27. August 2010

Zettels Meckerecke: Gegenleistung wofür? Die Kanzlerin "bettet ein". Oettinger sagt es direkter. Die AKWs und die Arroganz der Macht

Ja, sind wir denn im Orient oder in Moskau, wo der Bürger dem Staat, wo er dessen einzelnen Dienern ein Bakschisch dafür zahlen muß, damit er das bekommt, worauf er ein Anrecht hat, der Bürger?

Offenbar bewegt sich Deutschland rasant in Richtung Balkan, und die Kanzlerin vorneweg.

Wenn jemand eine Pommesbude aufmacht, und er hält sich an die einschlägigen Bestimmungen, dann kann er sein Unternehmen so lange betreiben, wie er will. Es sei denn, daß sich die Rahmenbedingungen ändern; daß vielleicht dort, wo sein Büdchen steht, eine Straße gebaut werden soll. Dann kann es sein, daß Gemeinwohl vor Eigennutz geht und er die Bude dicht machen muß.

Der Staat handelt dann im Interesse der Allgemeinheit. Das allein rechtfertigt es, daß er in die Gewerbefreiheit, daß er in das Eigentumsrecht des Einzelnen eingereift.

Eine Selbstverständlichkeit in einer freien Gesellschaft, nicht wahr? Und nun lesen Sie einmal diese Schlagzeilen von gestern:
  • "Energiepolitik - Merkel fordert Extrabeitrag von Stromkonzernen" (Spiegel-Online)

  • "Preis für längere AKW-Laufzeiten - Merkel schockt die Atom-Bosse" (Berliner Kurier)

  • "Gegenleistung für längere Laufzeiten - Merkel fordert Ökobeitrag von AKW-Betreibern" (Financial Times Deutschland")

  • "Gegenleistung für längere Laufzeiten - Merkels Weg zur Atomkraft" (taz)
  • Die Bundesregierung ist augenscheinlich bereit, längere Laufzeiten für AKWs - richtiger KKWs - zu genehmigen, als das im sogenannten "Atomkompromiß" von 2000 unter der rotgrünen Regierung festgelegt worden war, der zunächst als eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen formuliert und dann 2002 in die Gesetzesform einer Novellierung des Atomgesetzes gegossen wurde.

    Wie wurden die damals festgelegten begrenzten Laufzeiten für KKWs begründet, obwohl diese über eine unbefristete Betriebsgenehmigung verfügten? Man kann es in der Wikipedia nachlesen: Zu große Gefahr nuklearer Unfälle; das Problem der Endlagerung; angebliche Srahlengefährdung von Menschen in der Umgebung von KKWs.

    So sah es die rotgrüne Regierung Schröder vor zehn Jahren. Wenn es die schwarzgelbe Bundesregierung heute immer noch so sieht, dann gibt es keinen Spielraum, am damaligen Atomkonsens etwas zu ändern. Wenn sie aber diese Argumente nicht für triftig hält, dann muß sie die damals vereinbarten Beschränkungen aufheben.

    Aber wie kommt sie dazu, sich das von der Atomindustrie bezahlen zu lassen? Wenn ein Auto betriebssicher ist, dann bekommt es die TÜV-Plakette, ohne Bakschisch. Wenn nicht, dann sollte auch kein Bakschisch helfen.

    Es ist nachgerade obszön, es ist wirklich auf dem Niveau korrupter Länder, daß die Bundesregierung offenbar einerseits keinen sachlichen Grund mehr dafür sieht, bei den Vereinbarungen von 2000 zu bleiben (sonst könnte sie nicht zu einer Verlängerung von Laufzeiten bereit sein); daß sie aber dennoch die damals festgelegten Beschränkungen nicht einfach aufhebt, sondern sich das bezahlen lassen will.

    Sie benimmt sich so, als sei sie Herr über die Laufzeiten von KKWs. Obwohl diese privat betrieben werden; obwohl sie bis 2000 allesamt mit einer unbefristeten Betriebsgenehmigung versehen gewesen waren. Es ist die Arroganz der Macht.

    Es ist die reine staatliche Willkür. Es ist Steuereintreiberei nach Art des Spätfeudalismus. Mag freilich sein, daß es damals, wie auch zur Zeit der römischen Steuerpächter, weniger willkürlich zuging.



    Man kann diese staatliche Unverfrorenheit allerdings nicht allein der Kanzlerin anlasten. Sie geht, wie man gestern in der FAZ lesen konnte, zurück auf den schwarzgelben Koalitionsvertrag, in dem es auf Seite 13 heißt:
    Der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Gewinne aus der Laufzeitverlängerung der Kernenergie soll von der öffentlichen Hand vereinnahmt werden.
    Brutaler kann man es kaum formulieren, daß sich der Staat, metaphorisch gesprochen, als ein Räuber versteht. Oder sagen wir: Als - metaphorisch - ein Erpresser, der den Betreibern der KKWs das, worauf sie ohnehin ein Recht haben - nämlich ihre Anlagen so lange zu betreiben, wie diese sich rechnen und sie sicher sind -, nur gegen die Zahlung hoher Lösegelder gestattet.

    Und dann gibt es natürlich noch den üblichen Verdächtigen: die Europäische Union. Den Begriff der "Gegenleistungen", der gestern durch die Nachrichten geisterte, hat nämlich die Kanzlerin selbst nicht verwendet; sie drückte es dezenter aus:
    "Ich glaube, dass wir darüber hinaus - aber hier verwende ich ausdrücklich nicht das Wort Abgabe - natürlich darüber sprechen müssen, in welcher Weise auch die Energiewirtschaft einen Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann." Auch dieser zusätzliche Beitrag bette sich ein "in eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke, die ich persönlich für notwendig und auch absehbar halte", sagte Merkel weiter.
    Einbettung; auch hübsch für das Abpressen von Geld. Der brutale und ehrlichere Begriff "Gegenleistungen" stammt von dem EU-Kommissar Oettinger - Sie erinnern sich, der mit dem aparten Englisch - , der laut sueddeutsche.de in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" vom vergangenen Wochenende sagte,
    die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall müssten als Gegenleistung für eine Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten einen Großteil der dadurch entstehenden Gewinne an den Staat abführen.
    Er sagte es, und kein Aufschrei in der Öffentlichkeit. Die Kanzlerin wird so zitiert, daß sie Gegenleistungen fordere, und niemand regt sich deswegen auf.

    Daß der Staat freien Unternehmen nach Belieben Geld abnehmen darf, damit er ihnen das erlaubt, was ihnen ohnehin zusteht - wen kümmert's?

    Aufregung kommt nur von der anderen Seite, derjenigen der KKW-Gegner. Wie so oft ist wieder einmal Heribert Prantl einsame Spitze:
    Der große Staatsrechtler und frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde verlangt von einer Demokratie, "dass das Handeln ihrer Leitungsorgane so beschaffen ist, dass die Einzelnen und die Bürger insgesamt (das Volk) in diesem Handeln sich wiederfinden können". Selten war eine Bundesregierung von diesem Satz so weit weg wie in ihrer nachgiebigen Reaktion auf das auftrumpfende Drängen der Energiewirtschaft.
    Wenn eine Laufzeitverlängerung gefahrlos möglich ist, dann bräuchte in einem Rechtsstaat die KKW-Industrie überhaupt nicht "auftrumpfend zu drängen". Dann steht es ihr schlicht zu, ihre Anlagen weiter zu betreiben; so, wie der Chinese am Ku'damm in Berlin sein China-Restaurant betreiben darf.

    Freilich unbehelligt unter Umständen nur dann, wenn er den richtigen Leuten Schutzgelder bezahlt. Die Adresse für die, sozusagen, Schutzgelder, die von der Atomindustrie erwartet werden, ist das Bundesministerium der Finanzen, Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.