19. Februar 2010

Kleines Klima-Kaleidoskop (9): Phil Jones antwortet seinen Kritikern. Klimakämpfer in ihren Schützengräben

Anders als die meisten Gläubigen sind Wissenschaftler sich klar darüber, daß jeder von ihnen Unrecht haben kann. Das begründet Respekt vor denjenigen, die andere wissenschaftliche Meinungen vertreten. Das ermöglicht die faire Diskussionen mit dem Ziel, gemeinsam der Wahrheit näherzukommen.

In der Klimawissenschaft fehlte es in den vergangenen Jahrzehnten in nicht unerheblichem Maß an diesen Merkmalen des Wissenschaftsprozesses. Eine offene, kontroverse Diskussion über die Theorie der menschengemachten globalen Erwärmung fand unter der Ägide des Weltklimarats (IPCC) kaum statt. Die Vertreter dieser Theorie - ich nenne sie im Folgenden die IPCC-Theorie - benahmen sich oft so, als seien allein sie im Besitz der Wahrheit.

Kritikern wurde nicht argumentativ begegnet, sondern man hat sie abgekanzelt; einen besonders unangenehmen Text dieser Art hat beispielsweise vor zweieinhalb Jahren der Ozeanograph Stefan Rahmstorf verfaßt (siehe Diskussionen über das Klima und das Klima von Diskussionen; ZR vom 4. 9. 2007).

Die Diskussion, die innerhalb der Scientific Community weitgehend nicht stattfand - jedenfalls nicht offiziell, nicht in den Publikationen -, wurde durch diese Methode des Exorzierens nach außen gedrängt. Vieles von dem, was eigentlich im Rahmen des Wissenschaftsprozesses selbst an Kritik hätte vorgebracht werden müssen, wurde in das Umfeld verlagert; es wurde von Autoren formuliert, die selbst auf diesem Gebiet nicht forschen.

Sie konnten und können sich durch diese Position außerhalb des Wissenschaftsbetriebs unbefangener äußern. Eine Stellungnahme gegen die IPCC-Theorie kann sie nicht ihre Karriere kosten, weil sie gar keine machen. Andererseits ist zu fragen, ob denn jemand, der selbst auf einem Gebiet nicht forscht, überhaupt die Kompetenz haben kann, die Arbeiten von Forschern kritisch zu beurteilen.

Zwar sind unter den Kritikern des IPCC-Modells auch ausgewiesene Forscher wie Horst Malberg, Fred Singer und Nils-Axel Mörner. Aber es überwiegen bei den Klimaskeptikern doch diejenigen, die nicht selbst in der Klimaforschung arbeiten. Autoren, die nicht in angesehenen Fachzeitschriften publizieren, sondern überwiegend in Blogs. Oft sogar ohne Ausbildung in einer der Mutterwissenschaften der Klimatologie; also z.B. in Physik, Meteorologie, Glaziologie oder Ozeanographie.

Es ist dadurch eine verfahrene Situation entstanden. An die Stelle einer für alle theoretischen Ansätze offenen, von gegenseitigem Respekt getragenen Diskussion ist ein Kampf zwischen zwei Lagern getreten. Jedes hat sich eingegraben und feuert aus seinen Geschützen.

Wie schwer da eine Diskussion ist, das zeigen ein am vergangenen Montag von NatureNews publizierter Artikel und die Kommentare dazu. NatureNews ist eine Online- Publikation des Wissenschaftsmagazins Nature, in dem viele der für die IPCC-Theorie maßgeblichen Artikel erschienen sind.



Der Artikel trägt die Überschrift "'Climategate' scientist speaks out" - "Climagate"- Wissenschaftler meldet sich zu Wort. Der sich zu Wort meldet - der sich gegenüber NatureNews in einem Interview geäußert hat -, ist Phil Jones, einer der führenden Vertreter der IPCC-Theorie. Er ist bekanntlich eine der zentralen Figuren in Climagate, also der Affäre um gehackte Emails mit - wie es scheint - kompromittierendem Inhalt. Gegenwärtig ist er bis zur Klärung des Vorwurfs beurlaubt, er habe die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens verletzt und er habe gegen das Gesetz zur Informationsfreiheit verstoßen.

Zum zweiten Punkt wollte sich Jones in dem Interview nicht äußern. Zum ersten Vorwurf nimmt er in zwei Punkten Stellung. Es geht um Effekte, die jeweils mit einem Kürzel bezeichnet werden: UHI und MWP.

UHI steht für "Urban Heat Island", also städtische Hitzeinsel. Gemeint ist der Umstand, daß es innerhalb von Städten wärmer ist als im Umland. Dehnen sich nun Städte aus, dann kann es passieren, daß eine Meßstation, die ursprünglich in einer ländlichen Gegend lag, jetzt von diesem Effekt beeinflußt wird. Weiterhin kann sich innerhalb von Städten die Temperatur ändern, z.B. durch Änderungen in der Bebauung. Ein Anstieg dort gemessener Temperaturen könnte also eine klimatisch bedingte Erwärmung vorgaukeln.

Prinzipiell könnten somit die Messungen der globalen Temperatur durch UHIs beeinflußt werden. Ob und gegebenenfalls in welchem Maß dies geschieht, ist eine empirische Frage. Um sie zu untersuchen, hat Phil Jones (1990) zusammen mit Koautoren einen Artikel verfaßt, in dem die Daten chinesischer Meßstationen verwendet wurden. Das Ergebnis war, daß die Lokalisation der Stationen keinen wesentlichen Einfluß auf die Meßdaten hatte.

Verschiedene Klimaskeptiker haben diese Arbeit kritisiert; das ging bis zum Vorwurf des Betrugs.

Jones räumt in dem Interview ein, daß die Autoren eine unzuverlässige Quelle verwendeten hatten, nämlich Daten eines chinesischen Gewährsmanns des Mitautors Wang. Die Annahme, daß die Stationen in dem untersuchten Zeitraum nicht verlegt wurden, sei wahrscheinlich falsch gewesen.

"It's not acceptable," sagte Jones in dem Interview. Das sei nicht akzeptabel. Er schloß nicht aus, eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Eine spätere Untersuchung hätte aber die ursprüngliche Schlußfolgerung bestätigt, daß der Einfluß von UHIs vernachlässigt werden könne.



Der zweite strittige Effekt, die MWP, ist eine mittelalterliche Wärmeperiode um das Jahr 1000 herum. Gestritten wird darüber, ob sie einen ähnlich schnellen Anstieg der Temperaturen mit sich gebracht hatte wie den jetzt gemessenen (vorsichtiger gesagt: behaupteten); was implizieren würde, daß auch der jetzige natürliche Ursachen haben könnte. Die berühmte (einige meinen: berüchtigte) Hockeyschläger- Kurve soll, als ein Grundpfeiler der IPCC- Theorie, beweisen, daß der jetzige Temperaturanstieg erheblich schneller vonstatten geht als der seinerzeitige; was auf eine menschliche Verursachung hindeuten würde.

Woher kennt man die Temperaturen früherer Zeiten? Man verwendet Schätzwerte (proxies) aufgrund der Dicke von Baumringen, die als Indikator für die Temperatur gelten (ein Aspekt der Dendrochronologie).

Nun weichen aber seit einigen Jahrzehnten die so geschätzten Temperaturen von den gemessenen tatsächlichen Temperaturen ab; und zwar nach unten. In der "Hockeyschläger"- Arbeit haben deshalb Michael Mann und Mitautoren einfach für die vergangenen zwanzig Jahre die Baumring- Schätzwerte durch die gemessenen Temperaturen ersetzt; das ist der berühmte "Trick", den Jones in einer der gehackten Mails erwähnt, "to hide the decline" - um zu verbergen, daß die nach Baumringen geschätzten Daten einen Rückgang der Temperaturen anzeigen.

Jones äußert sich in dem Interview dazu vage. Ja, die Baumring- Methode sei wohl unzuverlässig. Aber die Daten würden durch andere Schätzungen, etwa aufgrund von Eisbohrkernen, gestützt. Auch sei es unklar, ob es überhaupt eine globale MWP gegeben habe, oder ob diese nur ein lokales Ereignis gewesen sei.



In den Kommentaren meldet sich auch einer der Hauptkritiker von Jones zu Wort, Douglas J. Keenan. Er ist einer jener Amateure, wie sie unter den Kritikern der IPCC-Theorie zahlreich sind. (Er stellt seinen Werdegang so vor: "I used to do mathematical research and financial trading on Wall Street and in the City of London; I now study independently" - er habe mathematische Forschungen angestellt und an der Wall Street und in der Londoner City Finanzgeschäfte gemacht; jetzt sei er Privatgelehrter).

Keenan sieht seine Einwände in dem Artikel nicht richtig dargestellt. Sein Haupteinwand sei, daß Jones und Mitautoren die Stationen, deren Daten sie verwendeten, angeblich aufgrund von Kriterien ausgesucht hatten, die aber in Wahrheit gar nicht bekannt gewesen seien.

Die übrigen Kommentatoren nehmen unterschiedlich Stellung; einige mit Verweis auf publizierte Untersuchungen. Soweit ich es beurteilen kann, ist unter ihnen kein Klimatologe.



Und da haben wir sie, die ganze verfahrene Situation: Jones räumt Fehler und Unklarheiten ein, sieht diese aber als überhaupt nicht kritisch an. Es gebe genug andere Daten, die für die IPCC-Theorie sprächen, argumentiert er.

Wenn einmal ein Fehler vorgekommen sei, dann sei das also ohne grundsätzliche Bedeutung. Das ist seine Position, auch durch Climagate nicht erschüttert. Von Bloggern hält er augenscheinlich nichts: "I don't think we should be taking much notice of what's on blogs" - er glaube nicht, daß man viel Notiz von dem nehmen solle, was in den Blogs steht.

Blogger wie Keenan andererseits setzen sich hartnäckig auf bestimmte Spuren; mit der Zähigkeit eines Terriers. Soweit ich es beurteilen kann, scheint Keenans Kritik im Fall der Arbeit von Jones et al. (1990) begründet zu sein. Das räumt Jones ja auch ein. Aber es beeindruckt ihn eben nicht.

Keenan aber beeindruckt es schwer. Er hält das, was für Jones ein Versehen ist, vielleicht eine Schlamperei, für Betrug. Und offenbar sehen er und viele andere Klimaskeptiker damit die Gesamtheit dessen entwertet, was an Untersuchungen innerhalb der IPCC-Theorie erschienen ist.

Wie soll es bei solchen Positionen eine vernünftige Diskussion geben? Man kann eigentlich nur hoffen, daß auf beiden Seiten - vielleicht ja als Ergebnis der jetzigen Diskussion - die Kämpfer aus den Schützengräben kommen. Daß die Befürworter des IPCC-Modells sich zu der Einsicht bequemen, daß auch interessierte Amateure begründete Kritik vortragen können; daß die Klimaskeptiker einsehen, daß sie es ganz überwiegend nicht mit Betrügern zu tun haben, sondern mit Wissenschaftlern, die sich wie sie um die Wahrheit bemühen.

Ich weiß, daß ich mit einer solchen Beurteilung der Lage nicht viel Zustimmung erwarten kann. Was, man soll Blogger ernst nehmen, die noch nicht einmal in einem einschlägigen Fach promoviert sind, geschweige denn selbst forschen? höre ich es von der einen Seite rufen. Was, man soll Wissenschaftler ernst nehmen, die Daten manipulieren? schallte es mir von der anderen Seite entgegen.

Ja, man soll. Vielleicht führt ja die jetzige Diskussion in der Öffentlichkeit auch dazu, daß Wissenschaftler wie die oben genannten Horst Malberg und Nils-Axel Mörner oder wie Hans von Storch mehr Gehör finden, die weder ihre Kollegen für Betrüger noch jeden Kritiker an der IPCC-Theorie für unseriös halten.

Vor allem Hans von Storch traue ich zu, Erhebliches zur Überwindung des Grabenkriegs beizutragen. Ein hochkarätiger Wissenschaftler, der so humorvoll und souverän ist, in seiner Freizeit donaldistische Forschung zu betreiben, könnte dafür das Format haben.




Nachtrag um 19.00 Uhr: In "Zettels kleinem Zimmer" hat Dirk jetzt auf ein BBC-Interview mit Phil Jones aufmerksam gemacht, in dem er ausführlicher als in dem Interview mit NatureNews seine Ansichten darlegt.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Drei Bilder, die sich durch das Schütteln eines Kaleidoskops ergeben. Fotografiert und in die Public Domain gestellt von rnbc.