17. Februar 2010

Marginalie: Die ISAF-Offensive in Südafghanistan. Ihre Ziele, ihre Chancen, ihre Risiken

Kaum hatten am vergangenen Samstag die ISAF-Truppen zusammen mit afghanischen Einheiten ihre Offensive in der Provinz Helmand begonnen, da kamen auch schon die Erfolgsmeldungen. Bereits am Montag berichtete Reuters:
Die US-Truppen kommen mit ihrer Offensive gegen die Taliban im Süden Afghanistans nach eigenen Angaben gut voran, müssen aber viele Gebiete zunächst von Sprengfallen säubern. (...) In manchen Gegenden von Mardscha seien die Soldaten kaum auf Widerstand gestoßen, hieß es.
Das ist kein Wunder, folgt man dem Artikel, in dem gestern bei Stratfor, dem auf Geheimdienst- Informationen spezialisierten Informationsdienst, die Autoren Kamran Bokhari, Peter Zeihan und Nathan Hughes diese Offensive analysierten.

Es handle sich, schreiben sie, um einen klassischen Kampf hochgerüsteter regulärer Truppen gegen Guerrilleros. Jene hätten in einer offenen Schlacht keine Chance. Also würden sie sich bei einer Offensive zurückziehen und später zurückkehren: "The guerrillas always decline combat in the face of a superior military force only to come back and fight at a time and place of their choosing". Die Zeit spiele den Guerrilleros in den Hände, wenn es sich um eine fremde Truppe handle. Denn diese müsse irgendwann abziehen; so lange könnten die Guerrilleros eben mit ihrer Rückkehr warten.

Dies ist eines der Details aus einem durchweg informativen Artikel. Hier einige weitere:

  • Warum hatten sich die Taliban in der Provinz Helmand festgesetzt?

    Zum einen ist sie eines der besonders religiösen Gebiete Afghanistans und deshalb eine traditionelle Hochburg der Taliban; die heilige Stadt Kandahar ist in der Nähe.

    Sodann ist sie das Haupt- Anbaugebiet für Opium. Helmand erzeugt mehr Heroin als irgendein Land der Erde, und die Stadt Mardschah (die jetzt von den ISAF-Truppen zurückerobert wurde), ist das Zentrum der Heroinherstellung. Es wird geschätzt, daß die Taliban monatlich ungefähr 200.000 Dollar aus diesem Geschäft beziehen.

    Drittens ist diese Gegend im Süden Afghanistans mit ihren vielen Straßen und Kanälen gut dazu geeignet, Invasoren durch Sprengfallen aufzuhalten.


  • Welches sind die Ziele der Offensive?

    Das Ziel ist es nicht, die Taliban vernichtend zu schlagen. Das würde verlangen, daß die internationalen Truppen auf unabsehbare Zeit in Afghanistan bleiben. Vielmehr soll erreicht werden, daß sie keine Städte und Bevölkerungszentren kontrollieren. Damit wäre ihnen ein wesentlicher Teil ihrer Ressourcen genommen. Sie wären nicht besiegt, könnten aber ihrerseits nicht gewinnen. Damit wäre die Hauptgefahr für den Westen beseitigt; nämlich die, daß in Afghanistan wieder eine Infrastruktur der Kaida entsteht.

    Zweitens sollen die Voraussetzungen für eine Verwaltung der Provinz von Kabul aus geschaffen werden. Die Taliban konnten sich bisher vor allem dann in einer Gegend etablieren, wenn dort die legale Verwaltung schwach, korrupt oder gar inexistent war. Sie wurden dann auch von der Bevölkerung als eine Kraft akzeptiert, die immerhin für eine gewisse Ordnung sorgt. Jetzt soll eine effizientere Verwaltung aufgebaut werden.


  • Wie groß sind die Chancen, daß diese Ziele erreicht werden?

    Die Autoren sind vorsichtig optimistisch. Die eigentliche Herausforderung sei es nicht, Mardschah und die Provinz militärisch zu erobern. Das Problem sei es, das Gebiet auch zu halten.

    Es existiert bereits eine Verwaltung für Mardschah, die nur darauf wartet, dorthin gebracht zu werden, um ihre Tätigkeit aufzunehmen. Es werde, meinen die Autoren, wesentlich auf die Arbeit dieser Verwaltung ankommen, ob die Operation am Ende ein Erfolg werden wird.



  • Ich habe seit dem Amtsantritt von Präsident Obama dessen Afghanistan- Politik immer wieder kritisch kommentiert; von seiner ersten Formulierung einer "neuen Strategie" für das Land im März 2009 (Präsident Obamas verwirrende Strategie für Afghanistan; ZR vom 31. 3. 2009) bis zu der Entscheidung Ende 2009, 30.000 weitere Soldaten zu entsenden (Obama zu Afghanistan; ZR vom 2. 12. 2009).

    Zu dieser Entscheidung gab es einen erhellenden Kommentar (auch wieder in Stratfor, von George Friedman), über den ich einige Tage nach dem zweiten Artikel berichtet habe (Wie zynisch ist die Afghanistan- Politik von Präsident Obama?; ZR vom 9. 12. 2009). Sein Fazit war, daß das jetzige Ziel Obamas nicht mehr die Befriedung Afghanistans oder gar der Aufbau eines demokratischen Landes ist, sondern die Herstellung eines Zustands, in dem Regierungstruppen und Taliban einander auf unbestimmte Zeit bekämpfen können, ohne daß eine Seite siegt.

    Damit wäre den Interessen der USA Genüge getan, nicht wieder ein Afghanistan entstehen zu lassen, das der Kaida Rückzugsgebiete und Trainingsmöglichkeiten geben würde. Sie könnten also zusammen mit ihren Alliierten abziehen.
    Es scheint, daß die jetzige Offensive exakt dieser neuen Strategie folgt.



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