4. Juni 2010

Es wird Zeit, daß in der FDP über Guido Westerwelle diskutiert wird

Wäre ich Mitglied oder gar Mandatsträger der FDP, dann würde ich diesen Kommentar nicht schreiben. Ich würde ihn nicht schreiben, weil ich dann dem Vorsitzenden meiner Partei Loyalität schuldete. Ich bin aber nur ein Liberaler, der in der FDP seine Partei sieht; die Partei, die mir mit Abstand am nächsten steht und der ich jeden Erfolg wünsche. Mir scheint, daß der Erfolg dieser Partei zunehmend durch ihren Vorsitzenden gefährdet wird.

Guido Westerwelle war ein ausgezeichneter Generalsekretär der FDP. Er hat das geleistet, was vor ihm nur ein einziger Generalsekretär geleistet hatte: Die Partei programmatisch zu formen.

Das hatte vor ihm Anfang der siebziger Jahre Karl-Hermann Flach getan. Er trug damals wesentlich dazu bei, daß die FDP zu einer linksliberalen Partei wurde; eine Wende, von der sie sich lange nicht erholt hat. Der Kurs, den Flach prägte, war falsch, aus meiner Sicht. Aber prägend war Flach in den wenigen Jahren bis zu seinem frühen Tod.

Prägend war und ist Guido Westerwelle. Ihm ist es zu verdanken, daß die FDP sich, nach dem Drift in Richtung Etatismus, wieder auf die liberalen Grundwerte besonnen hat: Die Freiheit und Selbstverantwortung des Einzelnen; die Beschränkung des Staats auf das, was Private nicht leisten können. Westerwelle hat das beispielhaft in seiner Rede auf dem Hannoveraner Parteitag 2009 zusammengefaßt; eine seiner besten nach meinem Urteil. Ich habe sie damals gewürdigt.



Das war eine klare Position, überzeugend begründet. Der Wähler hat es mit sensationellen 14,6 Prozent für die FDP honoriert.

Zwei Wochen nach dieser Wahl vom 27. September 2009 schrieb Detmar Döring, der Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung, einen bemerkenswerten Gastkommentar in der "Welt", auf den ich damals aufmerksam gemacht habe ("Gesellschaftliche Mitte" vs. "linke Bürgerlichkeit". Die Chance der FDP; ZR vom 11. 10. 2009). Döring schrieb:
Bei dieser Wahl haben sich nun die Leistungsträger zu Wort gemeldet. Das sind eben nicht nur die Bezieher höherer Einkommen, die sich einen "postmateriellen" Lebensstil leisten können und daher oft zu den Grünen tendieren. Es sind die sprichwörtlichen Otto Normalverbraucher. Die haben inzwischen begriffen, dass Slogans wie "Reichtum besteuern" gar nichts anderes bedeuten können, als dass nunmehr auch die Einkommen von Facharbeitern und kleinen Angestellten drakonisch bestraft werden.

Der Umverteilungsstaat kann nur fortgeführt werden, wenn man den Begriff des "Besserverdienenden" extrem weit auslegt – genau bis in die Mitte der Gesellschaft. Sie hat sich nun bei der letzten Wahl zu Wort gemeldet, wenn nicht gar eine sanfte Revolution durchgeführt. Sie hat die traditionelle, dem neuen linken Bürgertum entspringende politische Elite, die das bisherige Leitbild der öffentlichen Diskussion prägte, schlichtweg ignoriert und ihre eigenen Prioritäten formuliert.
Döring hat die Chance der FDP erkannt, in diese Schicht vorzustoßen. Freilich hätten dazu diejenigen, die am 27. September 2009 erstmalig der FDP ihre Stimme gaben, zu Stammwählern werden müssen. Auf die zitierte Passage folgen bei Döring diese beiden Sätze; hellsichtige Sätze, wie wir heute wissen:
Ob dieser Trend weiterhin die nunmehr sichtbare liberale Stoßrichtung haben wird, ist nicht gesichert. Das hängt in hohem Maße von den politischen Entwicklungen der nächsten Zeit ab.
Wie diese Entwicklung verlief, ist bekannt. Die FDP hat von Umfrage zu Umfrage verloren. Die Wähler, die sie neu gewonnen hatte, haben ihr in Scharen wieder den Rücken gekehrt. Die aktuellen Umfragen geben ihr noch zwischen sechs und acht Prozent.

Jeder zweite derer, die der FDP am 27. September vertraut haben, ist wieder von der Fahne gegangen. Sie ist von den drei kleinen Parteien jetzt mit Abstand die kleinste. Wer in den (gewichteten! - die Rohdaten liegen teilweise bei drei Prozent) Daten bei sechs Prozent angekommen ist, der ist in akuter Gefahr, nicht wieder in den Bundestag einzuziehen.

Über die Ursachen habe ich seit Anfang des Jahres, als diese Entwicklung sich abzuzeichnen begann, wiederholt geschrieben (z.B. FDP zurück ins Glied. Die unsichtbare Regierungspartei; ZR vom 4. 1. 2010; Zur Strategie und Taktik der FDP; ZR vom 6. 2. 2010: Westerwelles riskante Taktik; ZR vom 16. 2. 2010). Siehe dazu auch die ausgezeichnete Analyse von Rayson in B.L.O.G. vom 5. 2. 2010.

Der Niedergang der FDP hat aus meiner Sicht viele Ursachen; Sie können sie in den zitierten Artikeln nachlesen. Er hat aber auch einen Namen: Guido Westerwelle.

Westerwelle hat es fertiggebracht, seit der Bildung der schwarzgelben Koalition ungefähr so viel falsch zu machen, wie man überhaupt nur falsch machen kann.

Er wollte unbedingt Außenminister werden; ein Amt, für das ihn wenig qualifizierte. Er hat, seit er dieses Amt innehat, zu keinem Zeitpunkt Konturen einer Außenpolitik auch nur erahnen lassen.

Das ist einer der beiden Gründe, warum er nichts von dem Bonus beim Wähler erreichen konnte, den fast jeder deutsche Außenminister hatte. Es ist nicht zu erkennen, wofür er steht; wie er eigentlich die deutschen Interessen definiert und wie er sie vertreten will. Er verhält sich so, als wolle er unbedingt Edmund Stoiber Recht geben, der ihn einen "Leichtmatrosen" genannt hat.

Der zweite Grund ist, daß Westerwelle es nicht schaffte, die Rolle des Außenministers durchzuhalten. Als die Umfragewerte der FDP absackten, als sich der Mißerfolg in NRW abzeichnete, wechselte er abrupt die Rolle und spielte den Volkstribun. Ich habe damals geschrieben, daß er damit nur ein Strohfeuer entfachen würde. Leider ist es so gekommen.

Aber das Ansehen, das Gewicht eines Staatsmanns ist er nun los, der Guido Westerwelle. Er wird es schwer haben, es noch zu gewinnen.



Der Anlaß für diesen Artikel sind zwei aktuelle Entwicklungen, die aus meiner Sicht zeigen, wie ungeschickt, wie verheerend für seine Partei Guido Westerwelle in diesen Tagen agiert.

Da ist zum einen die Nachfolge Horst Köhlers. Es gab keinen Automatismus, welcher der Union den ersten Zugriff zuerkannt hätte. Im Gegenteil ist es guter Brauch gewesen, daß dann, wenn die FDP mit einem größeren Partner regierte, dieser den Kanzler und die FDP den Bundespräsidenten stellte. So wurden Theodor Heuß und Walter Scheel liberale Bundespräsidenten.

Ein dritter wäre überfällig gewesen; siehe Meine beiden Kandidaten für die Nachfolge Horst Köhlers; ZR vom 1. 6. 2010. Mit Wolfgang Gerhardt hätte es einen ausgezeichneten Kandidaten gegeben.

Aber der Vorsitzende der FDP hat nicht nur nicht - soweit das bekannt wurde - diesen Anspruch angemeldet, sondern er hat offenbar überhaupt nicht gesehen, welche taktische Chance es bot, daß SPD und Grüne Joachim Gauck nominierten; zunächst nur intern als Angebot auch an die Union und die FDP.

Niemand hätte es der FDP verdenken können, daß sie für diesen ausgezeichneten Mann stimmt, der ungefähr so links und so grün ist wie Josef Ackermann. Guido Westerwelle hätte der Kanzlerin klarmachen können, daß entweder die Koalition Wolfgang Gerhardt als ihren gemeinsamen Kandidaten aufstellt, oder daß die FDP eben Gauck mitwählt.

Er war in einer starken Verhandlungsposition, und er hat es offenbar nicht gemerkt. Oder vielleicht, wer weiß, wollte er ja Wolfgang Gerhardt gar nicht als Präsidenten.



Und dann Nordrhein-Westfalen. Was sich Guido Westerwelle da leistet, ist hanebüchen.

Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln. Erst wollte Pinkwart, mit einer rabulistischen Interpretation der absolut eindeutigen Koalitionsaussage seiner Partei (siehe Schwarzer Peter, weit aus dem Arm lugend; ZR vom 15. 5. 2010), doch über eine Ampel verhandeln. Dann hat ihn Westerwelle zurückgepfiffen.

War das ein Anzeichen von Anstand gegenüber dem Wähler, von Standfestigkeit? Ach was. Jetzt will auch Westerwelle die Ampel nicht mehr ausschließen. Ist doch egal, was man den Wählern versprochen hat. "Westerwelle läßt die Ampel blinken" titelte die "Welt am Sonntag". In B.L.O.G. hat Rayon diesen erbärmlichen Eiertanz trefflich dokumentiert.

Guido Westerwelle ist dabei, jede Glaubwürdigkeit zu verspielen. Dem Leichtmatrosen fehlt es an Konsequenz, an Standhaftigkeit, an der Geradlinigkeit, ohne die man zwar aufsteigen, ohne die man sich aber nicht an der Spitze behaupten kann.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Guido Westerwelle auf einer Wahlklampfveranstaltung in Hessen im Januar 2009. Autor: Cgaa. Frei unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License; bearbeitet.