15. März 2011

Einige Quellen, die Sie zuverlässig über die Lage in den beiden Kernkraftwerken bei Fukushima informieren (Letzte Aktualisierung: Dienstag 23.30 Uhr)

Bei "Fukushima" handelt es sich tatsächlich um zwei Kraftwerke nah der Stadt Fukushima; um das Kraftwerk Daiichi (Fukushima I) und um das Kraftwerk Daini (Fukushima II).

Im Kraftwerk Daini gibt es vier Blöcke, die alle erfolgreich abgeschaltet wurden und bei denen die Nachzerfallswärme unter Kontrolle ist. Probleme bereiten drei der sechs Blöcke des Kraftwerks Daiichi; die übrigen drei waren zum Zeitpunkt der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe wegen Wartungsarbeiten nicht in Betrieb.

Wo kann man sich zuverlässig und aktuell über das informieren, was sich im Kraftwerk Daiichi zuträgt?

Wenn Sie die Zeit erübrigen können, einen Nachrichtensender zu verfolgen, und wenn Sie Englisch verstehen, dann ist die mit Abstand schnellste, zuverlässigste und detaillierteste Quelle das internationale Programm des Senders NHK, das Sie hier im Blog live ansehen können. Ich empfehle den Vollbildmodus, unter dem auch die Details der Grafiken gut zu erkennen sind, die wesentlich zur Verständlichkeit der Sendungen beitragen.

Zwei offizielle Quellen, die zuverlässig sind, aber nicht immer aktuell, sind die WebSite der IAEA, der internationalen Atomenergie-Organisation; sowie der von Fachleuten geschriebene Informationsdienst World Nuclear News.

Fachlich weniger kompetent, dafür aber immer äußerst aktuell ist die Berichterstattung von CNN.

Wenn Sie sich einen Überblick über die gesamte Nachrichtenlage verschaffen wollen, dann klicken Sie bitte auf diesen Link, der sie zu allen Pressemeldungen führt, die sich jeweils aktuell mit dem Thema Fukushima beschäftigen. Der Überblick wird minütlich erneuert, so daß Sie dort ständig den neuesten Stand abfragen können.

Es werden Berichte guter und weniger guter Quellen erfaßt. Immer eine Lektüre wert sind dort angezeigte Artikel der New York Times, der Washington Post und der Los Angeles Times.

Das sind alles internationale, also englischsprachige Quellen. Deutschsprachige Quellen kann ich Ihnen nicht empfehlen; sie sind selten sowohl zuverlässig als auch aktuell. Sie finden die Ereignisse dort häufig aufgebauscht; es fehlen die wissenschaftlichen Kenntnisse, und positive Nachrichten werden nachgerade routinemäßig unterschlagen.

Wenn Sie sich dennoch einen Überblick über die deutschsprachige Nachrichtenlage verschaffen wollen, dann erhalten Sie ihn über diesen Link zu den Artikeln zum Stichwort Fukushima in der deutschsprachigen Presse.



Im Augenblick - um 4.00 Uhr MEZ - stellt sich die Nachrichtenlage so dar:

Das, was in deutschen Medien seit Tagen fälscherlicherweise behauptet wurde, ist jetzt leider tatsächlich eingetreten - erstmals ist eine bedrohliche Situation entstanden. Sie muß nicht unbedingt schlimme Folgen haben, aber es gibt jetzt wirklich Grund zur Besorgnis.

Diese Situation kam, wie man zum Beispiel in der Los Angeles Times lesen kann, folgendermaßen zustande:

Die Kühlung aller drei Rektoren erfolgt inzwischen über Meerwasser. Im Reaktor 2 konnte nun dieses Wasser gestern nicht schnell genug nachgefüllt werden; sei es wegen versagender Pumpen, sei es wegen zu großem Druck im Reaktorinneren. Das scheint noch nicht ganz klar zu sein.

Jedenfalls waren gestern dadurch in diesem Reaktor die Brennstäbe rund zwei Stunden lang nicht gekühlt gewesen und hatten sich erhitzt. Als nun wieder Meerwasser eingefüllt wurde, schien alles zunächst unter Kontrolle zu sein; ich habe das gestern Nachmittag berichtet. Das Wasser hatte bereits einen Stand von zwei Metern erreicht, und es wurde weiteres Wasser nachgepumpt.

Dann aber passierte, wie es scheint, folgendes: Es kam zu einer Reaktion dieses Wassers mit der Zirkonium-Ummantelung von Brennstäben, bei der Wasserstoff freigesetzt wurde.

Das ist vermutlich auch schon früher in diesem und/oder anderen der drei betroffenen Reaktoren in Fukushima Daiichi passiert (drei weitere Reaktoren waren zum Zeitpunkt der Naturkatastrophe wegen Wartungsarbeiten stillgelegt).

Bisher gelang es aber, diesen Wasserstoff in ausreichendem Umfang in den Raum zwischen dem Containment und dem Reaktorgebäude abzuleiten; in der Illustration mit der Walnuß in der Schachtel also in den Raum zwischen der Nußschale und der Papierschachtel.

Dort reagierte in den bisherigen Fällen der Wasserstoff mit Sauerstoff, und es gab Knallgas-Explosionen. Das war vergleichsweise harmlos, weil nur das Dach oder Seiten des Reaktorgebäudes wegflogen und dabei nur schwache ionisierende Strahlung austrat (siehe zu den verschiedenen Formen der ionisierenden Strahlung Welche Formen ionisierender Strahlung können in Fukushima aus den Reaktoren austreten? Wie gefährlich sind sie?; ZR vom 12. 3. 2011).

Es scheint nun aber - es scheint; bestätigt ist es noch nicht -, daß diesmal im Reaktor 2 etwas ganz Anderes passiert ist: Innerhalb des Containments (in der Illustration also der Nußschale) kann es zwar aufgrund der technischen Auslegung nicht zu einer Knallgas-Explosion kommen. Es kann sich dort aber Wasserstoff durch einen Funken entzünden.

Das ist es, was - nach der bisherigen Analyse beispielsweise im Sender NHK - jetzt geschehen sein könnte. Es hätte sich dann nicht wie in den bisherigen Fällen um eine Explosion außerhalb des Containments gehandelt, sondern in diesem selbst; nicht zwischen Nußschale und Papierschachtel, sondern in der Nuß.

Wenn das geschehen sein sollte, dann ist wahrscheinlich das Containment beschädigt; und damit besteht die Gefahr, daß hoch radioaktive Substanzen wie Jod-131 und Cäsium-137 in die Umgebung gelangt sein könnten und noch weiter gelangen werden.



Bisher sind das nur erste Analysen. Aber es könnte im ungünstigsten Fall mit der Panikmache unserer Medien so sein wie in dem russischen Märchen von dem Jungen, der immer wieder durch das Dorf läuft und ruft "Ein Wolf!, ein Wolf!".

Immer stimmte es nicht; immer hielt der Junge die Dorfbewohner zum Narren. Aber einmal kam der Wolf dann doch.




Aktualisierung um 10.00 Uhr:

World Nuclear News präzisiert jetzt, worum es sich bei der Beschädigung im Inneren des Containments handeln könnte:

Unterhalb des eigentlichen Reaktors befindet sich der sogenannte Torus, eine ringförmige Struktur ungefähr wie ein Doughnut (andere Bezeichnung suppression chamber). Der Torus ist eine mit Wasser gefüllte Kammer, zu der hin in Notfällen Dampf gelenkt werden kann, wo er kondensiert. Dadurch verringert sich der Druck im Reaktorinneren.

In der vergangenen Nacht (22.10 MEZ) waren aus Block 2 starke Geräusche zu hören. Danach sank der Druck im Torus von drei Atmosphären auf eine Atmosphäre; was vermuten läßt, daß dort ein Leck aufgetreten ist. Zugleich stieg die Radioaktivität neben dem Block stark an, fiel dann aber wieder ab. Dieser Vorgang ist das, was in den Meldungen als "Explosion" bezeichnet wurde und wird.

Danach würde es sich um einen Vorfall im Inneren des Containment handeln, ohne daß es dabei notwendigerweise zu einer Beschädigung des Containment selbst kam. Siehe dazu auch diese Meldung des San Francisco Chronicle.



Anläßlich dieser Aktualisierung habe ich den ersten Absatz des Artikels umgeschrieben, um zu präzisieren, um welche Blöcke in welchem Kraftwerk es sich handelt.

Sodann möchte ich drei deutschsprachige Quellen nachtragen:
  • Technische Hintergrund-Informationen in "Calimeros Rumpelkammer" in (bisher) drei Teilen: Teil 1, Teil 2 und Teil 3;

  • der schon in einem Beitrag am vergangenen Samstag erwähnte Artikel von Jörg Rings im Blog Diax's Rage, der fortlaufend aktualisiert wird;

  • die (allerdings lakonischen) Zusammenfassungen auf der WebSite der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit.
  • Das momentane Fazit ist, daß die Lage jetzt weniger kritisch erscheint als vor sechs Stunden, als ich den Artikel geschrieben habe. Vor allem gibt es für die Befürchtung, daß das Containment von Block 2 ernsthaft beschädigt sein könnte, bisher keine neuen Indizien.




    Aktualisierung um 18.30 Uhr:

    Die aktuelle Entwicklung der Radioaktivität im KKW Fukushima Daiichi habe ich inzwischen in einem eigenen Artikel behandelt.

    Die Berichterstattung beispielsweise bei CNN wird immer weniger von den tatsächlichen Ereignissen in dem KKW als vielmehr von den Reaktionen darauf beherrscht.

    Was die technische Situation angeht, bestätigt CNN das, was ich in dem zitierten Artikel berichtet habe:
    Radiation level readings spiked at the building gate during the fire but went down after the blaze was extinguished. Chief Cabinet Secretary Yukio Edano said amounts returned to a level that would not cause "harm to human health." David Brenner, director of the Center for Radiological Research at Columbia University, said he thinks "at this point in time, there's no real evidence that there are health risks to the general population."

    For example, radiation levels in Tokyo were twice the usual level Tuesday, but they were too negligible to pose a health threat, officials said.

    Die Meßwerte zur Strahlungsstärke schnellten am Eingang des Gebäudes während des Brandes nach oben, gingen aber wieder nach unten, nachdem der Brand gelöscht worden war. Der Chef-Kabinettssekretär Yukio Edano sagte, die Beträge seien auf ein Niveau zurückgekehrt, das keinen "Schaden für die menschliche Gesundheit" bewirken würde. David Brenner, der Leiter des Zentrums für radiologische Forschung an der Columbia-Universität meinte, daß nach seiner Auffassung "zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine wirklichen Hinweise darauf vorliegen, daß es für die Bevölkerung ein Gesundheitsrisiko gibt".

    Beispielsweise lag die Stärke der Strahlung in Tokio am Dienstag beim Doppelten des üblichen Niveaus, aber diese Werte sind derart vernachlässigbar, daß sie nach Aussage der Behörden keine Gefahr für die Gesundheit darstellen.
    Aber die Reaktion wird auch in Japan ängstlicher:
    Fears of radioactive exposure gripped the country as workers tackled quake-crippled cooling systems at the Fukushima Daiichi nuclear plant in northeastern Japan and coped with fires and explosions there. (...) But Japanese authorities couldn't rule out the specter of greater radiation dangers down the road.

    Ängste davor, radioaktiver Strahlung ausgesetzt zu sein, bemächtigten sich des Landes, während Arbeiter sich die Kühlsysteme im Kraftwerk Fukushima Daiichi vornahmen, die durch das Erdbeben außer Betrieb gesetzt worden waren. (...) Aber die japanischen Behörden konnten das Gespenst einer stärkeren Strahlung irgendwann später einmal nicht ausschließen.
    Ein weiterer Nachtrag:

    Seit Donnerstag findet ein Text im Internet weite Verbreitung, der von Dr. Josef Oehmen stammt und der auf eine sachliche Art die allgemeinen technischen Grundlagen solcher Reaktoren schildert; der aber natürlich, was das Aktuelle angeht, inzwischen durch den Gang der Ereingisse überholt ist.

    Sie können ihn in deutscher Übersetzung im Blog "Bodenseepeter" lesen; oder beispielsweise auch, kommentiert von David Harnasch, bei der "Achse des Guten".

    Inzwischen ist dieser Text Oehmens, der selbst kein Nuklearwissenschaftler oder Kraftwerksingenieur ist, von Fachleuten am MIT überarbeitet und aktualisiert worden und steht jetzt am MIT zur Verfügung. Dort gibt es auch Aktualisierungen.

    Allerdings stammt die letzte Aktualisierung aus der vergangenen Nacht um 3.55 Uhr MEZ; Sie finden dort also nicht den jetzigen Stand.




    Aktualisierung um 23.30 Uhr:

    Hier können Sie ein Interview von NHK mit dem Experten für Reaktorsicherheit Atsushi Takeda sehen, der Fukushima im Vergleich mit den Unfällen in Tschernobyl (1986) und und Three Miles Island (1979) diskutiert.

    Takeda war Mitglied eines internationalen Teams, das der UdSSR nach dem Unfall von Tschernobyl half; er war unter anderem an der Konstruktion eines "Sarkophags" zur Abdichtung der KKW-Ruine beteiligt.

    Sein Fazit ist, daß der Unfall in Fukushima weitaus weniger ernst sei als damals derjenige in Tschernobyl. Die beiden Hauptunterschiede:
  • In Tschernobyl lief während des Unfalls die Kettenreaktion im Reaktor ungebremst weiter, ja sie beschleunigte sich ("Es war, als würde man auf den Gashebel drücken statt auf die Bremse"). In Fukushima wurden hingegen die Kettenreaktionen in allen Reaktoren im Augenblick des Erdbebens automatisch gestoppt.

  • Das KKW Tschernobyl verfügte nicht über ein Containment, so daß die durch die fortdauernde Kettenreaktion produzierte Radioaktivität ungehindert in die Umgebung gelangen konnte. In Fukushima wird das, was an Strahlung jetzt noch trotz der Beendigung der Kettenreaktion produziert wird, durch die Containments in deren Innerem festgehalten.
  • Takedas Vergleich mit Three Miles Island:
  • Dort war der Unfall schwerer als in Fukushima, denn wie in Tschernobyl konnte die Kettenreaktion nicht sofort gestoppt werden und lief unkontrolliert weiter.

  • Andererseits funktionierten dort aber die externen Sicherheitssysteme, die jetzt in Fukushima durch die kombinierte Einwirkung von Erdbeben und Tsunami größtenteils zusammengebrochen sind.
  • Takeda zeigt sich in dem Interview überzeugt, daß der Unfall gemeistert werden wird. Es komme jetzt darauf an, die Kühlung mit welchen Mitteln auch immer so lange aufrechtzuerhalten, bis die Prozesse, die jetzt noch die Nachzerfallswärme erzeugen, von selbst aufgehört haben.

    Das Interview wird auch direkt von NHK ausgestrahlt, das Sie hier live verfolgen können. Es wurde im Lauf des gestrigen Tages aufgezeichnet; die genaue Uhrzeit kenne ich leider nicht.



    Das klingt ermutigend und widerspricht - wie fast alles seriösen Informationen - massiv dem Bild einer Katastrophe, das in Deutschland die meisten Medien zeichnen.

    Es gibt allerdings aktuell auch eine negative Entwicklung: Wie CNN meldet, ist in Reaktor 4 - der wie die Reaktoren 5 und 6 zum Zeitpunkt des Bebens heruntergefahren gewesen war - erneut ein Feuer ausgebrochen ist. Der Brand wurde um 21.45 Uhr MEZ entdeckt. Soeben wird gemeldet, daß er an derselben Stelle ausgebrochen ist wie beim ersten Mal - in einem Lager für Brennelemente.

    Der Experte Jim Walsh kommentierte das gegenüber CNN mit dem Hinweis, daß möglicherweise die Bedrohung durch solche Brände in den Blöcken 4, 5 und 6 inzwischen größer sein könnte als durch eine Kernschmelze in einem der Blöcke 1, 2 oder 3; diese wird immer unwahrscheinlicher, weil - siehe oben - die Nachzerfallwärme weiter zurückgeht.

    Walsh sieht mangelnde Kühlung als die Ursache für das Feuer und weist darauf hin, daß die 50 im Augenblick noch in Fukushima Daiichi verbliebenen Techniker und Arbeiter schlicht damit überfordert sein könnten, aller dieser Probleme Herr zu werden.
    Zettel



    © Zettel. Die erste Fassung dieses Artikels wurde am 15. 3. um 4.03 Uhr publiziert. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette zeigt ein von Tungsten in die Public Domain gestelltes Schema der fünf "Verteidigungslinien", die einen Reaktor schützen. Näheres finden Sie hier. Mit Dank an Frode, energist und Blub.