er, der Spaltung überdrüssig. An das Original reichte dieser ständig lächelnde, wenig kraftvoll wirkende Mann aber bei weitem nicht heran.
Obama ist überhaupt der Schlüssel zu dem, was sich jetzt in der GOP abspielt. Er hat mit seinem Versuch, das Land sozialdemokratisch umzukrempeln, die USA derart tief gespalten, daß im Grunde alle Kandidaten der GOP dasselbe Motto haben, alle ihre Programme dieselbe Überschrift tragen: "Nur das nicht weiter!".
Insofern sind sie alle konservativ - sie versuchen die USA zu bewahren; ihre Tradition, ihre Stärke. Immer wieder wird auf die Verfassung hingewiesen, fast schon rituell beschwörend tut das Ron Paul. Diese Kandidaten sind keine rückwärts gewandten Konservativen; sondern sie sind konservativ in dem Sinn, daß sie ihr Land vor einem Irrweg bewahren wollen, der ihm seine traditionellen Stärken und Wert nehmen würde, ohne etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen. In den deutschen Medien wird das überwiegend ganz falsch gezeichnet.
Wie man am besten wieder das heilt, was Obama angerichtet hat - darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander; vor allem in der Außenpolitik. Hier möchte Romney eher den Kurs von George W. Bush wieder aufnehmen, den Bedrohungen der USA offensiv zu begegnen. Ron Paul hingegen will einen radikalen militärischen Rückzug, verbunden mit einer ebenso drastischen Kürzung der Ausgaben für das, was er - ganz so, als wäre er ein Linker - den "militärisch-industriellen Komplex" nennt.
Selbst in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, daß Paul es ins Weiße Haus schaffen sollte, hätte er freilich keine Chance, diese Außen- und Militärpolitik im Kongreß durchzusetzen. Aber er will das ja wohl auch gar nicht. Ron Paul nutzt die Kandidatur, um seine Ideen zu verbreiten. Vielleicht hofft er darauf, daß diese liberalen Ideen in der jüngeren Generation sogar eines Tages mehrheitsfähig sein könnten.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008. Mit Dank an patzer.