10. März 2011

Kurioses, kurz kommentiert: "Hartz-IV-Empfänger dürfen keine Sportwetten abschließen". Ein Satz aus dem Kölner Karneval? Nein, vom Kölner Landgericht

Zeitungsberichte über Gerichtsentscheidungen sind immer mit Vorsicht zu lesen. Oft fehlen nicht nur die Einzelheiten des Falls, die man kennen muß, um das Urteil richtig einordnen zu können; sondern die juristischen Hintergründe bleiben auch im Dunkeln - die Gesetzeslage, die höchstrichterlichen Entscheidungen, auf die man sich beruft. Auch juristisches Denken spielt eine Rolle, das mitunter andere Wege geht als das Denken des Nichtjuristen.

Dies gesagt, kommt mir das höchst kurios vor, was seit heute Mittag in "Welt-Online" zu lesen ist; Überschrift "Gericht verbietet Sportwetten für Hartz-IV-Empfänger". Dort heißt es:
Hartz-IV-Empfänger dürfen in Nordrhein-Westfalen ab sofort keine Sportwetten mehr abschließen. Laut Landgericht Köln gehört Glücksspiel nicht zur Grundsicherung. (...)

Dem Beschluss der Kölner Richter folgend droht Westlotto ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro, sollte eine Annahmestelle einen Sportwetten-Schein von einem Hartz-IV-Empfänger annehmen. (...)

Die Regelsätze der neuen Gesetzgebung sehen nur Geld für die Grundsicherung vor – Alkohol, Tabak oder Glücksspiel gehören nicht dazu. Im Staatsvertrag haben sich die Länder aber dazu verpflichtet, "die Spieler zu verantwortungsbewusstem Spiel anzuhalten". Das passt nach Meinung der Kölner Richter nicht zusammen.
Leider geht aus dieser Meldung nicht hervor, ob der Beschluß während der Tollen Tage verfaßt oder verkündet wurde. Denn so kommt mir das vor: Als Teil einer Büttenrede. Fehlt nur noch der Tusch und das dreifach donnernde Helau. Ach so, dann wären wir ja in Määnz.



Aber im Ernst: Der Beschluß stammt von Richtern ja nicht des Amtsgerichts von Oberhinterkleckersdorf, sondern des Landgerichts Köln; diese werden schon juristisch zurechtzubiegen gewußt haben, was sie da verkündeten. Mir als Laien drängen sich aber etliche Kuriosa auf:
  • Erstens scheint es mir auf der Hand zu liegen, daß die Berechnung der Regelsätze lediglich zur Ermittlung eines Anspruchs dient. Der Staat ist verpflichtet, das Existenzminimum zu gewähren; also das, was man braucht, um bei sparsamem Wirtschaften am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Zu dessen Berechnung dient der berühmt-berüchtigte "Warenkorb".

    Aber daraus ergibt sich doch keine Verpflichtung des Hartz-IV-Empfängers, sein Geld gemäß diesem Warenkorb auszugeben. Er ist frei darin, auf Kino, Zeitung und Kultur zu verzichten und das Geld stattdessen für Zigaretten zu verwenden und Pornofilme. Er kann, wenn er will, auch asketisch leben, um sich dadurch ein Theater-Abonnement leisten zu können. Was geht das den Staat an, der diese Menschen doch nicht wie Haustiere halten darf, denen er ihr Futter zuteilt, die er striegelt und die er Gassi führt?

  • Zweitens verweist der Beschluß auf den Staatsvertrag, in dem sich die Länder verpflichtet haben, "die Spieler zu verantwortungsbewußtem Spiel anzuhalten". Ja, aber doch eben die Spieler. Das Angebot soll also zum Beispiel generell so gestaltet werden, daß keine Spielsucht entsteht. Der Staatsvertrag besagt aber - so verstehe ich das jedenfalls - nicht, daß die Länder bei jedem einzelnen Spieler individuell prüfen sollen, ob man ihn denn wohl für geeignet zum Spielen hält, oder vielleicht doch lieber nicht. Ja, leben wir denn schon im Sozialismus? möchte man die Richter fragen, die das so auslegen.

  • Drittens stellt sich natürlich die Frage, wie die Richter am Landgericht Köln sich denn wohl die Umsetzung ihres Beschlusses vorstellen. Wer soll denn prüfen, ob jemand, der eine Sportwette abschließen will, Hartz-IV-Empfänger ist? Die Frau an der Annahmestelle? Aber wie? Sie kann das nicht; es geht schlechterdings nicht.

    Also wird man in jeder Annahmestelle eine Außenstelle derjenigen Behörde einrichten müssen, die für die Verwaltung der Hartz-IV-Zahlungen zuständig ist. Sodann wird die gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen sein, daß jeder, der eine Sportwette abschließen will, verpflichtet ist, seinen Personalausweis mitzuführen und ihn diesem Behördenvertreter vorzulegen. Dieser gleicht die Daten dann ab. Handelt es sich nicht um einen Hartz-IV-Empfänger, dann erhält er einen Sportwetten-Teilnahme-Erlaubnisschein, mit dem er an den Wettschalter treten darf.
  • Man könnte das Verfahren natürlich vereinfachen, indem man per Gesetz jeden Hartz-IV-Empfänger verpflichtet, an seiner Kleidung gut sichtbar ein Abzeichen zu tragen. Oder indem man - das wäre vielleicht das Einfachste - allen guten Bürgern, die nicht Hartz-IV beziehen, eine halbjährlich zu erneuernde behördliche Bescheinigung ausstellt, die sie zur Teilnahme an Sportwetten berechtigt.



    Jeder Jeck is anners, heißt es in Kölle. Die Jecken vom Landgericht scheinen allerdings sehr, sehr anners zu sein.




    Nachtrag um 19.15 Uhr: Sie sind, wie ich mich inzwischen habe belehren lassen und teils auch selbst nachgesehen haben, vielleicht eher Weise im Gewand des Jecken.

    Denn diese Einstweilige Verfügung, so absurd sie wirkt, scheint sich aus der absurden Rechtslage zu ergeben. Darauf haben mich in Zettels Kleinem Zimmer DrNick und C. aufmerksam gemacht, denen ich dafür danke.

    Hier finden Sie den Wortlaut des bisher noch in Kraft befindlichen Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV), in dem es in § 6 tatsächlich heißt:
    Die Veranstalter und Vermittler von öffentlichen Glücksspielen sind verpflichtet, die Spieler zu verantwortungsbewusstem Spiel anzuhalten und der Entstehung von Glücksspielsucht vorzubeugen. Zu diesem Zweck haben sie Sozialkonzepte zu entwickeln, ihr Personal zu schulen und die Vorgaben des Anhangs "Richtlinien zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht" zu erfüllen. In den Sozialkonzepten ist darzulegen, mit welchen Maßnahmen den sozialschädlichen Auswirkungen des Glücksspiels vorgebeugt werden soll und wie diese behoben werden sollen.
    Die Wettannahmestelle als therapeutische Anstalt sozusagen.

    Allerdings ist mir nach dem bisher Recherchierten immer noch nicht klar, wie das Kölner Landgericht es begründet, jeden Hartz-IV-Empfänger automatisch von Sportwetten auszuschließen. Der einzige Paragraph, der mir dafür in Frage zu kommen scheint, ist der § 8:
    (1) Zum Schutz der Spieler und zur Bekämpfung der Glücksspielsucht sind die Spielbanken und die in § 10 Abs. 2 genannten Veranstalter verpflichtet, ein übergreifendes Sperrsystem zu unterhalten.

    (2) Die zur Teilnahme am Sperrsystem verpflichteten Veranstalter sperren Personen, die dies beantragen (Selbstsperre) oder von denen sie aufgrund der Wahrnehmung ihres Personals oder aufgrund von Meldungen Dritter wissen oder aufgrund sonstiger tatsächlicher Anhaltspunkte annehmen müssen, dass sie spielsuchtgefährdet oder überschuldet sind, ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen oder Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen oder Vermögen stehen (Fremdsperre).

    (3) Die Sperre beträgt mindestens ein Jahr. Die Veranstalter teilen die Sperre dem betroffenen Spieler unverzüglich schriftlich mit.
    Dies ist also das, was man seit langem von Spielbanken kennt. Auf die Hartz-IV-Empfänger in ihrer Gesamtheit kann es aber wohl nicht passen; schon weil die Bescheide nach Absatz 3 für jeden einzelnen von ihnen ziemlich aufwendig wären und ja nur auf Zeit gelten würden.

    Aber verfolgen Sie die Diskussion in Zettels Kleinem Zimmer; dort wird sicher Genaueres von Denjenigen zu erfahren sein, die auf juristischem Gebiet kompetenter sind als ich.



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