24. Januar 2011

Gregor Gysi, ein großer deutscher Kommunist. War er IM? Was macht das für einen Unterschied? Nebst einer Linkliste

Gregor Gysi ist einer der großen deutschen Kommunisten. Er steht auf einer Stufe mit Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Walter Ulbricht. Er überragt wie diese Ernst Thälmann und Erich Honecker; der eine mehr eine Symbolfigur als ein großer Politiker, der andere nur ein Verwalter der Macht. Luxemburg, Liebknecht, Ulbricht und Gysi aber haben den deutschen Kommunismus geprägt.

Rosa Luxemburg hat ihm mit ihrer unerbittlichen marxistischen Orthodoxie den ideologischen Stempel aufgedrückt; Grundsatzdiskussionen wie zum Beispiel unter französischen und italienischen Kommunisten hatten in Deutschland nie Bedeutung.

Karl Liebknecht hat dem deutschen Kommunismus seine organisatorische Struktur gegeben; Walter Ulbricht hat ihn, wenn auch nur in einem Teil Deutschlands, an die Macht gebracht und diesen ersten kommunistischen Staat auf deutschem Boden nach seinen Vorstellungen gestaltet. Gregor Gysi hat den deutschen Kommunismus im Herbst und Winter 1989, als er vor dem Untergang zu stehen schien, gerettet und die deutsche kommunistische Partei zur erfolgreichsten Europas gemacht.

Rosa Luxemburg war Ideologin; taktisches Genie hat sie nie unter Beweis gestellt. Liebknecht und Ulbricht waren Ideologen und Taktiker zugleich. Gysi mag nur noch ein Taktiker sein. Seine Verdienste um den deutschen Kommunismus schmälert das nicht.

Er hat dreierlei geleistet.

Erstens hat er die SED vor der Auflösung bewahrt, die in der Wendezeit drohte. Auf den beiden Sonderparteitagen am 9. und 16. Dezember 1989 sorgte er dafür, daß die Partei unter dem neuen Namen SED-PDS weiterbestand. Das war der Beginn einer Serie von Umbenennungen: Aus der SED-PDS wurde die PDS, aus ihr die "Linkspartei.PDS", aus dieser die Partei "Die Linke". Es war und blieb die SED. Auch die heutige Partei "Die Linke" ist rechtlich identisch mit der SED; das hat ihr Schatzmeister an Eides statt versichert. Diese Partei verdankt es ganz entscheidend Gregor Gysi, daß sie überhaupt noch existiert.

Dieses Fortbestehen der SED wurde allerdings - und darin liegt das zweite große Verdienst Gysis um den deutschen Kommunismus - seit der ersten Umbenennung camoufliert. Man blieb die alte Partei, aber man suchte den Eindruck zu erwecken, man sei eine neue Partei. Das war erforderlich, um die Partei an die neuen Kampfbedingungen nach der Wiedervereinigung anzupassen. Gysi hat seiner Partei diese Tarnung verordnet, und sie hat das umgesetzt.

Gysi hat es verstanden, den deutschen Kommunismus durch den wiederholten Namenswechsel der Partei und durch eine geschickte Imagepflege sozusagen weichzuspülen. Er hat ihm ein völlig anderes Markenimage verpaßt, als es bis 1990 bestanden hatte: Wahrgenommen wird die Partei "Die Linke" heute überwiegend nicht mehr als eine kommunistische Partei; nicht als die Schwesterpartei der anderen kommunistischen Parteien in Europa, die sie ist (siehe "Die Linke" und die Kommunisten; ZR vom 18. 2. 2008, und Lothar Bisky, Vorsitzender zweier Parteien; ZR vom 1. 9. 2008).

Man soll vielmehr die Partei "Die Linke" als eine Partei wie jede andere sehen, die nicht die Diktatur des Proletariats anstrebt, sondern soziale Gerechtigkeit und eine bessere Berücksichtigung der Interessen der ostdeutschen Bundesländer. Eine zweite SPD als Partei des kleinen Mannes; eine zweite CSU als Regionalpartei. Diese - wie der alte Insider Günter Schabowski es nannte - "Mimikry" war überaus erfolgreich.

Drittens hat Gysi durch die Verbrüderung mit seinem Freund, dem SPD-Dissidenten Oskar Lafontaine, und durch die Aufnahme von dessen WASG in die kommunistische Partei die Westausdehnung ermöglicht. Ein mutiger Schritt, denn er bedeutete, daß der Partei fortan nicht nur linientreue Genossen, sondern auch allerlei Trotzkisten und freischwebende Linke angehören würden. Aber ein eminent erfolgreicher Schritt, der aus einer knapp oberhalb der fünf Prozent stagnierenden Partei eine Partei machte, die in derselben Liga spielt wie die Grünen und wie (jedenfalls bis vor kurzem) die FDP.

Gregor Gysi ist jetzt seit mehr als 21 Jahren der - nominelle oder faktische - Vorsitzende der deutschen Kommunisten. Er hat damit nicht nur, selbstverständlich, in der Dauer seines Wirkens Rosa Luxemburg, Wilhelm Liebknecht und Ernst Thälmann hinter sich gelassen. Er hat auch Walter Ulbricht eingeholt, der von 1950 bis 1971 an der Spitze der SED stand; und er hat die 18 Jahre Erich Honeckers längst übertroffen.



Dieser Mann nun muß sich immer wieder mit Vorwürfen herumschlagen, er sei ein Spitzel des MfS gewesen.

Das Thema wurde letzte Woche wieder aktuell, weil am Donnerstag (freilich eine halbe Stunde vor Mitternacht) eine Sendung lief, die noch einmal Gysis Tätigkeit als Rechtsanwalt in der DDR nachging: "Die Akte Gysi". Die Autoren Silke König und Hans-Jürgen Börner haben gute Arbeit geleistet und das zusammengetragen, was über diese Tätigkeit im Lauf der vergangenen beiden Jahrzehnte bekannt geworden war. In der Ankündigung des NDR wird das so beschrieben:
Die NDR/ARD-Dokumentation "Die Akte Gysi" zeigt, wie aus einem willigen Helfer des DDR-Systems ein populärer, gesamtdeutscher Politiker wurde. Und wie er trotz aller Stasi-Vorwürfe immer noch als Stimme der Benachteiligten und Unterdrückten hofiert wird. (...) Er hatte beste Kontakte ins ZK der SED und auch zur Staatssicherheit. Original-Akten, die über das Wirken des Rechtsanwalts Gysi Auskunft geben könnten, wurden nach der Wende offenbar größtenteils vernichtet. Aber in den Akten seiner ehemaligen Mandanten finden sich die Kopien von Stasi-Berichten.
Gysi wäre nicht Gysi, wenn ihn nicht diese Sendung - genauer: ihre Ankündigung - sofort zu einem juristischen Vorstoß veranlaßt hätte. Er möchte halt nicht in die Nähe von Spitzeln gerückt oder gar als ein solcher dargestellt werden (was die Sendung übrigens nicht explizit tat).

Ich kann das verstehen. Gysi war schon vor der Wende einer der wichtigsten Leute des kommunistischen Regimes; wenn auch seine eigentliche Leistung erst nach der Wiedervereinigung liegt. Er verkehrte von gleich zu gleich mit den Leuten des ZK der SED; er tat einem von ihnen schon einmal einen Gefallen. Honecker lobte seine Arbeit und bat, ihm freundliche Grüße auszurichten.

Gysi war in der DDR Koch und nicht Kellner. Ob er nun beim MfS etwas unterschrieben hat oder nicht; wie man ihn dort nominell geführt hat; auf welchem Weg seine Berichte in die dortigen Akten gelangten - was macht das für einen Unterschied? Daß dieser bedeutende deutsche Kommunist die Interessen seiner Partei vor der Wende ebenso vertreten hat wie danach, liegt doch auf der Hand.



Wenn Sie schon längere Zeit ZR lesen, dann wird Ihnen das meiste, was die Sendung "Die Akte Gysi" berichtete, nicht neu gewesen sein. Hier sind einige der Artikel, in denen ich mich mit Gysis Tätigkeit zur Zeit der DDR und mit seinem Wirken in der Bundesrepublik befaßt habe:
  • Ein Mann tritt für die Freiheit ein; ZR vom 27. 9. 2006
  • Ein Insider über die PDS; ZR vom 13. 6. 2007
  • Warum zum Teufel Gregor Gysi?; ZR vom 12. 12. 2007
  • Gregor Gysi darüber, "in einer Bundesregierung mitzuwirken"; ZR vom 17. 4. 2008
  • Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi; ZR vom 20. 5. 2008
  • Die Würde des Gregor Gysi; ZR vom 28. 5. 2008
  • Aus Vera Lengsfelds Bericht über ihre Erfahrungen mit dem Anwalt Gregor Gysi; ZR vom 29. 5. 2008
  • Robert Havemanns Verhältnis zu seinem Anwalt Gregor Gysi; ZR vom 30. 5. 2008
  • Warum versuchte Michael Gorbatschow die DDR nicht mit der Roten Armee zu retten? Über ein denkwürdiges Telefonat des SED-Vorsitzenden Gysi; ZR vom 6. 3. 2009
  • Gregor Gysi, eine Flucht aus der DDR, die Freiheit der Presse; ZR vom 20. 9. 2009
  • "Gerade dieser Zusammenhang ...". Dialektik im Bundestag. Der israelische Soldat Gilad Shalit und Gregor Gysis Wirken in der DDR; ZR vom 13. 11. 2010
  • Gregor Gysi schon wieder unter falschem Verdacht; ZR vom 20. 12. 2010



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