28. Januar 2012

Anmerkungen zur Sprache (12): Der unsinnige Begriff der "erneuerbaren Energien" und wie es zu ihm gekommen ist

Es gibt Begriffe, die irgendwann gedankenlos in die Welt gesetzt wurden und die sich dann festhaken; kaum jemand merkt noch, wie unsinnig sie sind. Dazu gehört der Begriff der "erneuerbaren Energien", der fast unweigerlich auftaucht, wenn über Stromversorgung diskutiert wird, wie beispielsweise aktuell in Zettels kleinem Zimmer.

Gemeint ist mit diesem Begriff die Stromerzeugung beispielsweise mittels Photovoltaik oder in sogenannten Windparks. "Erneuerbar" ist da aber nichts; außer vielleicht den Maschinen, die man irgendwann modernisiert.

Es findet vielmehr im Prinzip dasselbe statt wie beim Verbrennen von Kohle und Gas oder im Kernkraftwerk: Energie wird umgewandelt; sie wird aus einer Energieform in andere Energieformen gebracht. Bei der Stromerzeugung möchte man elektrische Energie haben. Man gewinnt diese durch die (teilweise) Umwandlung von Kernenergie; oder durch die Umwandlung der chemischen Energie fossiler Brennstoffe, der kinetischen Energie bewegter Luftmassen, der Energie der elektromagnetischen Strahlung, die uns von der Sonne erreicht.

"Erneuerbar" ist keine dieser Energieformen. Verbrauchte - also beispielsweise in Strom umgewandelte - Windenergie oder Strahlungsenergie wird nicht in der Art "erneuert", in der beispielsweise auf dem abgeernteten Feld im Jahr darauf die neue Ernte heranwächst. Eine Rückumwandlung findet nicht statt und ist natürlich in der Regel auch gar nicht erwünscht - es sei denn, man betreibt mit Strom eine Windmaschine oder nutzt ihn, um eine Beleuchtung mit einer ähnlichen spektralen Zusammensetzung wie der des Sonnenlichts zu betreiben. Aber auch das würden wir schwerlich eine "Erneuerung" nennen.

Wenn gedankenlos von "erneuerbaren Energien" gesprochen wird, dann ist gar keine Erneuerung gemeint, sondern etwas anderes: Die betreffenden Energieformen stehen praktisch unbegrenzt zur Verfügung. Das ist deswegen der Fall, weil ihr Kraftwerk die Sonne ist; auch bei der Windenergie, denn Luftbewegungen entstehen überwiegend (neben dem Faktor der Erdrotation) dadurch, daß die Sonne die Atmosphäre unterschiedlich stark erwärmt und es dadurch zu Unterschieden im Luftdruck kommt.

Sie stehen nicht in einem absoluten Sinn, sondern nur "praktisch" unbegrenzt zur Verfügung, diese auf die Sonne zurückgehenden Energieformen; denn irgendwann ist natürlich auch die Energie aufgebraucht, die der riesige Kernreaktor "Sonne" durch die Fusion von Wasserstoff zu Helium liefert. Dann wird aus dem Gelben Zwerg "Sonne" zuerst ein Roter Riese werden; und später, nach allerlei kosmischem Feuerwerk, schließlich ein Weißer Zwerg. Aber darüber brauchen wir uns heute noch nicht zu sorgen; dieser Prozeß wird erst in ungefähr fünfeinhalb Milliarden Jahren einsetzen (zuvor allerdings wird die Sonne unangenehm warm werden; schon in weniger als einer Milliarde Jahren).



Faktisch unbegrenzt verlängerbar ist also die Nutzung von Solar- und Windenergie. Wie kommt es dann aber, daß wir diese Energien "erneuerbar" nennen? Die Antwort ist erschreckend simpel und auch ein wenig peinlich.

Was nämlich heißt "unbegrenzt verlängerbar" auf Englisch? Es heißt, wie Sie es sich beispielsweise hier anhand von Beispielen ansehen können, "indefinitely renewable".

Und was heißt "renewable", wenn man es wörtlich übersetzt? Richtig, "erneuerbar". Daß wir von "erneuerbaren Energien" sprechen, basiert also schlicht auf einer falschen Übersetzung.

Es basiert auf einem Typ von Übersetzungsfehler, der allgegenwärtig ist: Statt der im jeweiligen Kontext richtigen Bedeutung eines Wortes wird diejenige verwendet, die am geläufigsten ist, die als erste in den Sinn kommt. Meist ist das die wörtliche Übersetzung; oft auch diejenige, die an das betreffende Wort in der eigenen Sprache anklingt. Ich habe dieser Art von Übersetzungsfehlern einmal eine Folge dieser Serie gewidmet (Anmerkungen zur Sprache (7): Denglisch aus Dummheit; ZR vom 14. 2. 2008).

Wenn man ein Abonnement abschließt, das nicht zeitlich begrenzt ist, dann wird es im Englischen "renewable" genannt. "Nichtbegrenzte Energien" wäre also eine richtige Übersetzung von "renewable energies".

Freilich würde das nicht so schön in den Öko-Jargon passen wie "erneuerbar". Denn das hat eine ähnliche Konnotation wie "nachwachsend". Uns von Mutter Natur geschenkt, sozusagen. Und Erneuerung, Reform, das Neue schwingt ja assoziativ auch mit.



Warum eigentlich ist die Energie, die von der Sonne kommt, eine faktisch nichtbegrenzte Energieform - sei es in Form von Strahlung, sei es in Form des Windes? Weil es sich im Ursprung um Kernenergie handelt. Es ist Kernenergie, welche die Strahlung der Sonne erzeugt und damit auch Wind auf der Erde; so wie im Kernkraftwerk (KKW) die Kernenergie Wasser aufheizt, das seinerseits Turbinen antreibt (zum Funktionieren von Kraftwerken empfehle ich in "Calimeros Rumpelkammer" die sehr schöne Serie "Kraftwerksinnereien").

Genau wie bei irdischen KKWs findet im Inneren der Sonne die Umwandlung von Masse in Energie statt; gemäß Einsteins berühmter Formel. Dabei genügt - ein wenig flapsig gesagt - wenig Masse, um sehr viel Energie zu erzeugen; wie man es seit der Explosion der ersten Atombomben anschaulich weiß. Folglich gehört auch die irdische Kernenergie, richtig betrachtet, zu den renewable energies, den nichtbegrenzten Energien.

In den heutigen KKWs geschieht die Umwandlung von Masse in Energie noch durch Kernspaltung, für die das Material radioaktive Isotope des Urans sind. Gearbeitet wird an der Forschung zu künftigen Fusionsreaktoren, die nach dem Prinzip der Fusion in der Sonne funktionieren und für die als Brennstoff nur noch ein Isotop des Wasserstoffs (Deuterium) benötigt wird (siehe Kurioses, kurz kommentiert: Deutschland will verstärkt die Kerntechnologie fördern; ZR vom 6. 11. 2011).

Deuterium ist ungefähr so unbegrenzt auf der Erde verfügbar, wie die Sonnenenergie nicht begrenzt ist. Aber auch die Energie aus Kernspaltung ist eine praktisch nicht begrenzte Energieform. Laut einer offiziellen Schätzung der Internationalen Atomenergie-Kommission (IAEA) gibt es nach gegenwärtigem Kenntnisstand Vorräte von mehr als 35 Millionen Tonnen Uran, das sich für den Abbau eignet; genug für 600 Jahre beim gegenwärtigen Verbrauch. Durch den Einsatz von Schnellen Brütern würde sich das auf rund 18.000 Jahre ausdehnen lassen.

Fusionsreaktoren werden nach pessimistischen Schätzungen in 100 Jahren zur Verfügung stehen; optimistische gehen von einer sehr viel kürzeren Spanne aus. Danach wird die Kernenergie ebenso unbegrenzt zur Verfügung stehen wie die Solar- und die Windenergie.

Sinnvoll wäre es also, nicht "fossile Energien" und "erneuerbare Energien" einander gegenüberzustellen, sondern "zu Ende gehende Energien" und "nicht begrenzte Energien". Zu den letzteren gehören Solarenergie, Windenergie und vor allem die - weit wichtigere und zukunftsträchtigere - Kernenergie.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Johann Gottfried Herder. Gemälde von Johann Ludwig Strecker (1775). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier.