In den frühen Morgenstunden (MEZ) gab es Pressekonferenzen zuerst von Yukio Edano, der als "Chef-Kabinettssekretär" für die Regierung spricht, und sodann von Sprechern des japanischen Amts für Nukleare und Industrielle Sicherheit (Nuclear and Industrial Safety Agency, NISA). Beide Auftritte wurden live von NHK übertragen. Es handelte sich jeweils um kurze Statements. Fragen von Vertretern der Medien wurden nicht gestellt; jedenfalls kamen sie in der Übertragung nicht vor.
Danach stellt sich die Lage am frühen Morgen so dar:
Aber neben den beiden genannten Faktoren - der offenkundigen Unsicherheit an der Spitze und der kurzen Zeit, die sich die wenigen überhaupt noch im Einsatz befindlichen Arbeiter und Techniker noch im Bereich des KKW aufhalten dürfen - gibt ein dritter Faktor Anlaß zur Sorge: Die Zahl der Bereiche im Kraftwerk, in denen es Probleme gibt.
Das sind ja nicht nur die Blöcke 2 und 3, die bei den Pressekonferenzen im Mittelpunkt standen; sondern auch Block 4 (einer der Reaktoren, die heruntergefahren waren, als das Unglück passierte) muß einbezogen werden. Es wird gemeldet, daß der dortige Brand vom gestrigen Abend (offenbar in einem nicht hinreichend gekühlten Lager für Brennstäbe) von selbst wieder ausgegangen ist. Aber es kann dort auch erneut losgehen.
Laut New York Times soll es sich allerdings nur um in Brand geratenes Schmieröl gehandelt haben. Wenn das stimmt, dann wäre Block 4 die geringste Sorge, welche die japanischen Behörden und der Betreiber Tepco im Augenblick haben.
Aktualisierung um 10.00 Uhr:
Die Lage hat sich in den vergangenen fünf Stunden kaum verändert.
Es gibt allerdings eine gute Nachricht: Wie man z.B. bei CNN nachlesen kann, wurde um 6.10 Uhr MEZ gemeldet, daß die Strahlenbelastung jetzt so weit gesunken ist, daß die Arbeiter wieder in das KKW zurückkehren können.
Allerdings war dem vorausgegangen, daß die Regierung den Grenzwert für die zulässige Strahlendosis auf 250 mSv angehoben hatte (siehe diesen Beitrag von Nilfisk in Zettels kleinem Zimmer und die dort verlinkten Quellen). Dies entspricht der sogenannten Katastrophendosis, die auch in Deutschland und Österreich bei einem Katastropheneinsatz einmal im Leben zulässig ist.
Aktualisierung um 17.30 Uhr:
Es gibt die gute Nachricht, daß es keine bedeutsamen neuen Nachrichten gibt. Selbst "Spiegel-Online" kann keine weiteren Horrormeldungen servieren und weicht im Augenblick auf Frontberichterstattung aus ("Die 'Tapferen 50' an der Strahlenfront").
Was in den vergangenen siebeneinhalb Stunden an Nachrichten hinzugekommen ist, zeigt im wesentlichen, wie falsch und agitatorisch viele der Horrormeldungen waren und sind, die Ihnen die deutschen Medien bieten. Die folgende Zusammenstellung geht wesentlich auch auf Informationen zurück, die in Zettels kleinem Zimmer gepostet wurden (siehe den Dank in der Fußzeile):
Aus den Nachrichten im japanischen Sender NHK - Sie können ihn hier live verfolgen - geht hervor, daß das Augenmerk inzwischen nicht mehr primär den Blöcken 1 und 2 gilt, sondern zunehmend den Blöcken 3 und 4.
Vor allem das Problem von Brennstäben, die in Auffangbecken gelagert sind und die durch Wasserverlust nicht mehr hinreichend gekühlt werden können, bereitet Sorgen. Darauf hatte schon gestern Abend in CNN der Experte Jim Walsh aufmerksam gemacht (siehe Einige Quellen, die Sie zuverlässig über die Lage in den beiden Kernkraftwerken bei Fukushima informieren (Letzte Aktualisierung: Dienstag 23.30 Uhr); ZR vom 15. 3. 2011).
Zur Kühlung werden hier verschiedene Verfahren eingesetzt oder sollen eingesetzt werden: Hubschrauber, die Wasser heranbringen; Feuerwehren mit ihren Löschfahrzeugen; Wasserwerfer der Polizei.
Der Einsatz von Hubschraubern des Miltärs wurde laut NHK inzwischen wieder beendet. Warum, ist nicht ganz klar. Es könnte wegen der Strahlenbelastung gewesen sein oder auch deshalb, weil diese Methode sich als nicht hinreichend effizient erwies.
Das Problem für das Heranführen von Wasser auf dem Landweg ist, daß dafür erst Wege geschaffen werden müssen. Das scheint gegenwärtig im Gang zu sein; siehe diesen Beitrag von nilfisk in Zettels kleinem Zimmer.
NHK meldet, daß jetzt vor allem Wasserwerfer der Polizei eingesetzt werden sollen. Gegenüber der Hubschrauber-Methode habe das den Vorteil, daß schnell große Mengen Wasser eingebracht werden können. Die Polizisten in den Fahrzeugen trügen, so wird betont, Schutzanzüge. Da sie sich kaum bewegen müssen, könnte - so ist zu vermuten - auch schwerer Bleischutz eingesetzt werden, der ansonsten Arbeiter zu sehr behindern würde.
Um das alles richtig zu bewerten, sollte man sich zweierlei klarmachen:
Erstens bedeutet jeder Tag, an dem es zu keinen neuen Komplikationen kommt, automatisch eine Entspannung der Lage, weil die Nachzerfallswärme weiter zurückgeht. Allerdings geschieht der Abfall wegen seiner exponentiellen Form inzwischen nur noch langsam; siehe diese Grafik der Arbeitsgruppe am MIT, die sich mit Fukushima befaßt.
Die Wahrscheinlichkeit, daß es doch noch zu einer großen Kernschmelze kommt, nimmt damit weiter ab. Daß jetzt noch ein GAU wie in Tschernobyl eintreten könnte, ist sehr unwahrscheinlich, auch wenn die medialen Panikmacher diesen Fall weiter beschwören.
Zweitens treten aber zunehmend viele kleine Probleme an die Stelle dieser einen großen Gefahr. Die zentrale Schwierigkeit dabei ist, daß dort, wo ein Eingreifen am dringendsten erforderlich ist, Menschen wegen der Strahlung nicht hingelangen können.
Hinzu kommt, daß die höchste zulässige Strahlenbelastung (die Katastrophendosis von 250 mSv) nur einmal im Leben erreicht werden darf. Hierzu ein Rechenbeispiel: Nehmen wir an, ein Arbeiter war in den vergangenen Tagen während eines Notfalls fünf Stunden lang einer Spitzenbelastung mit 10 mSv/h ausgesetzt; sowie vier Arbeitstage je 8 Stunden lang einer Belastung von 3 mSv/h. Dann hat er insgesamt 50 + 96 = 146 mSv aufgenommen; bereits mehr als die Hälfte des maximalen Werts, dem er nur einmal im Leben ausgesetzt werden darf.
Wenn es also nicht bald gelingt, die Störfälle in den Griff zu bekommen, dann bleibt immer weniger Personal übrig, das überhaupt noch zur Verfügung steht. Das hat nichts mit "50 Tapferen" zu tun; es geht schlicht um die Einhaltung der Bestimmungen zum Strahlenschutz.
Aktualisierung am Donnerstag um 1.00 Uhr:
Die Nachrichten von NHL heute um 0.00 Uhr MEZ (8.00 Uhr morgens Ortszeit) haben vor allem Einzelheiten über die Lage bei Block 4 gebracht.
Wie schon in der Aktualisierung um 17.30 Uhr erläutert, droht hier keine Kernschmelze im Inneren des Containment, sondern das Schmelzen von abgebrannten Brennelementen, die außerhalb des Containment in Abklingbecken lagern und dort nicht mehr hinreichend von Kühlwasser umgeben sind. Laut NHK befindet sich im Reaktorgebäude 4 mehr solche abgebrannten Brennelemente als üblich; möglicherweise im Zusammenhang mit den Wartungsarbeiten.
Diese Becken liegen oberhalb des Containment und unterhalb des Dachs des Gebäudes (in der Walnuß-Analogie also zwischen der Nußschale und der Papierschachtel, zur Oberseite der Schachtel hin gelagert). Dies erklärt die Explosion in Block 4: Der Wasserstoff, der von diesen Brennelementen entweicht, hatte sich entzündet und das Dach sowie einen Teil der Mauern bei der Explosion weggesprengt.
Gerade diese Explosion eröffnet nun Chancen zur Kühlung; denn durch die von ihr verursachten Öffnungen kann man jetzt Wasser einzubringen versuchen.
Von den drei in der Aktualisierung um 17.30 genannten Verfahren war jetzt bei NHK von einem - dem Einsatz der Feuerwehr - nicht mehr die Rede. Zu dem gestern abgebrochenen Einsatz des Militärhubschraubers wurde gesagt, daß diese Methode wegen zu hoher Strahlung nicht weiter verfolgt worden sei (am späten Nachmittag war der Grund noch unklar gewesen).
Heute Morgen Ortszeit (also in den Stunden nach Mitternacht MEZ) soll nun mit dem Einsatz der Polizei-Wasserwerfer begonnen werden. Ein Experte im Studio sagte, so etwas sei noch nie erprobt worden, aber es sei im Augenblick der "last ditch", der letzte verbleibende Ausweg. Es sei unbedingt erforderlich, die Brennelemente zu kühlen.
Wieso die Strahlenbelastung für die Piloten eines Hubschraubers zu hoch ist, nicht aber für die Fahrzeugführer von Wasserwerfern, wurde nicht erläutert. Um 17.30 hatte ich die spekulative Vermutung geäußert, daß die Insassen der Fahrzeuge besser mit Bleischutz gegen die Strahlung abgeschirmt werden können.
Es ist also auch in dieser Nacht wieder wie in den beiden vorausgehenden Nächten: Es gibt gegenwärtig Grund zur Besorgnis. Nicht wegen eines zu befürchtenden "GAU" oder gar "Super-GAU", also einer umfassenden Kernschmelze, die sich in den Boden frißt. Aber es besteht die Gefahr, daß die nicht hinreichend gekühlten abgebrannten Brennelemente weigter schmelzen und verstärkt Radioaktivität freisetzen.
Das gilt nicht nur für Reaktor 4, sondern auch für die Reaktoren 5 und 6, die bei dem Erdbeben ebenfalls zur Wartung heruntergefahren gewesen waren. Die Strahlung in der Nähe von Reaktor 4 ist laut NHK inzwischen auf zeitweilig 15,8 Millisievert angestiegen.
Die Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis von 20 km war wegen dieser Gefahr eine, wie sich jetzt erweist, richtige Vorsorgemaßnahme. NHK zeigte Bilder von den Evakuierten, die teils in "shelters" untergebracht sind (also in Massenunterkünften; vorwiegend offenbar in Schulen), teils aber auch in angemieteten Hotels. Die Bilder vermittelten - wie so viele Bilder aus dem Japan nach der Katastrophe - den Eindruck außerordentlicher Disziplin. Bei ihre Ankunft werden die Evakuierten offenbar sofort auf Strahlung hin untersucht. Über etwaige Ergebnisse dieser Messungen wurde aber nicht berichtet.
Danach stellt sich die Lage am frühen Morgen so dar:
Das ist eine Momentaufnahme. Auch in der vergangenen Nacht - vor fast genau 24 Stunden - gab es eine Phase, in der es so aussah, als würde der Junge nicht nur rufen "Der Wolf! Der Wolf!", sondern als sei jetzt wirklich der Wolf im Dorf. Gestern Vormittag sah dann alles wieder viel besser aus.Es gibt zwei Beobachtungen: Erstens steigt über der Anlage weißer Rauch (oder Dampf? Englisch heißt es smoke) auf. Zweitens wurden am Eingang des Kraftwerks stark erhöhte Strahlendosen gemessen, die um 2.45 Uhr MEZ ein Maximum erreichten und seither wieder abfallen. Es ist unklar, ob die beiden Beobachtungen auf dasselbe Ereignis zurückgehen, oder ob sie unabhängig voneinander verursacht werden. Der weiße Rauch oder Dampf scheint von Block 3 zu kommen. Die erhöhte Strahlendosis am Tor könnte ebenfalls dort ihren Ursprung haben. Alternativ besteht die Möglichkeit, daß sie von Block 2 herrührt, dessen Torus beschädigt ist. (Der Torus ist eine ringförmige Kammer unterhalb des Reaktors, die der Kühlung dient; siehe Einige Quellen, die Sie zuverlässig über die Lage in den beiden Kernkraftwerken bei Fukushima informieren; ZR vom 15. 3. 2011). Edano passierte bei seiner Pressekonferenz ein grober Fehler, der gegenwärtig unkorrigiert beispielsweise im Live-Ticker von "Spiegel-Online" steht: Er verwechselte Microsievert mit Millisievert. "Spiegel-Online" um 3.20 Uhr: Es sei der Wert von 1000 Millisievert (1 Sievert) gemessen worden, berichtete Regierungssprecher Yukio Edano. Am Mittwochmorgen habe der Wert bei weiteren Messungen zwischen 600 und 800 Millisievert gelegen. 1000 Millisievert sind in Deutschland das Tausendfache dessen, was ein Mensch über ein ganzes Jahr hinweg an zusätzlicher Strahlung aufnehmen darf.Tatsächlich handelte es sich um Microsievert, wie der Sprecher des NISA sofort danach korrigierte. Der Höchstwert wurde um ungefähr um 2.45 Uhr MEZ mit 6400 Microsievert - also 6,4 Millisievert - erreicht. Gegen 3.00 Uhr MEZ betrug der Wert noch 3,3 Millisievert. Offenbar wurde also die erhöhte Strahlung durch eine Quelle verursacht, deren Wirkung wieder nachläßt. Die gesamte Meßreihe, die der Sprecher vorlas, zeigt allerdings keinen monotonen Verlauf, sondern Schwankungen; insgesamt aber einen Abwärtstrend seit 2.45 Uhr.Dieser unglaubliche Fehler von Edano wirft kein gutes Licht auf dessen fachliche Kompetenz und vermittelt zugleich einen Eindruck von der Verwirrung, die gegenwärtig bei den Verantwortlichen zu herrschen scheint. Auch die Sprecher des NISA machten einen unsicheren Eindruck, vertieften sich immer wieder in ihre Unterlagen, korrigierten und ergänzten zum Teil ihre Angaben während der Pressekonferenz. Neben diesem Eindruck einer Unsicherheit an der Spitze gibt es noch einen zweiten Faktor, der gegenwärtig Grund zu einem gewissen Pessimismus gibt: Auch wenn Edanos Angaben um drei Zehnerpotenzen zu hoch waren, sind doch auch die tatsächlichen Meßwerte so erheblich, daß Arbeiter sich nur kurze Zeit in der Nähe der Reaktoren aufhalten dürfen. Zusammen mit der Unsicherheit darüber, was eigentlich die Ursache des Rauchs oder Dampfs ist und ob die erhöhte Strahlung von Reaktor 2 oder 3 kommt, vermittelt dies das Bild einer Situation, die möglicherweise außer Kontrolle zu geraten beginnt.
Aber neben den beiden genannten Faktoren - der offenkundigen Unsicherheit an der Spitze und der kurzen Zeit, die sich die wenigen überhaupt noch im Einsatz befindlichen Arbeiter und Techniker noch im Bereich des KKW aufhalten dürfen - gibt ein dritter Faktor Anlaß zur Sorge: Die Zahl der Bereiche im Kraftwerk, in denen es Probleme gibt.
Das sind ja nicht nur die Blöcke 2 und 3, die bei den Pressekonferenzen im Mittelpunkt standen; sondern auch Block 4 (einer der Reaktoren, die heruntergefahren waren, als das Unglück passierte) muß einbezogen werden. Es wird gemeldet, daß der dortige Brand vom gestrigen Abend (offenbar in einem nicht hinreichend gekühlten Lager für Brennstäbe) von selbst wieder ausgegangen ist. Aber es kann dort auch erneut losgehen.
Laut New York Times soll es sich allerdings nur um in Brand geratenes Schmieröl gehandelt haben. Wenn das stimmt, dann wäre Block 4 die geringste Sorge, welche die japanischen Behörden und der Betreiber Tepco im Augenblick haben.
Aktualisierung um 10.00 Uhr:
Die Lage hat sich in den vergangenen fünf Stunden kaum verändert.
Es gibt allerdings eine gute Nachricht: Wie man z.B. bei CNN nachlesen kann, wurde um 6.10 Uhr MEZ gemeldet, daß die Strahlenbelastung jetzt so weit gesunken ist, daß die Arbeiter wieder in das KKW zurückkehren können.
Allerdings war dem vorausgegangen, daß die Regierung den Grenzwert für die zulässige Strahlendosis auf 250 mSv angehoben hatte (siehe diesen Beitrag von Nilfisk in Zettels kleinem Zimmer und die dort verlinkten Quellen). Dies entspricht der sogenannten Katastrophendosis, die auch in Deutschland und Österreich bei einem Katastropheneinsatz einmal im Leben zulässig ist.
Aktualisierung um 17.30 Uhr:
Es gibt die gute Nachricht, daß es keine bedeutsamen neuen Nachrichten gibt. Selbst "Spiegel-Online" kann keine weiteren Horrormeldungen servieren und weicht im Augenblick auf Frontberichterstattung aus ("Die 'Tapferen 50' an der Strahlenfront").
Was in den vergangenen siebeneinhalb Stunden an Nachrichten hinzugekommen ist, zeigt im wesentlichen, wie falsch und agitatorisch viele der Horrormeldungen waren und sind, die Ihnen die deutschen Medien bieten. Die folgende Zusammenstellung geht wesentlich auch auf Informationen zurück, die in Zettels kleinem Zimmer gepostet wurden (siehe den Dank in der Fußzeile):
Daß Radioaktivität nun auch im Trinkwasser nachgewiesen worden sei, war vorübergehend der Aufmacher bei "Spiegel-Online". Tatsächlich handelt es sich, wie man zum Beispiel bei CNN nachlesen kann, um die Ergebnisse einer Probe, die in der Stadt Fukushima heute Morgen um 8.00 Uhr Ortszeit (00.00 Uhr MEZ) gezogen worden war. Es waren in ihr Spuren von Cäsium und Jod in unschädlichen Konzentrationen gefunden worden. Bei einer erneuten Messung im Lauf des heutigen Tages konnten auch diese Spuren nicht mehr nachgewiesen werden. Die "Tapferen 50", die uns "Spiegel-Online" präsentiert, sind auch von der Zahl her inzwischen Legende. Gegenwärtig arbeiten wieder 180 Techniker und Arbeiter auf dem Gelände von Fukushima Daiichi. Auch das meldet CNN. Keine Legende, sondern eine Ente war es, daß das Gelände vorübergehend vollständig evakuiert worden sei. Ein japanischer Blogger hat das Mißverständnis in seinem Blog Joi's Tumblr aufgeklärt: Der Regierungssprecher Edano hatte sagen wollen, daß die Arbeiter vorübergehend an einen "sicheren Ort" gebracht worden waren, nämlich in einen gegen Strahlung geschützen Raum innerhalb des Geländes. Er verwendete aber einen japanischen Ausdruck, der in der Übersetzung ins Englische so verstanden wurde, daß sie "in eine sichere Region", also vom Gelände weg, gebracht worden seien. Ein anderes Beispiel dafür, wie "Spiegel-Online" Panik zu schüren versucht, ist diese Grafik. Dort steht "400 mSv - Strahlendosis pro Stunde am havarierten Kraftwerk Fukushima I am Dienstagmorgen, den 15. März". "Am Kraftwerk" ist schlicht falsch. Dieser Wert wurde gerade nicht am Kraftwerk gemessen, also an dessen Hauptmeßpunkt am Eingang. Es handelt sich vielmehr um einen einzigen Meßwert, der in der Nacht zum Dienstag um 1 Uhr MEZ kurzzeitig unmittelbar neben Block 3 gemessen wurde, als dort das Feuer ausgebrochen war.
Dieser Wert fiel völlig aus den anderen Messungen heraus; möglicherweise handelte es sich um eine Fehlmessung oder eine Fehlablesung. Zur selben Zeit wurden nämlich am einige hundert Meter entfernten Haupttor nur 11,9 Millisievert gemessen; dieser Wert sank innerhalb von sechs Stunden auf 0,6 Millisievert (siehe zu diesen Details Dramatischer Rückgang der Radioaktivität im KKW Fukushima Daiichi; ZR vom 15. 3. 2011).
Aus den Nachrichten im japanischen Sender NHK - Sie können ihn hier live verfolgen - geht hervor, daß das Augenmerk inzwischen nicht mehr primär den Blöcken 1 und 2 gilt, sondern zunehmend den Blöcken 3 und 4.
Vor allem das Problem von Brennstäben, die in Auffangbecken gelagert sind und die durch Wasserverlust nicht mehr hinreichend gekühlt werden können, bereitet Sorgen. Darauf hatte schon gestern Abend in CNN der Experte Jim Walsh aufmerksam gemacht (siehe Einige Quellen, die Sie zuverlässig über die Lage in den beiden Kernkraftwerken bei Fukushima informieren (Letzte Aktualisierung: Dienstag 23.30 Uhr); ZR vom 15. 3. 2011).
Zur Kühlung werden hier verschiedene Verfahren eingesetzt oder sollen eingesetzt werden: Hubschrauber, die Wasser heranbringen; Feuerwehren mit ihren Löschfahrzeugen; Wasserwerfer der Polizei.
Der Einsatz von Hubschraubern des Miltärs wurde laut NHK inzwischen wieder beendet. Warum, ist nicht ganz klar. Es könnte wegen der Strahlenbelastung gewesen sein oder auch deshalb, weil diese Methode sich als nicht hinreichend effizient erwies.
Das Problem für das Heranführen von Wasser auf dem Landweg ist, daß dafür erst Wege geschaffen werden müssen. Das scheint gegenwärtig im Gang zu sein; siehe diesen Beitrag von nilfisk in Zettels kleinem Zimmer.
NHK meldet, daß jetzt vor allem Wasserwerfer der Polizei eingesetzt werden sollen. Gegenüber der Hubschrauber-Methode habe das den Vorteil, daß schnell große Mengen Wasser eingebracht werden können. Die Polizisten in den Fahrzeugen trügen, so wird betont, Schutzanzüge. Da sie sich kaum bewegen müssen, könnte - so ist zu vermuten - auch schwerer Bleischutz eingesetzt werden, der ansonsten Arbeiter zu sehr behindern würde.
Um das alles richtig zu bewerten, sollte man sich zweierlei klarmachen:
Erstens bedeutet jeder Tag, an dem es zu keinen neuen Komplikationen kommt, automatisch eine Entspannung der Lage, weil die Nachzerfallswärme weiter zurückgeht. Allerdings geschieht der Abfall wegen seiner exponentiellen Form inzwischen nur noch langsam; siehe diese Grafik der Arbeitsgruppe am MIT, die sich mit Fukushima befaßt.
Die Wahrscheinlichkeit, daß es doch noch zu einer großen Kernschmelze kommt, nimmt damit weiter ab. Daß jetzt noch ein GAU wie in Tschernobyl eintreten könnte, ist sehr unwahrscheinlich, auch wenn die medialen Panikmacher diesen Fall weiter beschwören.
Zweitens treten aber zunehmend viele kleine Probleme an die Stelle dieser einen großen Gefahr. Die zentrale Schwierigkeit dabei ist, daß dort, wo ein Eingreifen am dringendsten erforderlich ist, Menschen wegen der Strahlung nicht hingelangen können.
Hinzu kommt, daß die höchste zulässige Strahlenbelastung (die Katastrophendosis von 250 mSv) nur einmal im Leben erreicht werden darf. Hierzu ein Rechenbeispiel: Nehmen wir an, ein Arbeiter war in den vergangenen Tagen während eines Notfalls fünf Stunden lang einer Spitzenbelastung mit 10 mSv/h ausgesetzt; sowie vier Arbeitstage je 8 Stunden lang einer Belastung von 3 mSv/h. Dann hat er insgesamt 50 + 96 = 146 mSv aufgenommen; bereits mehr als die Hälfte des maximalen Werts, dem er nur einmal im Leben ausgesetzt werden darf.
Wenn es also nicht bald gelingt, die Störfälle in den Griff zu bekommen, dann bleibt immer weniger Personal übrig, das überhaupt noch zur Verfügung steht. Das hat nichts mit "50 Tapferen" zu tun; es geht schlicht um die Einhaltung der Bestimmungen zum Strahlenschutz.
Aktualisierung am Donnerstag um 1.00 Uhr:
Die Nachrichten von NHL heute um 0.00 Uhr MEZ (8.00 Uhr morgens Ortszeit) haben vor allem Einzelheiten über die Lage bei Block 4 gebracht.
Wie schon in der Aktualisierung um 17.30 Uhr erläutert, droht hier keine Kernschmelze im Inneren des Containment, sondern das Schmelzen von abgebrannten Brennelementen, die außerhalb des Containment in Abklingbecken lagern und dort nicht mehr hinreichend von Kühlwasser umgeben sind. Laut NHK befindet sich im Reaktorgebäude 4 mehr solche abgebrannten Brennelemente als üblich; möglicherweise im Zusammenhang mit den Wartungsarbeiten.
Diese Becken liegen oberhalb des Containment und unterhalb des Dachs des Gebäudes (in der Walnuß-Analogie also zwischen der Nußschale und der Papierschachtel, zur Oberseite der Schachtel hin gelagert). Dies erklärt die Explosion in Block 4: Der Wasserstoff, der von diesen Brennelementen entweicht, hatte sich entzündet und das Dach sowie einen Teil der Mauern bei der Explosion weggesprengt.
Gerade diese Explosion eröffnet nun Chancen zur Kühlung; denn durch die von ihr verursachten Öffnungen kann man jetzt Wasser einzubringen versuchen.
Von den drei in der Aktualisierung um 17.30 genannten Verfahren war jetzt bei NHK von einem - dem Einsatz der Feuerwehr - nicht mehr die Rede. Zu dem gestern abgebrochenen Einsatz des Militärhubschraubers wurde gesagt, daß diese Methode wegen zu hoher Strahlung nicht weiter verfolgt worden sei (am späten Nachmittag war der Grund noch unklar gewesen).
Heute Morgen Ortszeit (also in den Stunden nach Mitternacht MEZ) soll nun mit dem Einsatz der Polizei-Wasserwerfer begonnen werden. Ein Experte im Studio sagte, so etwas sei noch nie erprobt worden, aber es sei im Augenblick der "last ditch", der letzte verbleibende Ausweg. Es sei unbedingt erforderlich, die Brennelemente zu kühlen.
Wieso die Strahlenbelastung für die Piloten eines Hubschraubers zu hoch ist, nicht aber für die Fahrzeugführer von Wasserwerfern, wurde nicht erläutert. Um 17.30 hatte ich die spekulative Vermutung geäußert, daß die Insassen der Fahrzeuge besser mit Bleischutz gegen die Strahlung abgeschirmt werden können.
Es ist also auch in dieser Nacht wieder wie in den beiden vorausgehenden Nächten: Es gibt gegenwärtig Grund zur Besorgnis. Nicht wegen eines zu befürchtenden "GAU" oder gar "Super-GAU", also einer umfassenden Kernschmelze, die sich in den Boden frißt. Aber es besteht die Gefahr, daß die nicht hinreichend gekühlten abgebrannten Brennelemente weigter schmelzen und verstärkt Radioaktivität freisetzen.
Das gilt nicht nur für Reaktor 4, sondern auch für die Reaktoren 5 und 6, die bei dem Erdbeben ebenfalls zur Wartung heruntergefahren gewesen waren. Die Strahlung in der Nähe von Reaktor 4 ist laut NHK inzwischen auf zeitweilig 15,8 Millisievert angestiegen.
Die Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis von 20 km war wegen dieser Gefahr eine, wie sich jetzt erweist, richtige Vorsorgemaßnahme. NHK zeigte Bilder von den Evakuierten, die teils in "shelters" untergebracht sind (also in Massenunterkünften; vorwiegend offenbar in Schulen), teils aber auch in angemieteten Hotels. Die Bilder vermittelten - wie so viele Bilder aus dem Japan nach der Katastrophe - den Eindruck außerordentlicher Disziplin. Bei ihre Ankunft werden die Evakuierten offenbar sofort auf Strahlung hin untersucht. Über etwaige Ergebnisse dieser Messungen wurde aber nicht berichtet.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette zeigt ein von Tungsten in die Public Domain gestelltes Schema der fünf "Verteidigungslinien", die einen Reaktor schützen. Näheres finden Sie hier. Mit Dank an nilfisk, Stefanolix und Gandsy.