18. November 2008

Vierundzwanzig Jahre Macht für Wladimir Putin?

Stalin herrschte 26 Jahre lang, von 1927 bis zu seinem Tod 1953. Das wird Wladimir Putin wahrscheinlich nicht ganz schaffen; aber auf 24 Jahre könnte er es bringen, weit mehr als Nikita Chruschtschow (11 Jahre), mehr auch als Leonid Breschnew, der immerhin 18 Jahre Generalsekretär der KPdSU war.

Wladmir Putin war acht Jahre lang Staatspräsident; danach konnte er laut Verfassung bekanntlich nicht wiedergewählt werden. Daß dies das Ende seiner Macht bedeuten würde, konnte man füglich bezweifeln. Leser dieses Blogs haben über solche Zweifel schon im Februar 2007 erfahren, und dann immer einmal wieder. Wie Putin es machen würde, weiter an der Macht zu bleiben, das war ja eine spannende Frage über das ganze Jahr 2007 hinweg.

Er hat den eigentlich riskanten Weg gewählt, formal ins Amt des Ministerpräsidenten zu wechseln. Riskant, weil der Staatspräsident von der Verfassung mit so umfassenden Rechten ausgestattet ist, daß eine dort hingesetzte Marionette leicht auf den Gedanken hätte kommen können, die Schnüre zu kappen und es mit Selbstbewegung zu versuchen.

Wie Putin dieses Problem gelöst hat, zeigt, was für ein berechnender, langfristig planender Machtmensch er ist. Nicht nur hat er mit dem getreuen Medwedew einen gefunden, der vielleicht tatsächlich nicht selbst die Nummer eins werden will. Aber wer weiß. Machtmenschen vertrauen selten darauf, daß ein anderer sich an die ihm zugedachte Rolle hält.

Also hat Putin mit einem genialen Schachzug, ohne ein einzige Jota an der Verfassung zu ändern, das Amt des Ministerpräsidenten in der Machtbalance so aufgewertet, daß ihm der Staatspräsident nicht gefährlich werden kann; daß er auch nach dem Wechsel selbst die Fäden in der Hand behielt.



Diesen Schachzug habe ich im Mai beschrieben, gestützt auf eine Analyse von Vincent Jauvert vom Nouvel Observateur:

Zuvor waren die Ministerpräsidenten vom Staatspräsidenten berufen worden und von ihm abhängig; so wie nach der französischen Verfassung, der die russische in vielen Punkten nachgebildet ist. Putin selbst hat noch kurz vor Ende seiner Amtszeit den Ministerpräsidenen abrupt ausgewechselt.

Putin selbst aber kandidierte bei den Duma- Wahlen ausdrücklich für das Amt des Ministerpräsidenten und erreichte (mit welchen Mitteln auch immer), daß seine Partei "Einiges Rußland", die ihm vollständig ergeben ist, 70 Prozent der Sitze in der Duma hat; auch die anderen Parteien sind überwiegend von ihm abhängig, teils in seinem Auftrag gegründet worden.

Dadurch wurde er in Personalunion Ministerpräsident und der unangefochtene Chef der Duma. Mit seiner dortigen Zweidrittel- Mehrheit kann er jedes Gesetz durchbringen und - wichtiger - jede Verordnung des Staatspräsidenten blockieren.

Zugleich hatte er noch als Staatspräsident ihm ergebene Gouverneure ernannt, und er hat dafür gesorgt, daß die Provinzparlamente von seiner Partei dominiert werden. Diese müssen die Gouverneure bestätigen; Medwedew kann also keinen von ihnen gegen den Willen Putins auswechseln. Damit ist ihm eines der wichtigsten Machtinstrumente in der Innenpolitik genommen.

Im Ergebnis sind Medwedew, trotz der ihm von der Verfassung zugedachten starken Stellung, faktisch die Hände gebunden. Selbst wenn er Putin untreu werden wollte, käme er damit nicht weit. Putin hat immer noch eine ähnliche Machtfülle wie die Generalsekretäre der KPdSU, die ja auch protokollarisch hinter dem Staatspräsidenten rangierten.

Noch nicht einmal in der Außenpolitik, eigentlich wie in Frankreich die Domäne des Staatspräsidenten, liegt die Federführung bei Medwedew. Wer dort steuert, hat Putin, ein Mann mit viel Sinn fürs Symbolische, demonstriert, indem er zu Beginn des Georgien- Kriegs mediengerecht dort auftauchte und sich in der Pose eines Feldherrn filmen ließ.

Nur wenn es allzu offensichtlich wird, daß auch in der Außenpolitik Putin und nicht Medwedew der Gesprächspartner westliche Staatsmänner ist, dann muß schon mal ein wenig dementiert werden.



Andererseits könnte es einen Machtmenschen wie Putin schon nicht unerheblich stören, daß Medwedew und nicht er nun zu den Gipfeltreffen reisen darf; daß dieser im protokollarischen Rang höher steht. Putin dürfte trotz aller seiner jetzigen faktischen Macht das Ende des Interims herbeisehnen; den Tag, an dem er endlich wieder offen regieren kann, statt das aus dem Hintergrund heraus tun zu müssen.

Spätens wird dieser Tag im März 2012 gekommen sein, wenn die nächste Wahl des Staatspräsidenten ansteht.

Für diese Wahl hat Putin in diesen Tagen bereits die Vorbereitungen treffen lassen, indem er die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern ließ. Da eine einmalige Wiederwahl erlaubt ist, hat er also im Jahr 2012 noch einmal zwölf Amtsjahre als Präsident vor sich; zusätzlich zu den schon absolvierten acht Jahren als Staatspräsident und den jetzigen vier Jahren mit dem Interim als Ministerpräsident.

Putin würde dann mit 71 Jahren abtreten, nach einer Regierungszeit von fast einem viertel Jahrhundert.

Vielleicht wird es aber auch das eine oder andere Jährchen weniger. Denn daß Putin wirklich bis 2012 in der Rolle des Ministerpräsidenten ausharrt, ist offenbar nicht so ganz sicher.

Vergangenen Donnerstag stand es in der International Herald Tribune zu lesen. Ein Reporter des Figaro hatte Medwedew gefragt, ob er bereits vor dem nominellen Ende seiner Amtszeit zurücktreten werde, und der dementierte das nicht etwa, sondern antwortete, er sei jetzt am Arbeiten, und warum man ihn dränge, sich zu gewissen Entscheidungen zu äußern.



Für Kommentare bitte hier klicken. Foto: Agência Brasil, freigegeben unter Creative Commons- Lizenz.