1. Februar 2010

"Künftig werden die USA in der bemannten Raumfahrt keine wesentliche Rolle mehr spielen". Wird der Mond also chinesisch?

Heute wird Präsident Obama den Entwurf seines Budgets für 2011 vorlegen und aus diesem Anlaß wahrscheinlich auch eine Entscheidung verkünden oder verkünden lassen, deren Reichweite noch kaum abzusehen ist: "NASA's grand plan to return to the moon, built on President George W. Bush's vision of an ambitious new chapter in space exploration, is about to vanish with hardly a whimper", schreibt Joel Achenbach in der Washington Post; der umfassende Plan der NASA, zum Mond zurückzukehren, werden ohne viel Federlesens begraben werden.

Obama wird, so erwartet man es allgemein, die Finanzierung für das Projekt "Constellation" stoppen, das ein Transportsystem umfassen sollte, bestehend aus einer Rakete für bemannte Flüge (Ares I), einer Rakete zum Transport schwerer Lasten (Ares V), einem Raumschiff für den bemannten Flug sowohl zur ISS als auch zum Mond (Orion) sowie einer Fähre für die Landung auf dem Mond (Altair).

"Constellation" wurde dieses Projekt deswegen getauft, weil diese Komponenten nach dem Baukasten- Prinzip in unterschiedlichen Konstellationen genutzt werden sollten:

Die Ares I sollte - zusammen mit der von ihr getragenen Orion- Kapsel, - das Shuttle als das Transportsystem ersetzen, das Astronauten zur ISS bringt.

Die Ares V hätte schwere Lasten in den erdnahen Orbit hieven können, in dem die ISS kreist; beispielsweise Ersatzteile für die ISS.

Um zum Mond zu fliegen, wollte man beide Systeme zusammenschalten: Zunächst bringt die Ares V die Landefähre Altair sowie die Antriebsstufe für den Flug zum Mond (EDS) in den Orbit. Dann folgt mit einer Ares I die Mannschaft in einer Orion- Kapsel. Orion, Altair und EDS werden zusammengebaut, und man startet aus dem Orbit zum Mond.

Wenn Sie sich den Artikel in der Wikipedia über das Programm "Constellation" ansehen, dann bekommen sie eine Vorstellung davon, wie weit dieses Projekt schon gediehen ist. Nicht nur kleinste konstruktive Details liegen (jedenfalls vorläufig) fest, sondern es ist z.B. auch schon bestimmt, von welchen Startrampen die Raketen in Cape Canaveral starten werden (die Ares I von der Startrampe 39B) und wann die Astronauten die Orion- Kapsel besteigen werden (drei Stunden vor dem vorgesehenen Start).



Nein, ich hätte das alles im Konditionalis schreiben sollen. Denn sehr wahrscheinlich wird nichts davon realisiert werden. Nach dem, was bisher bekannt ist, wird das ganze Projekt, in das bisher 9,2 Milliarden Dollar investiert wurden, schlicht verschwinden. Das ist offenbar Präsident Obamas Wille.

Statt Astronauten zum Mond zu schicken, will er, daß die ISS fünf Jahre länger betrieben wird als bisher geplant, nämlich bis 2020.

Die Shuttles werden demnächst ausgemustert; es sind nur noch fünf Flüge vorgesehen. Die Ares I wird wohl nicht gebaut werden. Wie also sollen amerikanische Astronauten künftig zur ISS und von ihr wieder auf die Erde gebracht werden?

Durch private Anbieter; so will es Obama. Natürlich haben Privatfirmen schon immer die Raumfahrzeuge gebaut; nur bisher unter der Regie der NASA. Jetzt soll diese sich zurückziehen und nur noch eine Art Überwachungsfunktion haben.

Der Chef der NASA unter Präsident Bush, Michael Griffin, meinte dazu, die bemannte Raumfahrt befinde sich jetzt ungefähr da, wo die Luftfahrt im Jahr 1920 gewesen sei, vor dem Flug Lindberghs. "Und da versuchen sie, der PanAm [Boeing] 747 zu verkaufen".



Was ist von dieser Kehrtwende zu halten? Sie bedeutet, wie es Griffin formulierte, "that essentially the U.S. has decided that they're not going to be a significant player in human space flight for the foreseeable future"; daß im Kern die USA sich dafür entschieden hätten, für die absehbare Zukunft in der bemannten Raumfahrt keine wesentliche Rolle mehr zu spielen.

Stammleser dieses Blogs wissen, daß ich mich wiederholt gegen die bemannte Raumfahrt ausgesprochen habe. Der Gedanke, daß Menschen sich dorthin verfügen müssen, wo es etwas zu erforschen gilt, ist obsolet.

Roboter können das besser und billiger, und ihre Leistungsfähigkeit wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten dramatisch wachsen (siehe z.B. Der Mond und der Pony- Express; ZR vom 6. 12. 2006 und Der Wahnwitz der bemannten Raumfahrt; ZR vom 14. 6. 2007).

Zu welchen außerordentlichen Leistungen Roboter schon jetzt in der Lage sind, zeigt die erstaunliche Erfolgsgeschichte der beiden amerikanischen Mars- Rover "Opportunity" und "Spirit", die eigentlich für ein halbes Jahr Funktionsfähigkeit ausgelegt gewesen waren, die aber jetzt schon sechs Jahre im Einsatz sind; wenngleich inzwischen doch recht altersschwach.

Sie werden von der Erde aus gesteuert, allerdings wegen der Zeitverzögerung (ein Signal ist um die zwanzig Minuten unterwegs) nicht in Echtzeit. "Spirit" erklomm sogar im Lauf von Monaten einen kleinen Berg, um das Panorama aufzunehmen; und er befreite sich dank seiner "Fahrer" (so heißen sie tatsächlich, "drivers") wieder, als er im Sand festsaß.

In gewisser Weise "sind" die Forscher und Programmierer des Jet Propulsion Laboratory, von dem aus die beiden Rover gesteuert werden, "auf dem Mars". Sie sehen die Bilder, die auch die Rover "sehen". Ihre Daten sagen ihnen, wie es den Robotern geht, welche Probleme sie haben, wo sie Hilfe brauchen.

Die Roboter sind Instrumente der Menschen, die von Kalifornien aus den Mars erforschen; so, wie sein Hämmerchen ein Instrument des Geologen ist. Physisch müssen die Wissenschaftler dazu so wenig auf dem Mars sein, wie der Physiker, der am Genfer Kernforschungs- Zentrum CERN forscht, zu diesem Behuf selbst in den Teilchen- Beschleuniger klettern muß. Experimente können sogar von irgendwo weit weg von Genf aus verfolgt werden.

Wenn Präsident Obama nun den bemannten Flug zum Mond (und damit natürlich auf absehbare Zeit auch zum Mars) streicht - tut er dann also nicht das einzig Vernünftige? Trägt er nicht dazu bei, die Raumfahrt aus einer Sackgasse zu führen?



Es gibt zwei Gesichtspunkte, die aus meiner Sicht keine uneingeschränkt positive Beurteilung seiner Entscheidung nahelegen.

Zum einen will Obama ja keineswegs die bemannte Raumfahrt als solche einstellen; diejenige im erdnahen Orbit will er, indem er die Nutzungszeit der ISS um fünf Jahre verlängert, im Gegenteil intensivieren. Das Budget der NASA für bemannte Raumfahrt soll zu diesem Zweck sogar erhöht werden.

Langzeitflüge im Orbit waren einst dazu gedacht, Erfahrungen für Flüge zum Mond und zum Mars zu sammeln; jetzt soll, wie es scheint, die ISS zum Selbstzweck werden. Das ist ungefähr so, als würde jemand auf eine geplante Wanderung verzichten, aber unverdrossen weiter Vorräte in seinen Rucksack packen.

Und dann sind da die Chinesen. Sie betreiben seit 2007 ein Mondprogramm mit unbemannten Sonden. Sie schicken bereits seit 2003 Taikonauten in den Orbit. Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß ihr Endziel der bemannte Mondflug ist.

Wenn sie dieses Ziel erreicht haben werden und die USA dem nichts entgegensetzen können, dann wird das eine ähnliche Wirkung auf die Weltmeinung haben wie einst der erste Sputnik und der Flug Gagarins.

Damals hat Präsident Kennedy die Herausforderung durch die Sowjets angenommen. Präsident Bush wollte jetzt die chinesische Herausforderung annehmen; das - und nicht der zu erwartende wissenschaftliche Ertrag - dürfte der eigentliche Grund für das Projekt "Constellation" gewesen sein.

Präsident Obama wird die chinesische Herausforderung sehr wahrscheinlich nicht annehmen. In zwei bis drei Jahrzehnten wird China, indem es Taikonauten die chinesische Flagge auf dem Mond aufpflanzen läßt, unmißverständlich demonstrieren, daß es sich als die neue Weltmacht sieht.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Zeichnung der (bisher) geplanten Mondlandefähre Altair. Als Werk der NASA in der Public Domain.