2. März 2011

Nachgedanken zur Affäre Guttenberg (1): "Hänge dich auf oder nicht; du wirst beides bereuen". Die christlich-liberale Koalition nach dem Rücktritt

Søren Kierkegaard, der erbarmungslose Pessimist, schreibt in "Entweder - oder":
Verheirate dich, du wirst es bereuen; verheirate dich nicht, du wirst es auch bereuen. Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. Verlache die Torheiten der Welt, du wirst es bereuen; beweine sie, beides wirst du bereuen. Traue einem Mädchen, du wirst es bereuen; traue ihm nicht, du wirst auch dies bereuen. Fange es an, wie du willst, es wird dich verdrießen. Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, beides wird dich gereuen. Dieses, meine Herren, ist der Inbegriff aller Lebensweisheit.
Was immer die Kanzlerin im Fall Guttenberg tat: Es war klar, daß es sie gereuen würde. Es gab keinen Ausweg, der das christlich-liberale Lager unbeschädigt hätte aus der Affäre hervorgehen lassen können.

Die Kanzlerin konnte Guttenberg nicht fallenlassen; es hätte sie gereut, denn viele Unionswähler verehren ihn noch immer. Es hätte bei den anstehenden Wahlen geschadet.

Sie konnte ihn am Ende aber auch nicht halten. Nicht gegen diejenigen, die in ihrer Partei für Anstand und Ehrlichkeit eintraten - Norbert Lammert, Annette Schavan, Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel, Wolfgang Böhmer zum Beispiel. Sie konnte ihn nicht gegen die Wissenschaftler halten, die zu Tausenden protestierten. Er war spätestens dann nicht mehr zu halten, als selbst sein Doktorvater Häberle sich von ihm distanzierte und als ihn der Bayreuther Verfassungsrechtler Lepsius ohne jede Beschönigung einen Betrüger nannte (siehe "Für mich steht außer Frage, daß Herr zu Guttenberg ein Betrüger ist"; ZR vom 27. 2. 2011).

Jede Entscheidung, die Angela Merkel hätte treffen können, wäre falsch gewesen. Es war in gewisser Weise damit eine auf die Kanzlerin zugeschnittene Situation. Sie wartete ab; vermutlich wußte sie, daß die Entwicklung unausweichlich sein würde. Ein Minister, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, konnte nicht im Amt bleiben.



Kurzfristig wird Guttenbergs Abgang der Union möglicherweise schaden. In Baden-Württemberg wird zwar vermutlich kaum ein Unionswähler deshalb eine andere Partei wählen; aber manche werden vielleicht gar nicht zur Wahl gehen und auf diese Weise gegen den Politikbetrieb protestieren, dem dieser "gute Mann" zum Opfer fiel.

Langfristig liegt in dieser Affäre für die Union, überhaupt für die christlich-liberale Regierung, eine Gefahr und eine Chance.

Die Gefahr ist, daß Guttenberg der charismatische Führer einer rechtspopulistischen Partei werden könnte. Bisher gibt es keine Indizien dafür, daß er es will. Aber objektive Faktoren lassen es denkbar erscheinen, daß dies eintreten wird:
  • Wie Okar Lafontaine, der vor fast genau zwölf Jahren zurücktrat, ist Guttenberg ein eitler, ehrgeiziger Mann, den sein Scheitern tief treffen muß. Lafontaine hat gezeigt, wie man aus einer solchen Niederlage einen Sieg machen kann: Als Führer einer populistischen Partei.

  • Guttenberg ist schon jetzt der Populist schlechthin. Die Herzen fliegen ihm zu; ja nicht für seine politischen Auffassungen (die höchst unbestimmt sind), sondern für seine Haltung, seinen Stil, seine Person. Er ähnelt darin sehr Jörg Haider und Geert Wilders.

  • Eine rechtspopulistische Partei fehlt im deutschen Parteienspektrum; es ist da eine Lücke. Die Zeit der Volksparteien ist vorbei; wir steuern auf Weimarer Verhältnisse zu, was das Parteiensystem angeht. Die Linkspopulisten haben sich als eine feste Größe etabliert; warum sollte das nicht auch Rechtspopulisten gelingen? Es ist ihnen fast überall in Europa gelungen. Nur braucht Populismus den Charismatiker; eben einen Lafontaine, einen Haider, einen Wilders, einen Le Pen. Das Rollenfach war bisher in Deutschland vakant. Guttenberg wäre die ideale Besetzung.
  • Ich will nicht prognostizieren, daß es so kommen wird. Ein zu Guttenberg bewegt sich in einem sozialen Umfeld, in dem Populismus verpönt ist. Es ist auch gut möglich, daß er sich ganz aus der Politik verabschiedet. Er ist jung genug, sich einem ganz anderen Lebensentwurf zuzuwenden. Aber die Gefahr einer solchen Entwicklung besteht; und sie wäre eine massive Bedrohung sowohl für die Union als auch für die FDP.

    Die Affäre Guttenberg enthält aber auch eine Chance für die christlich-liberale Koalition. Sie macht eklatant auf das aufmerksam, was allen drei Parteien fehlt: Das Zündende, das Begeisternde.

    Guttenberg war (und ist vermutlich immer noch) so beliebt, weil er es den Deutschen mit seinem Stil, mit seinem Auftreten, mit seinem Glamour endlich erlaubte, einmal einen Politiker richtig gut zu finden (siehe Guttenbergs Glanz. Guttenbergs Fall; ZR vom 21. 2. 2010). Politik ist eben - trivialerweise - mit Emotionen verbunden. Obama hat damit die Wahl gewonnen; ihm flogen 2008 die Herzen zu. Er war der jugendliche Held, Typ Alexander der Große, wie Guttenberg ihn auch verkörpert (siehe Warum Huckabee und Obama gewannen; ZR vom 4. 1. 2008).

    Man kann sich so jemanden nicht schnitzen. Die Kanzlerin wird nicht schaffen können, daß ihr die Herzen zufliegen; selbst wenn sie das wollte. Sie verhält sich zu Guttenberg wie der preußische Klassizismus zum bayerischen Barock. Aber die Chance der Regierungsparteien liegt jetzt darin, daß man die Bedeutung dieses emotionalen Faktors erkennt.

    Die Wahlentscheidungen sind, wie man es neudeutsch sagt, "volatil" geworden. Immer weniger Wähler sind an eine bestimmte Partei gebunden. Der beliebte Ole von Beust konnte das traditionell sozialdemokratische Hamburg erobern; nach seinem Abgang kam es fast zur Halbierung der Wählerschaft der CDU. Die FDP sackte wenige Monate nach ihrem triumphalen Wahlerfolg in die Nähe der fünf Prozent. Die Partei "Die Grünen" nahm einen Höhenflug, aus dem sie sich jetzt offenbar wieder in Richtung Bodenhaftung bewegt.

    Die Union und die FDP haben einen großen Fehler gemacht, als sie in der Sarrazin-Debatte die Stimmung "im Volk" ignorierten. Was die Menschen bewegt, das muß von der Politik aufgegriffen werden. Wenn es die Union und die FDP nicht tun, dann wird es eine rechtspopulistische Partei tun.



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