11. März 2011

Anmerkungen zur Wahrnehmung der Regierung Merkel - und zur Entfernung der Regierung von den Wählern


Dieser Einstand greift ein Thema auf, das in Zettels Kleinem Zimmer regelmäßig und höchst kontrovers diskutiert wird, nämlich die Beurteilung der Regierung Merkel und insbesondere der Kanzlerin selbst; wer in Zettels Kleinem Zimmer mitliest, weiß, dass dort deutlich(st)er Kritik (die mit schlechten Umfragewerten für die CDU parallelisiert werden könnte) die ebenso hartnäckige Verteidigung gegenübersteht.

Allerdings wage ich mich nicht an eine Beurteilung der Regierung Merkel, sondern versuche nur zu skizzieren, wie sich die Wahrnehmung der Regierung Merkel in den letzten zwei Jahren - nach meinem persönlichen Eindruck - entwickelt hat. Politik ist das eine, Wahrnehmung der Politik das andere - und für die Zustimmung oder Ablehnung einer Regierung, für die Wahlentscheidung das entscheidende.

Wahrnehmung von Politik ist individuell, im weitesten Sinne gruppenspezifisch - daher notwendigerweise die Einschränkung auf meinen persönlichen Eindruck und damit mein Umfeld in einer Universitätsstadt im Rheinland, das ich charakterisieren möchte mit einer Grundeinstellung irgendwo zwischen liberal und bürgerlich-konservativ, als akademisch geprägt und als überwiegend rheinisch-katholisch (was nicht unbedingt religiös bedeutet und auch mehr ist als eine Konfession; es ist gewissermaßen die rheinische Sicht auf das Leben und die Welt). Es geht also um eine Gruppe, die einer bürgerlichen Regierung grundsätzlich wohlwollend gegenübersteht, eine Gruppe, die die Regierung Merkel als Wähler halten oder gewinnen sollte.



Gehe ich zur letzten Wahl zurück, so ruhten auf der zweiten Regierung Merkel zu Beginn viele und große Hoffnungen, an erster Stelle die Erwartung, mit der Befreiung von den Konsenszwängen in der Großen Koalition könne eine bürgerliche Koalition nun die Probleme Deutschlands tatkräftig anpacken und lösen. Tatsächlich folgte aber seither vor allem eine Folge von Enttäuschungen. Es ist nicht Neues, wenn ich daran erinnere, dass sich die Regierungsbildung als ein einziger Hickhack mit endlosen Streitereien von CDU, CSU und FDP erwies; die FDP entpuppte sich als Klientelpartei; der Außenminister erscheint bis heute als erhebliche Fehlbesetzung (gerade auch in letzter Zeit war mehrfach die Rede, für den Außenminister müsse man sich permanent "fremdschämen").



Hatte man sich von der CDU eine klare konservative Positionierung erhofft, gerade auch mit Blick auf die Landtagswahl in NRW, wurde die "Berliner Erklärung" vom Januar 2010 zum Beleg für die Sozialdemokratisierung der CDU. Für Stirnrunzeln sorgte besonders die programmatische Aussage, die Katholiken seien nicht mehr wahlentscheidend und daher auch als Zielgruppe wahlstrategisch nicht mehr interessant. Auch wenn der Rheinländer an sich nicht unbedingt kirchlich engagiert ist (vielmehr gegenüber dem derzeitigen Kölner Erzbischöf eher in Opposition steht) - wer sich so ausdrücklich vom Katholizismus abgrenzt, der fällt hier unangenehm auf, zumal Frau Merkel schon eine Wiederholungstäterin ist, hatte sie doch schon 2009 gemeint, in unangemessener Art und Weise dem Papst die Meinung sagen zu müssen.

Es mag mit dem teils offenen, teils unterschwelligen Katholizismus der Rheinländer zusammenhängen, dass auch das Familienbild und die Familienpolitik sowie die Gesellschaftsklempnerei des "gender mainstreaming" zu einem diffusen Unbehagen mit der Regierungspolitik geführt haben und weiterhin führen.



Ganz unverständlich für viele der Bruch der Euro-Verträge im Zusammenhang mit der Griechenland-Rettung. So notwendig aus wirtschaftlicher Sicht die Entscheidungen und Maßnahmen vielleicht sein mögen, es dominiert doch das Eindruck, Verträge würden nur so lange eingehalten, wie es den Politikern passt, die Deutschen müssten wieder einmal für Europa zahlen, und ein Ende sei gar nicht absehbar.

Dies verstärkt die schon vorher kritische Sicht auf die EU und die Europa-Politik; so notwendig eine europäische Einigung auch ist, so sehr gibt es das diffuse Gefühl, mit dem Lissabon-Vertrag (über den es nur in einigen Ländern eine Volksabstimmung gab) würden nicht unsere Interessen bedient. Die vielleicht auch vorhandenen positiven Auswirkungen der EU auf das Leben der Menschen werden nicht gesehen, und was man erlebt, ist Bürokratie, ist das "Spiel über Bande" beim Glühbirnenverbot, ist E10-Benzin, ist die Ausgabe eines EU-Schülerkalenders an die Oberstufenschüler, in dem zwar alle muslimischen Feiertage verzeichnet sind, aber nicht Weihnachten und Ostern.



Die zeitliche Koinzidenz von Koalitionsstreit, Griechenland-Rettung und Neupositionierung der CDU wird als mitverantwortlich gesehen für das schlechte Wahlergebnis der CDU in NRW, das dem Land das nächste rot-grüne Experiment beschert hat. Im Wahlkampf ist der damalige Ministerpräsident Rüttgers vehement für das dreigliedrige Schulsystem eingetreten, und gerade deswegen ist er von vielen (Gymnasial-)Lehrern gewählt worden, auch denen, die Rüttgers aus verschiedenen landespolitischen Gründen ansonsten sehr kritisch gesehen haben - und nach der Wahl wurde diese für viele Wähler entscheidende schulpolitische Position mir nichts, dir nichts in Frage gestellt. Auch in Hamburg und im Saarland hat die CDU ihre bisherige schulpolitische Positionierung aufgegeben (und in Hamburg ganz zurecht eine schallende Ohrfeige dafür bekommen) - aber ein Großteil des Vertrauens in die CDU in Fragen der Bildungspolitik ist hier leichtfertig verspielt worden.



Eine wirkliche Empörung hat schließlich im Spätsommer die Sarrazin-Debatte ausgelöst, Empörung zunächst über das Verhalten der Medien und über die Talkshows, dann aber vor allem auch über die Bundeskanzlerin, die ein Buch, das sie nicht gelesen hat, für "nicht hilfreich" erklärt und dessen Verfasser aus dem Amt drängen lässt. Wie soll man, so die berechtigte Frage, von Schülern verlangen, einen Text erst zu lesen und dann darüber zu reden, wenn führende Politiker das Gegenteil vormachen? Das aus der Ingrationsdebatte vertraute Wort von der "Parallelgesellschaft" oder "Parallelwelt" bekam eine neue Bedeutung als Ausdruck der Abgehobenheit, der Realitätsverweigerung der (Berliner) Politiker. Hingegen gilt Thilo Sarrazin, bei aller Kritik im Detail, auch bei mehr oder weniger deutlich artikulierten Vorbehalten gegen sein Buch, als derjenige, der Probleme anspricht, die für viele - Lehrer und Schüler z.B. - zur Alltagserfahrung gehören.

Hatte man vorher das unbestimmte Gefühl, die Politiker würden die Zustände im Land (hier: Integrationsprobleme) nicht wahrnehmen, vielleicht in ihrer Politikerwelt einfach nicht wahrnehmen können, so gilt vielfach nun als ausgemacht, dass Politiker die Diskussion von Problemen im Zusammenhang mit Integrationsproblemen und Islam(ismus) aktiv verweigern und dass die Medien alles das verschweigen, was die Politik für "nicht hilfreich" (ein geflügeltes Wort inzwischen) hält. Der Vertrauensverlust in die Medien hat zugenommen, es ist eine verbreitetere Auffassung, dass die Information durch die traditionellen Medien unzureichend ist - wenngleich Internetblogs bislang nur wenig als Ergänzung oder Alternative genutzt werden.

Bis in die Schulen hinein ist das Scheitern der Integrationspolitik der letzten 40 Jahre zu sehen, hat man mit dem Problem der Entstehung islam(ist)isch gesprägten Parallelgesellschaften zu tun (Stichwort: Schwimmunterricht, Klassenfahrt, Kopftuch), beobachtet man die Entwicklung mit Unbehagen. Und die Reaktion der CDU? Sie unterstützt (in Köln z.B.) den Moscheebau durch staatliche türkische Behörden (DITIB), erklärt den Islam zu einem "Teil Deutschlands", nimmt Erdogans Kölner Aufruf zur Nicht-Assimilation ohne Protest hin. Viele Erwartungen, die sich v. a. an die CDU richten, werden wieder und wieder enttäuscht.



Enttäuschung und Fassungslosigkeit jetzt auch im Fall Guttenberg: Enttäuschung darüber, dass sich der von vielen als frisch, unverbraucht und ambitioniert erlebte Hoffnungsträger zu Guttenberg als Blender und Betrüger entpuppt hat; Fassungslosigkeit aber darüber, dass sich der Plagiator noch als "Vorbild" verkaufen möchte, dass Seehofer ihn zu "einem der genialsten Köpfe" der Politik erklärt, dass Frau Merkel, selbst promovierte Physikern, erst das wissenschaftliche Fehlverhalten ihres Verteidigungsministers für unerheblich erklärt, dann "Ehre und Anstand" für ihre Partei in Anspruch nimmt und zuletzt den Protest u.a. der Doktoranden als "verlogen" bezeichnet. So hoch in die Umfragen die Zustimmungswerte sein mögen, unter Akademikern, unter Promovenden und Promovierten überwiegen Fassungslosigkeit und Empörung nicht nur über zu Guttenberg, sondern gerade auch über die Äußerungen von Frau Merkel. Alltagspraktisch gefragt: Wie soll man Schülern einen korrekten Umgang mit fremdem geistigem Eigentum beibringen, wenn die Bundeskanzlerin Fehlverhalten bagatellisiert?



Ein letzter Punkt, nur für manche, nicht für alle, ist die Verärgerung üebr die Prinzipienlosigkeit der derzeitigen deutschen Israelpolitik, die von einem grundlegenden Unverständnis Israels gekennzeichnet zu sein scheint, festzumachen an der Gaza-Entschließung des Bundestags, an der auch deutschen Unterstützung für den gegen Israel gerichteten Resolutionsentwurf des UN-Sicherheitsrates am 18.2. und nun an den vollkommen deplatzierten Vorwürfen Merkels an die Adresse des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu.



So herrscht Rat- und Orientierungslosigkeit: Diejenigen, die sich mit ihren Interessen bislang von CDU und/oder FDP leidlich gut vertreten sahen (denn SPD, Grüne und SED-Linkspartei kamen schon vorher nicht in Betracht), sehen sich von der Regierung, die bislang "ihre" Regierung war, verlassen und bekommen immer mehr das Gefühl, in den etablierten Parteien gar keinen Ansprechpartner zu haben.

Hier wird das Problem, wie Politik wahrgenommen wird, auch einem Problem der Politik selbst. Es wird Zeit, dass die bürgerlichen Parteien sich auf ihre Werte und Positionen, auf die Werte und Positionen eines nicht unerheblichen Teils ihrer Wählerschaft besinnen. Wenn sie damit zu lange warten, droht die Gefahr, dass entweder diese Positionen von anderen, die man nicht kennt und vielleicht gar nicht kennen will, besetzt werden oder aber dass sich Enttäuschung, Empörung und Verunsicherung auf andere, auf unkalkulierbare Weise Bahn brechen.



Dieser Einstand soll nicht enden ohne einen Dank an Zettel für die Einladung zur Mitarbeit. Ich will mich bemühen, der Qualität von Zettels Raum gerecht zu werden.



Abschließend eine kurze Selbstvorstellung: Nach dem Studium (v.a., aber nicht nur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen) Geschichte und der Germanistik mit kleineren Ausflüge in die Theologie und Kunstgeschichte, nach einigen Jahren der wissenschaftlichen Tätigkeit bietet nun der Schuldienst Gelegenheit für allerlei Beobachtungen und Gedanken.



Wen es interessiert: Der Name Gansguoter ist ohne besondere Hintergedanken der phantastischen "Crône" Heinrichs von dem Türlîn entlehnt.
Gansguoter



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