9. März 2011

Hat Guttenberg seinen Doktorvater Häberle plagiiert? Hätte dieser etwas bemerken müssen? Noch einmal zur Hypothese der gekauften Dissertation (Teil 2)

Im ersten Teil habe ich anhand von Zitaten die Indizien dafür dargelegt, daß der Freiherr zu Guttenberg seine Dissertation möglicherweise gar nicht selbst verfaßt hat. Indizien, nicht mehr.

Aber die heutigen Meldungen, daß sich in der Arbeit auch zahlreiche Plagiate aus Werken seines Doktorvaters Häberle fänden, schienen mir auf den ersten Blick statt nur Indizien nunmehr einen starken Beleg, ja fast einen Beweis zu liefern. Auf den ersten Blick, denn zunächst hatte ich nur Überschriften wie die in der FAZ gesehen: "Guttenberg schrieb auch bei seinem Doktorvater ab".

Denn, so schien es mir: Der Doktorand Guttenberg hätte doch Harakiri in Tateinheit mit Kamikaze planen müssen, wenn er aus den Werken desjenigen Professors plagiiert hätte, der die Arbeit erstens gründlich lesen würde und dem zweitens an erster Stelle die Entscheidung darüber oblag, ob sie angenommen und wie sie ggf. benotet werden würde. Es erscheint ausgeschlossen, daß ein Mann wie Guttenberg wegen einiger Ausschmückungen der Arbeit mit Plagiaten eine so evidente Gefahr des Scheiterns seiner Promotion riskiert hätte.

Demnach wäre - so schien es mir - Guttenberg nicht selbst der Autor gewesen; sondern die Dissertation wäre von jemandem verfaßt worden, dem dieses Risiko gleichgültig sein konnte. Bezahlt würde Guttenberg ja dann bereits haben.

Aber mein erster Eindruck war falsch gewesen.

Schon das, was in dem Artikel der FAZ stand, erwies sich bei genauerer Lektüre als dünn. Zwei kompetente Autoren in Zettels Kleinem Zimmer, energist und Florian, haben das sogleich erkannt. Ich habe mich dann selbst davon überzeugt, als ich mir die Dokumentation dieser Fälle bei GuttenPlag Wiki angesehen habe.



Zum folgenden mögen Sie vielleicht nachlesen, was ich in einem anderen Artikel zu den Abläufen und Regeln beim Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit erläutert habe (Belege dafür, daß Guttenberg lügt. Eine Handreichung; ZR vom 24. 2. 2011). Hier ist jetzt kritisch, was eigentlich Fußnoten sind; ich wiederhole zum Teil das dort Gesagte.

Man muß wissen, daß Fußnoten zwei Funktionen haben können: Es kann sich um Anmerkungen handeln oder um Nachweise. Es kommt auch vor, daß in derselben Fußnote Anmerkungen und Nachweise zusammengefaßt werden, oder daß der Autor den einen oder anderen Nachweis durch eine kurze Anmerkung kommentiert.

Anmerkungen schreibt man, wenn man gern einen Gedanken formulieren möchte, der aber nicht in den Text selbst hineinpaßt - sei es, weil er vom Gedankengang wegführt, sei es, weil es sich um Details handelt, die der Leser auch überschlagen kann.

Jeder, der wissenschaftliche Texte schreibt, kennt das Problem, die Vielfalt der Gesichtspunkte und Bezüge in die lineare Form eines Texts zu bringen. Wenn man etwas gern sagen möchte, dieses sich aber nicht schlüssig in diese lineare Struktur einfügen läßt, dann "packt man es in eine Anmerkung", wie es im Jargon der Wissenschaft heißt.

Nachweise in Fußnoten hingegen sind Belege für das, was man zitiert oder darlegt. Es gibt dabei unterschiedliche Gepflogenheiten.

Manchmal werden diese Nachweise überhaupt nicht in Fußnoten gesetzt, sondern man verweist im Text auf das Literaturverzeichnis. Im Text würde dann als Nachweis beispielsweise nur stehen "(Guttenberg, 2007, S. 333)"; und im Literaturverzeichnis findet man die bibliographischen Angaben zu diesem Werk.

Erscheinen die Nachweise in Fußnoten, dann setzt man in den Text eine fortlaufende Numerierung (manchmal für das ganze Werk, manchmal nur für die einzelnen Kapitel; manchmal sogar nur für die einzelnen Seiten) ein; und unter der betreffenden Nummer steht der Nachweis für das, was man im Text zitiert, kleingedruckt am Fuß der Seite.

In einer Fußnote können auch mehrere Quellen stehen, auf die man sich im Text stützt. Manchmal schreibt man vor die Quelle "vgl."; das soll darauf hinweisen, daß dort weiteres einschlägiges Material zu finden ist, auf das man aber im Text nicht eingeht. Viele "vgl." in den Fußnoten deuten auf ein Bemühen des Autors hin, zu zeigen, daß er mehr gelesen hat und kennt, als er explizit in seinem Text diskutiert. In einem Nachschlagewerk oder Lehrbuch kann es aber auch einfach ein Service für den Leser sein, der sich weiterführend informieren möchte.



Entscheidend für die Beurteilung des Plagiatsvorwurfs in Bezug auf die Werke Häberles ist nun, ob die Fußnoten in Guttenbergs Text Anmerkungen oder Nachweise sind.

Hätte er Passagen aus Arbeiten Häberles in Anmerkungen plagiiert, dann wären das Plagiate wie alle anderen gewesen. An welcher Stelle eine gestohlene Textpassage steht, macht für die Frage des Plagiats ja keinen Unterschied. Ebenso wäre die Wahrscheinlichkeit, daß Häberle seine eigenen Worte erkennen würde, ungefähr dieselbe gewesen, ob sie nun im Text oder in Anmerkungen gestanden hätten. Es würde dann das gelten, was ich eingangs geschrieben habe: Guttenberg hätte wahnwitzig sein müssen, Häberle in Anmerkungen zu plagiieren.

Aber es handelt sich nicht um Anmerkungen. Es handelt sich ganz überwiegend um Nachweise, die allenfalls mit sparsamen Erläuterungen versehen sind. Hier ist ein repräsentatives Beispiel für das, was GuttenPlag Wiki dokumentiert (Fragment 120 103-111):

Text von Häberle:
Aus der Grundsatzliteratur: A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001; M. Zuleeg, Die Vorzüge der europäischen Verfassung, Der Staat 41 (2002), S. 359 ff.; I. Pernice, Die Europäische Verfassung, FS Steinberger, 2002, S. 1319 ff.; H.H. Rupp, Anmerkungen zu einer Europäischen Verfassung, JZ 2003, S. 18 ff.; R. Scholz, Wege zur Europäischen Verfassung, ZG 2002, S. 1 ff.; E. Pache, Eine Verfassung für Europa — Krönung oder Kollaps der europäischen Integration?, EuR 2002, S. 767 ff.; A. von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 149 ff.; [...]
Text in der Dissertation:
Grundsätzlich zur Frage eines konstitutionellen Europas: P. Häberle, Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999; ders., Europäische Verfassungslehre, 4. Aufl. 2006; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001; M. Zuleeg, Die Vorzüge der europäischen Verfassung, in: Der Staat 41 (2002), S. 359 ff.; R. Scholz, Wege zur Europäischen Verfassung, in: ZG 2002, S. 1 ff.; A. von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 149 ff.; I. Pernice, Die Europäische Verfassung, in: Festschrift Steinberger, 2002, S. 1319 ff.; H.H. Rupp, Anmerkungen zu einer Europäischen Verfassung, in: JZ 2003, S. 18 ff.; E. Pache, Eine Verfassung für Europa – Krönung oder Kollaps der Europäische Integration?, in: EuR 2002, S. 767 ff.
Von dieser Art sind die meisten von GuttenPlag Wiki dokumentierten Stellen, die belegen sollen, daß Guttenberg seinen eigenen Doktorvater plagiiert hat.

Nur gelegentlich kommen Anmerkungen vor; ein Beispiel ist das Fragment 298 01-05:

Text von Häberle:
Rationale Rechtsprechungstätigkeit - als Gericht - muss für das Verfassungsgericht kennzeichnend sein. Zwar hat es Teil an der "politischen Gesamtleitung" eines Gemeinwesens [646], doch ist Verfassungsrechtsprechung nicht "Politik", sie zeichnet sich vielmehr durch in ihren Methoden rational nachprüfbare, oft schöpferische "Anwendung" von "Gesetz und Recht" aus.
Text in der Dissertation:
Der Forderung nach einer unabhängigen Rechtsprechungstätigkeit steht die nach einer rationalen Entscheidungsfindung nahe. P. Häberle betont zu Recht, Verfassungsrechtsprechung sei nicht „Politik“. [863] Sie zeichne sich vielmehr durch in ihren Methoden rational nachprüfbare, oft schöpferische "Anwendung" von "Gesetz und Recht" aus.



Wie ist das zu bewerten?

Wenn Sie sich das zweite Beispiel ansehen, die Anmerkung, dann werden Sie vermutlich wie ich den Kopf darüber schütteln, daß dies ein Plagiat sein soll. Es ist daran nichts, aber auch gar nichts auszusetzen. Der Verfasser der Dissertation zitiert korrekt Häberle; und er verwendet dabei logischerweise auch dessen eigenen Worte. In indirekter Rede, wie es sich gehört.

Anders ist es bei den Nachweisen. Hier liefert nicht nur das zitierte erste Beispiel Hinweise darauf, daß der Verfasser der Dissertation sich bei der Zusammenstellung der Fußnoten an Werke von Häberle angelehnt hat, ohne das kenntlich zu machen.

In dem zitierten Beispiel spricht dafür zum einen der Umstand, daß nicht nur fast dieselben Quellen zitiert werden. Sondern sie werden weitgehend auch in derselben Reihenfolge zitiert, und es ist auffällig, daß bei der einzigen Quelle, zu der die Seitengangabe bei Häberle fehlt (A. Peters), dies auch bei Guttenberg der Fall ist. Andere Indizien findet man bei GuttenPlag Wiki; beispielsweise steht bei Häberle für den Vornamen eines Autors irrtümlich "R." statt "H.", und just dieser Fehler findet sich auch in der Dissertation.

Um das richtig zu beurteilen, muß man sich klarmachen, wie jemand, der ordentlich arbeitet, mit der Literatur umgeht: Er legt für jede Quelle, die er liest, eine Karteikarte (früher aus Pappe, heute virtuell) an, in die er die genauen bibliographischen Angaben und ggf. eigene Notizen einträgt oder hineinkopiert. Zitiert er nun diese Quelle beispielsweise in einer Fußnote, dann kopiert er die Angaben aus seiner Karteikarte dorthin.

Etwas Derartiges wie die Übereinstimmungen mit Häberles Werken, für die das erste der obigen Beispiele steht, kann es dann nicht geben. Insofern ist klar, daß Guttenberg unsauber gearbeitet hat. Er hat Literaturangaben offenbar nicht auf dem geschilderten Weg in seine Arbeit befördert, sondern durch Abschreiben aus Fußnoten von Häberle. Er hat, wie er sagt "gravierende Fehler" gemacht.

Das ist unsauber; es ist etwas, für das eine Arbeit automatisch abgewertet werden würde. Eine gute oder gar sehr gute Note scheidet aus, wenn jemand so etwas macht. Aber es ist doch etwas anderes als das Textplagiat, bei dem ganze Passagen aus einem fremden Text als eigener Text ausgegeben werden.

Daß man einmal etwas zitiert, ohne dies korrekt über eine eigene Karteikarte zu machen, ist eine weitverbreitete Praxis.

Der harmloseste Fall ist, daß man es zwar gelesen hat, es aber verabsäumte, eine eigene Karteikarte dafür anzulegen; oder man hat diese nicht zur Hand. Man sucht dann nach den bibliographischen Angaben und findet sie in einem Standardwerk. Daraus fügt man sie in das Manuskript ein.

Nicht selten ist es auch der schon bedenklichere Fall, daß man etwas zitiert, das man nicht gründlich gelesen hat; oder vielleicht gar nicht. Man weiß aber aus der Sekundärliteratur, was darinsteht. Man hat - in den Naturwissenschaften sehr gängig - vielleicht nur das Abstract gelesen, also die Zusammenfassung, und kennt daraus ungefähr den Inhalt. Dennoch zitiert man diese Quelle. Das ist unsauber, aber leider keine Seltenheit.

In vielen Disziplinen ist es üblich, die historische Entwicklung seines Forschungsthemas zu skizzieren, bevor man zur eigenen Untersuchung gelangt. Dabei kommen oft längst nicht mehr aktuelle Werke aus vergangenen Zeiten vor, die kaum jemand gelesen hat. Ich habe mir gelegentlich den Spaß gemacht, amerikanische Kollegen, die deutsche Gelehrte aus dem 19. Jahrhundert zitiert hatten, zu fragen, wo sie denn ihr Deutsch gelernt hätten. Das fröhliche Grinsen, das die typische Antwort war, zeigt, daß dergleichen als läßliche kleine Sünde gilt.

Schon sehr fragwürdig wird es hingegen, wenn man so etwas nicht bei einzelnen Quellen tut, sondern mehrfach. Wenn also ein wissenschaftliches Werk immer wieder derartige Fälle enthält; wenn es durch Literaturangaben geschmückt wird, die gar nicht zu den Quellen des Autors gehören.

Zum Teil genügt man damit freilich einem Zwang: Es wird erwartet, daß jemand die gesamte relevante Literatur zu seinem Thema kennt und das durch Zitieren belegt. Oft ist es schwierig, diese Forderung zu erfüllen. Oft ist es auch vertane Zeit; denn nicht alle Quellen, deren Erwähnung erwartet wird, sind lesenswert. Erlaubt ist diese Praxis natürlich trotzdem nicht.

Richtig extrem wird es dann, wenn nicht nur Literaturangaben in dieser Weise übernommen werden, sondern ganze Fußnoten. Denn das Zusammenstellen von Quellen zu einem bestimmten Thema, einem bestimmten Argument, einem bestimmten Sachverhalt in einer Fußnote ist ja eine geistige Leistung. Da ist die Grenze zwischen unsauberem Arbeiten und dem Plagiat erreicht, wenn nicht überschritten.



Insofern bestätigen diese jetzigen Funde das Gesamtbild von dieser Dissertation, die ein Machwerk ist. Aber wenn man denn - wie gesagt, ein Grenzfall - auch hier von Plagiaten sprechen will, dann weisen diese doch eine Besonderheit auf: Sie sind außer durch digitalen Textvergleich kaum zu entdecken.

Guttenberg - oder wer immer diese Dissertation zu verantworten hat - konnte das somit machen, ohne befürchten zu müssen, daß es von Häberle entdeckt werden würde. Denn kein Wissenschaftler hat ja im Kopf, welche Quellen er in welchen der Fußnoten in welchen seiner Werke in welcher Reihenfolge zitiert hat; außer vielleicht denen, die kaum etwas geschrieben haben. Häberle aber ist ein ungewöhnlich produktiver Autor.

Diese Schlußfolgerung hat einen unerfreulichen und einen erfreulichen Aspekt.

Der unerfreuliche ist, daß wir in Bezug auf die Frage, ob Guttenberg einen Ghostwriter hatte, so klug sind als wie zuvor. Denn wenn er seine Arbeit selbst collagiert haben sollte, dann konnte er zu Recht annehmen, daß Häberle diese Übernahmen, anders als Textplagiate oder Plagiate in Anmerkungen, nicht würde erkennen können.

Und damit haben wir auch die gute Nachricht: Dem Professor Häberle erwächst aus dem, was jetzt aufgedeckt wurde, kein Vorwurf. Absolut kein Vorwurf.



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