6. Februar 2010

Zur Strategie und Taktik der FDP

Bei den Bundestagswahlen am 27. September 2009 erhielten die Parteien der jetzigen Koalition gemeinsam 48,4 Prozent der Stimmen. Sie setzten sich zusammen aus 33,8 Prozent für die Union und 14,6 Prozent für die FDP. Die Liberalen hatten also einen Anteil von fast einem Drittel (30,2 Prozent) am gesamten Stimmenaufkommen des christlich- liberalen Lagers. Würde jetzt gewählt, dann erhielten - siehe diese Grafik zu einem Artikel von Günter Bannas, der gestern in FAZ.Net erschien - die Koalitionsparteien zusammen 44 Prozent. Davon entfielen nur noch weniger als ein Fünftel (18,1 Prozent) auf die FDP (8 Prozent der Befragten gegenüber 36 Prozent für die Union).
Die Daten von infratest dimap, die in der Grafik dargestellt sind, zeigen, wie die FDP von Umfrage zu Umfrage an Zustimmung einbüßte. Noch ein Prozentpunkt weniger, und sie hätte mehr als die Hälfte der Wähler verloren, die ihr vor noch nicht einmal fünf Monaten ihr Vertrauen geschenkt hatten.

Es ist wahrlich an der Zeit für eine Krisensitzung, wie sie die Fraktionsführung im Bundestag und das Präsidium der FDP für den morgigen Sonntag angesetzt haben.



Einen solchen dramatischen Abstieg hat kaum jemals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Regierungspartei in einem so kurzen Zeitraum nach der Regierungsbildung erlebt.

Was ist los mit den Liberalen? Ich empfehle dazu die Lektüre des klugen und differenzierten Artikel, den Rayson gestern in B.L.O.G. zu den ersten hundert Tagen der Regierung publiziert hat. Hier in ZR habe ich zweimal - zuerst mit vorsichtiger Skepsis und dann mit einer gewissen Bestürzung - kommentiert, wie schlecht sich die FDP im Augenblick in der Öffentlichkeit darstellt (FDP zurück ins Glied. Eine Hoffnung zerfällt; ZR vom 4. 1. 2010 und Die schwarzgelben Lemminge; ZR vom 3. 2. 2010).

Rayson weist sehr zu Recht darauf hin, daß ein großer Teil der Leitmedien sofort nach der Regierungsbildung die FDP unter Feuer nahm:
Entweder man malt, wie zu Beginn, ein Horrorszenario der Zumutungen, die alle aufgrund der FDP- Programmatik für Empfänger staatlicher Zuwendungen zu erwarten sind, oder man kritisiert, wenn sich das Schreckensgebilde nicht materialisiert, dass die FDP nichts habe umsetzen können. Um das negative Fazit muss man sich auf jeden Fall keine Gedanken machen.
Aber Rayson merkt auch an, daß dies allein das Bild, das die FDP bietet, nicht erklären kann:
Hat die FDP also keine Fehler gemacht? Doch, jede Menge. Und sie begeht sie weiter. Um ein derart negatives Erscheinungsbild herbeizuführen, reicht selbst ein konzertiertes Medienfeuer nicht aus.
Zu den taktischen Fehlern der FDP rechnet Rayson die Besetzung der Ministerien; zu den strategischen Fehlern vor allem, daß eine Partei, die 20 Prozent anstrebt, es vermeiden müsse, den Anschein der Klientelpolitik zu erwecken (wie bei der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotel- Übernachtungen); sie andererseits aber auch nicht (wie jetzt bei dem Zusatzbeitrag der Krankenkassen) die "Rhetorik der Sozialdemokraten ... übernehmen" dürfe.

Eine treffliche Analyse.

Die Chance der FDP lag - und liegt natürlich immer noch - darin, über ihre klassische Klientel hinaus zu einer Partei der Leistungsträger, der Aufstiegsorientierten aus (nahezu) allen Schichten zu werden (siehe "Gesellschaftliche Mitte" vs. "linke Bürgerlichkeit". Die Chance der FDP; ZR vom 11. 10. 2009).

Wenn sie das will, dann muß sie zwischen Skylla und Charybdis zu navigieren wissen; sie muß über ihre klassische Rolle als Interessenvertreter des mittleren bis gehobenen Bürgertums hinauswachsen, ohne aber in das Gestrüpp einer allgemeinen Sozialdemokratisierung hineinzuwachsen.



Sie muß sich also innenpolisch profilieren; wirtschafts- und ordnungspolitisch.

Mit einem Vorsitzenden, der als Außenminister durch die Welt jettet, ist das nicht ganz einfach. Es ist nicht einfach mit einem Wirtschaftsminister, der die klassische Mittelschichts- Klientel der FDP geradezu personifiziert.

Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, die aus früheren Tagen als kompromißlose Streiterin für die bürgerlichen Freiheitsrechte bekannt ist, würde in eine solche Strategie passen; sie könnte den weiten Bereich jener Leistungsträger ansprechen, denen der Schutz vor Zu- und Eingriffen durch den Staat am Herzen liegt. Aber sie schweigt.

Der einzige in der Riege der FDP-Minister, der mit seiner Person eindeutig für eine neue strategische Ausrichtung steht, ist der junge Philip Rösler.

Er hat Recht, wenn er auf jenem Umbau der Krankenversicherung beharrt, der mit dem unglücklichen Etikett "Kopfpauschale" belegt ist. (Hat die FDP eigentlich niemanden, der sich um politische Semantik kümmert?). Die FDP hat auch Recht, wenn sie auf einem grundsätzlichen Umbau des Steuersystems beharrt. Das sind zwei Projekte, die in die skizzierte Ausrichtung auf neue Wählerschichten passen.

Nur sind es andererseits eben strategische Vorhaben. Sie brauchen einen langen Atem. Es leuchtet nicht ein, daß man Steuersenkungen ausgerechnet dann vorantreiben muß, wenn die Konsolidierung der Staatsfinanzen nach einer schweren Krise auf der Tagesordnung steht. Für einen Umbau des Systems der Krankenversicherung wird man erst dann eine gesellschaftliche Mehrheit gewinnen können, wenn man geduldig und ausdauernd dessen Vorteile plausibel gemacht hat. Beides sind langfristig angelegte Projekte, die keine Eile vertragen und sie auch nicht benötigen.

Hier scheint mir der Hauptfehler der FDP zu liegen, und die zentrale Ursache für ihren momentanen Niedergang in der Wählergunst: Man hat den Eindruck, daß sie Vorhaben übers Knie brechen möchte, die nicht in die momentane Situation passen. Das riecht nach Ideologie.

Man sieht auf der anderen Seite wenig konstruktive politische Arbeit (gerade auch nicht beim Außenminister, dessen Politik noch keine Konturen hat).
Dabei spielen natürlich auch die Querelen mit der Union, vor allem der CSU, eine Rolle. Sie werden vom Wähler - sieht man sich die Umfragedaten an - offenbar der FDP mehr zugeschrieben als der Union. Das mag ungerecht sein, aber es gelingt der Kanzlerin nun einmal, sich als ausgleichend und sachlich darzustellen; und als Person ist sie das ja wohl auch. In ihrem Schatten kann viel an Gezänke seitens der Union in Szene gesetzt werden, ohne daß das jedenfalls der CDU sonderlich schaden würde; bei der CSU mag es etwas anders sein.



Die Geschichte mit den Lemmingen ist zum Glück nur eine Legende.

Die jetzigen acht Prozent entsprechen nicht dem Potential der FDP. Sie kann sich wieder berappeln; freilich wird ihr eine Wende nicht in den Schoß fallen.

Keine Klientelpolitik mehr, auch nicht das Erwecken eines einschlägigen Anscheins. Ein langer Atem auf der strategischen Ebene. Rückbesinnung darauf, daß die FDP die Partei der Bürgerrechte ist (und sie deshalb in der CD-Affäre ein offenes Wort hätte wagen müssen). Ein Ende des koalitionsinternen Gezerres; auch wenn es schwer fällt, eine Provokation aus der CSU nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Das könnte vielleicht eine Linie sein, die mittelfristig die FDP wieder aus dem Tal der 8 Prozent herausführt.

Und ein Außenminister wird gebraucht, der endlich seine Amtsführung auch denen zu vermitteln vermag, denen er dieses Amt verdankt. Der es deutlich macht, daß er in diesem Amt die Pflicht hat, die deutschen Interessen zu vertreten; nicht die Polens, nicht diejenigen der Türkei. Ein freundliches Auftreten überall, Verständnis für die diplomatischen Partner - das ist sicherlich kein Fehler. Nur darf nicht der Eindruck entstehen, das sei die Substanz und nicht ihre Verpackung.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Guido Westerwelle auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hessen im Januar 2009. Autor: Cgaa. Frei unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License; bearbeitet.