Die Einwanderung von Wörtern gibt es mit und ohne eine gleichzeitige Einwanderung derer, die diese Wörter ursprünglich benutzen.
Lateinische Wörter wanderten in die germanischen Sprachen dadurch ein, daß Römer sich in Germanien niederließen; temporär oder auf Dauer. Auf demselben Weg gelangten arabische Wörter ins Spanische und von dort in andere europäische Sprachen.
Französische Begriffe wanderten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hingegen ins Deutsche ein, ohne daß dem (sieht man von den Hugenotten ab) eine Einwanderung von Franzosen zugrundelag. Die Gebildeten und der Adel orientieren sich an Frankreich; so gelangten Wörter wie Courage und Dessert ins Deutsche.
Lateinische Wörter wanderten in die germanischen Sprachen dadurch ein, daß Römer sich in Germanien niederließen; temporär oder auf Dauer. Auf demselben Weg gelangten arabische Wörter ins Spanische und von dort in andere europäische Sprachen.
Französische Begriffe wanderten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hingegen ins Deutsche ein, ohne daß dem (sieht man von den Hugenotten ab) eine Einwanderung von Franzosen zugrundelag. Die Gebildeten und der Adel orientieren sich an Frankreich; so gelangten Wörter wie Courage und Dessert ins Deutsche.
Ebenso ist es gegenwärtig mit der großen Welle der Einwanderung englischer Wörter; ihr entspricht keine Einwanderung von Menschen aus englischsprachigen Ländern.
Anders beim Arabischen, beim Türkischen. Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert erlebt Europa eine Einwanderung aus dem Orient. Bisher hat sie sich auf die europäischen Sprachen aber erstaunlich wenig ausgewirkt. Bis auf den Döner gibt es im Deutschen so gut wie keine Fremdwörter aus dem Türkischen. Ähnlich fehlen in der französischen Sprache weitgehend Wörter arabischer Herkunft; es sei denn, daß sie schon früher auf dem Weg über die Mauren in Spanien dorthin gelangten.
Im französischen Nouvel Observateur hat sich jetzt der Kolumnist Delfeil de Ton, ein libertärer Altlinker, mit der Einwanderung von Wörtern aus dem Arabischen befaßt; vor allem mit einem Wort: Burqa. Der Artikel ist ein typischer Delfeil de Ton - sarkastisch, analytisch, der humanitären Tradition verpflichtet. Und es ist ein sehr französischer Artikel.
In Frankreich hat man ein anderes Verhältnis zur Sprache als in Deutschland. Über deren Reinheit wacht die traditionsreiche Académie Française, die 1635 vom Kardinal Richelieu gegründet wurde und "dont la fonction est de normaliser et de perfectionner la langue française"; so die Wikipédia - deren Funktion es ist, die französische Sprache zu vereinheitlichen und zu perfektionieren.
Das tut sie im mittlerweile fünften Jahrhundert mit so großem Erfolg, daß jedem auch nur halbwegs gebildeten Franzosen die Sprache ungleich wichtiger ist als uns Deutschen. Man kann das zum Beispiel daran ablesen, daß der Nouvel Observateur - eines der führenden Nachrichtenmagazine, dem "Spiegel" vergleichbar - jedes Jahr während der Großen Ferien ein über Wochen laufendes Rätsel zu den Feinheiten des Französischen anbietet; siehe Worüber rätseln die Franzosen in den Ferien?; ZR vom 2. 8. 2009.
Delfeil de Ton nun also widmet sich in dieser Woche sprachkritisch der Burka. Es ist eigentlich nur eine Anmerkung; die Kolumne beginnt und endet mit anderen Themen. Es ist aber eine Anmerkung, die mir eine Einsicht von einigem Gewicht zu enthalten scheint. Ich paraphrasiere und ergänze sie im Folgenden.
Delfeil de Ton sagt, er selbst schreibe "burqua" und nicht - wie es sich inzwischen eingebürgert hat - "burqa". Die "burqa" hat in letzter Zeit in den Zeitungen, in den Zeitschriften die "burqua" verdrängt. Telfeil de Ton bemängelt das.
"Burqa" verstößt nämlich gegen die französische Orthographie. Auf ein "q" vor einem Vokal folgt im Französischen (wie auch im Deutschen) unweigerlich zuerst ein "u". Erst die Kombination "qu" ergibt an dieser Stelle das Graphem, das im Französischen als "k" ausgesprochen wird. Daß einem Phonem ein Graphem aus mehreren Buchstaben entspricht, ist ja nichts Ungewöhnliches; Beispiele sind im Deutschen das "sch" und im Französischen das "ou", das wie "u" gesprochen wird; oder im Englischen das "th".
Ursprünglich wurde das arabische Wort برقع im Französischen als "burqua" transskribiert (die Wikipédia nennt allerdings auch die Schreibweisen "burka" und "bourka"). Diese orthographisch korrekte Schreibweise wurde dann aber zum orthographisch falschen "burqa"; und dahinter stecken - meint Delfeil de Ton, und hier wird es interessant - zwei ganz verschiedene Motive.
Wenn man ein Wort so schreibt, daß man damit die Regeln der Orthographie verletzt, dann erscheint dieses Wort fremd; als ein Eindringling. Warum wählt man diese Schreibweise?
Man kann das zum einen tun, um die Fremdheit der Sache hervorzuheben, die mit dem Wort bezeichnet wird. Die Burka - so könnte man mit der Schreibweise "burqa" signalisieren - paßt so wenig nach Frankreich, wie das Wort in die französische Sprache gehört. So sei es zunächst gewesen, meint Delfeil de Ton: Wer "burqa" schrieb, der drückte damit aus, daß die Burka in Frankreich ein Fremdkörper ist.
Warum hat sich diese Schreibweise dann aber inzwischen auch in den politisch korrekten Medien durchgesetzt? Weil man die Sache auch umgekehrt sehen kann:
In der Tat: Nicht nur in der Sprache gibt es diese Ambivalenz, was Fremdheit und Assimilation angeht. Wer irgendwo hinkommt und sich nicht an die dort geltenden Regeln hält, der kann damit als Außenseiter gebrandmarkt sein. Er kann mit seiner Verweigerung aber auch zum Ausdruck bringen, daß er diese Regeln bewußt mißachtet und daß er willens ist, seine eigenen Regeln durchzusetzen.
Assimilation ist eben ein sozusagen ergebnisoffener Prozeß. Der Fremde kann sich assimilieren, er kann aber auch Einheimische und Einheimisches an sich zu assimilieren versuchen. An seine Normen, sein Verhalten und eben auch seine Sprache.
Frankreich ist ein traditionell einwanderungsfreundliches Land. Aber die Großzügigkeit, mit der man Fremde aufgenommen hat, stand immer unter der Voraussetzung, daß sie keine Fremden bleiben wollten.
Assimilation gehörte zu jener französischen nationalen Identität, über die im Augenblick eine breit angelegte öffentliche Debatte stattfindet (siehe Ein Minister für nationale Identität startet eine Debatte über nationale Identität; ZR vom 26. 10. 2009, sowie Kleine Hommage an Jean Daniel; ZR vom 11. 12. 2009). Daß dieses Thema in Frankreich jetzt so heftig diskutiert wird, liegt nicht nur an dem Minister Besson, der die Debatte anstieß. Es liegt auch daran, daß vielen Franzosen dieses Grundprinzip, daß Einwanderer kommen, um sich zu assimilieren, zunehmend in Frage gestellt erscheint. Die Burka ist dafür ein Symbol.
Anders beim Arabischen, beim Türkischen. Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert erlebt Europa eine Einwanderung aus dem Orient. Bisher hat sie sich auf die europäischen Sprachen aber erstaunlich wenig ausgewirkt. Bis auf den Döner gibt es im Deutschen so gut wie keine Fremdwörter aus dem Türkischen. Ähnlich fehlen in der französischen Sprache weitgehend Wörter arabischer Herkunft; es sei denn, daß sie schon früher auf dem Weg über die Mauren in Spanien dorthin gelangten.
Im französischen Nouvel Observateur hat sich jetzt der Kolumnist Delfeil de Ton, ein libertärer Altlinker, mit der Einwanderung von Wörtern aus dem Arabischen befaßt; vor allem mit einem Wort: Burqa. Der Artikel ist ein typischer Delfeil de Ton - sarkastisch, analytisch, der humanitären Tradition verpflichtet. Und es ist ein sehr französischer Artikel.
In Frankreich hat man ein anderes Verhältnis zur Sprache als in Deutschland. Über deren Reinheit wacht die traditionsreiche Académie Française, die 1635 vom Kardinal Richelieu gegründet wurde und "dont la fonction est de normaliser et de perfectionner la langue française"; so die Wikipédia - deren Funktion es ist, die französische Sprache zu vereinheitlichen und zu perfektionieren.
Das tut sie im mittlerweile fünften Jahrhundert mit so großem Erfolg, daß jedem auch nur halbwegs gebildeten Franzosen die Sprache ungleich wichtiger ist als uns Deutschen. Man kann das zum Beispiel daran ablesen, daß der Nouvel Observateur - eines der führenden Nachrichtenmagazine, dem "Spiegel" vergleichbar - jedes Jahr während der Großen Ferien ein über Wochen laufendes Rätsel zu den Feinheiten des Französischen anbietet; siehe Worüber rätseln die Franzosen in den Ferien?; ZR vom 2. 8. 2009.
Delfeil de Ton nun also widmet sich in dieser Woche sprachkritisch der Burka. Es ist eigentlich nur eine Anmerkung; die Kolumne beginnt und endet mit anderen Themen. Es ist aber eine Anmerkung, die mir eine Einsicht von einigem Gewicht zu enthalten scheint. Ich paraphrasiere und ergänze sie im Folgenden.
Delfeil de Ton sagt, er selbst schreibe "burqua" und nicht - wie es sich inzwischen eingebürgert hat - "burqa". Die "burqa" hat in letzter Zeit in den Zeitungen, in den Zeitschriften die "burqua" verdrängt. Telfeil de Ton bemängelt das.
"Burqa" verstößt nämlich gegen die französische Orthographie. Auf ein "q" vor einem Vokal folgt im Französischen (wie auch im Deutschen) unweigerlich zuerst ein "u". Erst die Kombination "qu" ergibt an dieser Stelle das Graphem, das im Französischen als "k" ausgesprochen wird. Daß einem Phonem ein Graphem aus mehreren Buchstaben entspricht, ist ja nichts Ungewöhnliches; Beispiele sind im Deutschen das "sch" und im Französischen das "ou", das wie "u" gesprochen wird; oder im Englischen das "th".
Ursprünglich wurde das arabische Wort برقع im Französischen als "burqua" transskribiert (die Wikipédia nennt allerdings auch die Schreibweisen "burka" und "bourka"). Diese orthographisch korrekte Schreibweise wurde dann aber zum orthographisch falschen "burqa"; und dahinter stecken - meint Delfeil de Ton, und hier wird es interessant - zwei ganz verschiedene Motive.
Wenn man ein Wort so schreibt, daß man damit die Regeln der Orthographie verletzt, dann erscheint dieses Wort fremd; als ein Eindringling. Warum wählt man diese Schreibweise?
Man kann das zum einen tun, um die Fremdheit der Sache hervorzuheben, die mit dem Wort bezeichnet wird. Die Burka - so könnte man mit der Schreibweise "burqa" signalisieren - paßt so wenig nach Frankreich, wie das Wort in die französische Sprache gehört. So sei es zunächst gewesen, meint Delfeil de Ton: Wer "burqa" schrieb, der drückte damit aus, daß die Burka in Frankreich ein Fremdkörper ist.
Warum hat sich diese Schreibweise dann aber inzwischen auch in den politisch korrekten Medien durchgesetzt? Weil man die Sache auch umgekehrt sehen kann:
En face, chez les prosélytes de la burqua, l'entrée dans le vocabulaire de cette écriture qui viole la langue représente une nouvelle victoire, après que le spectacle de la burqua s'est imposé dans la rue.
Daß diese Schreibweise, welche die französische Sprache vergewaltigt, in den französischen Wortschatz Eingang findet, bedeutet demgegenüber für die Proselyten der Burka einen weiteren Sieg, nachdem der Anblick der Burka sich schon auf der Straße durchgesetzt hat.
In der Tat: Nicht nur in der Sprache gibt es diese Ambivalenz, was Fremdheit und Assimilation angeht. Wer irgendwo hinkommt und sich nicht an die dort geltenden Regeln hält, der kann damit als Außenseiter gebrandmarkt sein. Er kann mit seiner Verweigerung aber auch zum Ausdruck bringen, daß er diese Regeln bewußt mißachtet und daß er willens ist, seine eigenen Regeln durchzusetzen.
Assimilation ist eben ein sozusagen ergebnisoffener Prozeß. Der Fremde kann sich assimilieren, er kann aber auch Einheimische und Einheimisches an sich zu assimilieren versuchen. An seine Normen, sein Verhalten und eben auch seine Sprache.
Frankreich ist ein traditionell einwanderungsfreundliches Land. Aber die Großzügigkeit, mit der man Fremde aufgenommen hat, stand immer unter der Voraussetzung, daß sie keine Fremden bleiben wollten.
Assimilation gehörte zu jener französischen nationalen Identität, über die im Augenblick eine breit angelegte öffentliche Debatte stattfindet (siehe Ein Minister für nationale Identität startet eine Debatte über nationale Identität; ZR vom 26. 10. 2009, sowie Kleine Hommage an Jean Daniel; ZR vom 11. 12. 2009). Daß dieses Thema in Frankreich jetzt so heftig diskutiert wird, liegt nicht nur an dem Minister Besson, der die Debatte anstieß. Es liegt auch daran, daß vielen Franzosen dieses Grundprinzip, daß Einwanderer kommen, um sich zu assimilieren, zunehmend in Frage gestellt erscheint. Die Burka ist dafür ein Symbol.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Johann Gottfried Herder. Gemälde von Johann Ludwig Strecker (1775). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier.