10. Februar 2010

Das Geheimnis von Sarah Palins Hand. Eine Rede auf dem Treffen der National Tea Party und die grotesken Reaktionen darauf

Durch die amerikanischen Medien, auch durch deutsche Medien geistert die Hand von Sarah Palin. Genauer: Was ihr in die Hand geschrieben stand.

Es ist eine banale, eine in gewisser Weise groteske Geschichte. Aber es ist doch zugleich auch ein kleines Lehrstück. Die Nachricht ist nicht das, was es mit Sarah Palins Hand auf sich hat, sondern die Reaktion darauf; es ist die Reaktion zugleich auch auf Sarah Palin als Person und auf das, wofür sie politisch steht.



Wenn man wissen will, ob ein Politiker Format hat, dann gibt es einen einfachen Indikator: Zieht er die Häme unserer "linksliberalen" Medien auf sich, dann hat er sehr wahrscheinlich Format. Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Helmut Kohl sind klassische Beispiele, George W. Bush ein aktuelleres.

Geht man nach diesem Indikator, dann wird man von Sarah Palin noch Großes erwarten dürfen. Von unserer Qualitätspresse wird sie (im Schlepptau der amerikanischen Linksmedien) als eine unbedarfte Landpomeranze porträtiert; strohdumm, aber mit einem losen Mundwerk ausgestattet. Halb Geierwally, halb die Cindy aus Marzahn.

Schon im Wahlkampf 2008 hatte "Spiegel- Online" diese Linie vorgegeben. Vor allem den Spezialisten für die Region zwischen Fußboden und Gürtellinie, Marc Pitzke, setzte man damals auf Palin an. Mal gerierte sich Pitzke moralisierend (siehe Glaubhaftigkeit; ZR vom 3. 9. 2008); mal übersetzte er das, was Palin gesagt hatte, in so miserables Deutsch, daß der Leser denken mußte, sie könne keinen verständlichen Satz formulieren (siehe If Marc Pitzke really English can?; ZR vom 28. 9. 2008).

Damit war das politisch korrekte Bild von Sarah Palin in Deutschland umrissen. So, wie die linken amerikanischen Internet- Zeitungen Huffington Post ("unumstößlich dumm") oder Daily Kos ("unwissend und paranoid") Sarah Palin porträtieren, so wurde und wird sie in der Mehrzahl der deutschen Medien dargestellt.



Am vergangenen Samstag hielt Sarah Palin in Nashville (Tennessee) eine Rede; die Keynote Speech, also die Hauptrede, auf dem ersten nationalen Treffen der Tea Party- Bewegung.

Der Name dieser Bürgerbewegung, die Anfang 2009 als Reaktion auf die Steuer- und Ausgabenpolitik von Präsident Obama entstand, bezieht sich auf die Boston Tea Party; die berühmte Aktion amerikanischer Bürger am 16. Dezember 1773, als diese aus Protest gegen die ihnen von der britischen Krone aufgezwungene Teesteuer die Fracht eines mit Tee beladenen Schiffs in den Hafen von Boston warfen.

Eine formelle Partei ist die Tea Party- Bewegung nicht; eher so etwas wie die organisierte Form eines konservativen Protests, der seinen Kern in Palins Republikanischer Partei hat, aber über diese Partei hinausreicht. Dennoch ist ihr Einfluß schon jetzt beträchtlich; vor allem auch im Hinblick auf die Wahlen Ende dieses Jahres.

Auf diesem Treffen also hielt Sarah Palin am Samstag, dem 6. Februar ihre Rede. Man kann das als Video ansehen (40 Minuten Ansprache und knapp 20 Minuten Beantwortung von Fragen); man kann auch das Wortprotokoll der Übertragung bei CNN nachlesen.

Falls Sie die Zeit erübrigen können, das Video zu sehen oder den Text zu lesen, dann werden Sie finden, daß da eine Politikerin gewandt und witzig, nicht selten sarkastisch und manchmal auch flapsig konservative Positionen vertritt und die Regierung Obama kritisiert.

Palin bot nicht Obamas perfekte Rhetorik; freilich benutzte sie auch keinen Teleprompter. Sie sprach teils frei, teils benutzte sie Stichwörter oder vorformulierte Sätze aus den Notizen, die sie auf dem Pult liegen hatte (und die sie nach Ende der Veranstaltung brav an sich nahm, bevor sie das Podium verließ). Mit anderen Worten: Sie verhielt sich in dieser Hinsicht so wie jeder Redner, der nicht wie Obama einen Text wörtlich abliest, den man ihm aufgeschrieben hat, und der seine Texte auch nicht wie einst Charles de Gaulle auswendig lernt.



Um einen Eindruck von der Rede zu bekommen, lesen Sie einmal diese Passage:
... remember our administration promise that it would be good stewards of taxpayer dollars. Remember? Remember, Vice President Biden? He was put in charge of a tough, unprecedented oversight effort. That's how it was introduced. You know why? Because nobody messes with Joe.

Now, this was all part of that hope and change and transparency. And now a year later, I got to ask the supporters of all that, how is that hopey-changey stuff working out for you?

See, I tried to look into that transparency thing but Joe's meetings with the transparency and accountability board, it was closed to the public.

Yes. They held a transparency meeting behind closed doors.

So I'm not sure if anybody's messing with Joe. But here is what I do know. A lot of that stimulus cash, it ended up in some pretty odd places, including districts that didn't even exist.

And programs that really don't have a whole lot to do with stimulating the economy. Nearly $6 million was given to a Democrat pollster, who had already made millions during the Democrats' presidential primary. Nearly $10 million was spent to update the stimulus web site.
And one state even spent a million bucks to put up signs that advertised they were spending the federal stimulus projects or, as someone put it, this was a $1 million effort to tell you it is spending your money.

And it didn't create a single job.

... erinnern Sie sich an das Versprechen unserer Regierung, daß sie ein guter Sachwalter unserer Dollars als Steuerzahler sein werde? Erinnern Sie sich? Erinnern Sie sich an Vizepräsident Biden? Er wurde damit beauftragt, dieses mit bisher beispielloser Härte zu überwachen. So wurde das vorgestellt. Wissen Sie, warum? Weil niemand Streit mit Joe [Biden] mag.

Nun gut, das gehörte alles zu dieser Hoffnung und diesem Wandel und dieser Transparenz. Und jetzt, nach einem Jahr, muß ich alle fragen, die das unterstützt haben: Was bringt Ihnen dieses Hoff-Hoff und dieses Wandel-Wandel?

Schauen Sie, ich habe mir diese Sache mit der Transparenz ansehen wollen, aber Joes Sitzung mit dem Ausschuß für Transparenz und Rechenschaft war nichtöffentlich.

Ja. Sie haben eine Sitzung über Transparenz hinter verschlossenen Türen abgehalten.

Also weiß ich nicht, ob irgendwer mit Joe streitet. Aber das weiß ich: Eine Menge von diesem Geld für die Ankurbelung [der Wirtschaft] landet an ziemlich seltsamen Orten; auch in Distrikten, die nicht einmal existieren.

Und Programme, die im Grunde nicht eben viel mit dem Ankurbeln der Wirtschaft zu tun haben. Fast 6 Millionen Dollar erhielt ein Umfrageinstitut der Demokraten, das schon im Präsidentschafts- Vorwahlkampf der Demokraten Millionen kassiert hatte. Fast 10 Millionen Dollar wurden dafür ausgegeben, die WebSite des Programms zur Ankurbelung zu aktualisieren.

Und ein Staat der USA gab sogar eine Million Dollar dafür aus, Schilder aufzustellen, auf denen steht, daß man das Geld des Bundes für Projekte ausgibt; oder wie jemand es formulierte: Dies ist ein Aufwand von einer Million Dollar, um Ihnen mitzuteilen, daß man dabei ist, Ihr Geld auszugeben.

Und es wurde dabei kein einziger Arbeitsplatz geschaffen.
Auf dem Video geht diese Passage von ungefähr 21:20 bis 23:20. Wenn Sie sich das anschauen, dann werden Sie sehen, daß Palin meist abliest - vor allem, wenn es zum Fakten und Zahlen geht -, manchmal aber auch frei spricht. Eine auffällige Unsicherheit werden Sie nicht finden; auch wenn sich Palin in einer anderen Passage einmal verspricht und statt "America" "Alaska" sagt.



Nun also zu Sarahs Hand. Sie hat gestern beispielsweise die BBC beschäftigt und bei uns in Deutschland die "Financial Times Deutschland" ("... die elchjagende Ex- US- Vizepräsidentschaftskandidatin mit dem sonderbaren Weltbild ist stets ein dankbares Opfer") und auch die "Süddeutsche Zeitung".

Unter dem launigen Titel "Sie hat es in der Hand" (wer lacht da nicht?) beschreibt Michael König in der SZ den Sachverhalt:
16 Monate sind seit der Wahl vergangen, und Sarah Palin sorgt tatsächlich weiter dafür, dass Parodisten nicht der Stoff ausgeht. Die neueste Episode in einer langen Reihe peinlicher Auftritte handelt von einem Spickzettel, den die einstige Vizepräsidentschafts- Kandidatin der Republikaner geschrieben hatte, um in einem Interview bei einer Veranstaltung in Nashville bestehen zu können.

Ärgerlich für Palin: Sie hatte sich die Notizen mit einem schwarzen Stift in die Innenfläche ihrer linken Hand gekritzelt - und wurde von einem Fotografen und von mehreren US-Medien dabei ertappt, wie sie offenkundig davon ablas.
Dieses "offenkundige Ablesen" finden Sie auf dem Video bei 46:22. Die Antwort, in der es vorkommt, beginnt bei 46:30.

Es ist ein kurzer Blick auf die Hand, auf dem Video vielleicht zwei Sekunden lang. Das einzige Mal, daß Palin während der knapp zwanzig Minuten des Interviews auf ihre Handfläche blickt.
Sie hatte dort - auf dem Video kann man es nicht sehen, aber offenbar hat ein Fotograf es aus der Nähe geknipst - drei Stichwörter notiert: "energy", "budget cuts" (Haushaltskürzungen), und "lift Americans' spirits" (den Amerikanern Mut machen). Das Wort "budget" war durchgestrichen und durch "tax" ersetzt; also statt Haushaltskürzungen Steuersenkungen.

Offenbar waren das die drei Themen, zu denen Palin in dem Interview unbedingt etwas sagen wollte; und um keines davon zu vergessen, hatte sie dazu Stichwörter notiert.

Das ist alles. Daraus wie der Journalist Michael König abzuleiten, Palin hätte sich diese drei Begriffe aufgeschrieben, "um in dem Interview bestehen zu können", ist dumm und bösartig. Sie hat in dem Interview, ohne irgendwelche Notizen zu benutzen, fast zwanzig Minuten lang ausgezeichnet "bestanden". Sehen Sie es sich an oder lesen Sie das Wortprotokoll.



Wenn Sarah Palin das Problem, keines dieser drei ihr wichtigen Themen im Interview unerwähnt zu lassen, auf diese ein wenig kleinmädchenhafte Art löst, sich Stichwörter in die Hand zu schreiben, dann ist das auf doppelte Weise für sie bezeichnend:

Zum einen zeigt es praktischen Sinn. Sie hatte damit ja wirklich eine verblüffend einfache Lösung gefunden; besser, als wenn sie während des ganzen Interviews einen Notizzettel in der Hand gehalten hätte oder wenn sie - was vermutlich die meisten Politiker gemacht hätten - mit dem Interviewer vereinbart hätte, sie auf diese drei Themen anzusprechen.

Zweitens zeigt dieser Kniff aus Schülertagen aber auch eine gewisse Nonchalance; eine unbekümmerte Naivität bei aller politischer Ausgebufftheit. Palin versucht nicht anders zu sein, als sie ist. Sie hat nun einmal keine Elite- Universität besucht. Sie ist eine Provinzlerin, und sie gibt zu erkennen, daß sie das überhaupt nicht stört. Und wenn es praktisch ist - warum dann nicht auf einen kleinen Trick aus der Schulzeit zurückgreifen?

Es ist vermutlich diese Selbstsicherheit einer Frau, die nicht zur Herrschaftselite der USA gehört, was Angehörige dieser Elite so wütend auf sie macht.

Was bildet die sich denn ein? Das scheint mir die Reaktion zu sein, die mindestens zum Teil alle diese Bösartigkeiten, diese Häme erklärt, die Sarah Palin auf sich zieht (siehe Die toten Körper der Sarah Palin. Über linke Arroganz; ZR vom 12. 9. 2008).

Hinzu kommt, daß sie unbefangen konservative Werte vertritt; und dies auch noch dazu, ohne verklemmt und bigott zu wirken.

In der Washington Post zitierte am Sonntag der Kommentator Jonathan Capehart die folgende Passage aus dem Interview:
And then, I think, it is kind of tougher to -- kind of tougher to put our arms around, but allowing America's spirit to rise again by not being afraid -- not being afraid to kind of go back to some of our roots as a God-fearing nation where we are not afraid to say, especially in times of potential trouble in the future here, we are not afraid to say, you know, we don't have all the answers as fallible men and women.

So it would be wise of us to start seeking some divine intervention again in this country so that we can be safe and secure and prosperous again.

Und dann denke ich, daß es schon schwerer - daß es schon schwerer ist, unsere Waffen hier und dort einzusetzen, aber auch den Geist Amerikas wieder erstehen zu lassen, indem wir keine Angst haben - keine Angst davor haben, auf eine Art zu manchen unserer Wurzeln als eine gottesfürchtige Nation zurückzukehren, wo wir keine Furcht davor haben, auszusprechen - vor allem hier in Zeiten möglicher Schwierigkeiten - wir keine Furcht haben, also zu sagen, daß wir als fehlbare Männer und Frauen nicht alle Antworten haben.

Es wäre also weise, wenn wir in diesem Land wieder ein Eingreifen Gottes suchen würden, damit wir wieder sicher und beschützt und in Wohlstand leben können.
Diese Passage also zitiert der Kommentator Capehart und kommentiert sie wie folgt:
That's all I needed to hear to be convinced that this raw talent with unending ambition is content to stay unrefined and oblivious to the fact that snark, smirks and sarcasm will only carry her so far.

Mehr brauchte ich nicht zu hören, um überzeugt zu sein, daß dieses rohe Talent mit nicht enden wollenden Ambitionen sich damit begnügt, ungeschliffen zu bleiben und die Tatsache zu ignorieren, daß Ironie, Gegrinse und Sarkasmus sie nicht weit bringen werden.
Nicht wahr, es fällt nicht leicht, zwischen dem, was Palin sagte, und diesem Kommentar einen Zusammenhang zu erkennen.

Besser als durch diese Bemerkung von Jonathan Capehart, immerhin Leitartikler (editorial writer) der Washington Post, läßt sich die Reaktion der amerikanischen Herrschaftselite auf Sarah Palin kaum illustrieren.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Sarah Palin im Juli 2007. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain (Ausschnitt). Mit Dank an Reader.