22. Juni 2010

Sind die Einwohner von Fremont, Nebraska, Rassisten?

Freemont im US-Bundesstaat Nebraska ist eine Kleinstadt von 25.000 Einwohnern.

Der Ort wurde 1856 gegründet. Er liegt an einer der Routen, über welche die Siedler und die Jäger in den Westen zogen; dem Mormon Trail, später Lincoln Highway, von New York nach San Francisco, heute Route 30. Später verlief, dieser alten Route folgend, eine der ersten Ost-West-Eisenbahnlinien und eine der ersten transkontinentalen Telegraphen-Verbindungen durch die Stadt.

Fremont ist Middle America, in jeder Hinsicht. In der Mitte der USA gelegen; in Nebraska, einem der Präriestaaten. Mittelständische Bevölkerung; durchschnittliches Einkommen pro Familie 45.000 Dollar. Man lebt von der Landwirtschaft in der Umgebung; Getreideanbau, Viehzucht. Deren Produkte werden verarbeitet. Der größte Arbeitgeber ist die Fleischfabrik Hormel, Hersteller u.a. jenes Dosenfleisches SPAM, dem das gleichnamige Internet-Ärgernis seine Bezeichnung verdankt.

Der Ort hat eine kommunale und mehrere private High Schools und zwei kleine Colleges. Bereits 1888 wurde das Opernhaus gebaut, das auf der Titelvignette zu sehen ist. Die kleine Stadt besitzt nicht weniger als 21 öffentliche Parks. Die Arbeitslosigkeit liegt unter 5 Prozent. Nach allen Indikatoren ist Fremont, Nebraska, eine intakte Gemeinde, in der sich gut leben läßt.



In Fremont fand gestern eine Volksabstimmung über eine Änderung der Gemeindeordnung statt, die in den USA hohe Wellen schlägt. Die linke Internet-Zeitung Daily Kos, eine der größten und einflußreichsten der USA (laut Wikipedia 20 Millionen Besuche pro Monat) schreibt:
With 20% of the vote counted, 58% of voters in Fremont, Nebraska are supporting the racist law designed to target Hispanics for profiling. (...)

And the first thing racists say' the way they preface all their arguments is by saying it's not about racism...Whenever someone starts off by saying they are not racist, chances are they are indeed racist. (...)

It's quite sad to this nation behaving the same as so many other nations that wallow in racial and ethnic hatred and divisions. Europe has a long history of this racist disease and it's obvious that many Americans of European descent have the same disease.

Nach Auszählung von 20% der Stimmen haben 58% der Wähler in Fremont, Nebraska, für das rassistische Gesetz gestimmt, welches Hispanics zu Zielobjekten rassistischer Aussonderung (profiling) macht (...)

Und was die Rassisten als erstes sagen, der Vorspann zu allen ihren Behauptungen ist, daß sie keine Rassisten seien. ... Immer wenn jemand damit beginnt, zu sagen, daß man nicht rassistisch sei, dann handelt es sich vermutlich in Wahrheit um Rassisten (...).

Es ist schon traurig, daß diese Nation sich genauso wie viele andere Nationen benimmt, die sich in rassischem und ethnischem Haß und Aussonderungen suhlen. Europa hat eine lange Geschichte dieser Krankheit Rassismus, und es ist offenkundig, daß viele Amerikaner europäischer Herkunft dieselbe Krankheit haben.
Inzwischen sind alle Stimmen ausgezählt. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 45 Prozent. Es gab nach dem noch inoffiziellen Ergebnis 3.906 Ja-Stimmen und 2.908 Nein-Stimmen; also eine Zustimmung von 57,4 Prozent.



Eine Zustimmung wozu? Was haben die Einwohner von Fremont beschlossen, das ihnen den Vorwurf des Rassismus einbringt? Aus einem längeren Bericht von Associated Press vom vergangenen Sonntag:
If approved, the measure will require potential renters to apply for a license to rent. The application process will force Fremont officials to check if the renters are in the country legally. If they are found to be illegal, they will not be issued a license allowing them to rent.

The ordinance also requires businesses to use the federal E-Verify database to ensure employees are allowed to work.

Im Fall seiner Annahme wird der Antrag vorschreiben, daß potentielle Mieter eine Mieterlaubnis beantragen müssen. Im Rahmen der Beantragung werden die Behörden von Fremont vepflichtet, zu prüfen, ob sich die Mieter legal im Land aufhalten. Falls sie sich als Illegale erweisen, wird ihnen die Erlaubnis zum Eingehen eines Mietverhältnisses verweigert.

Die Änderung der Gemeindeordnung verlangt des weiteren von Arbeitgebern, eine Datenbasis auf Bundesebene (E-Verify) heranzuziehen, um sicherzustellen, daß Beschäftigte eine Arbeitserlaubnis besitzen.
Das also ist der angebliche "Rassismus"! Sich in Fremont einmieten soll künftig nur dürfen, wer sich legal in den USA aufhält. Und Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, Arbeitnehmer nur dann einzustellen, wenn sie eine Arbeitserlaubnis besitzen und das überprüft wurde.



Man kann - dazu tendiere ich - diese Änderung der Gemeindeordnung kritisieren, weil sie in die Freiheit des Vermieters eingreift, seinen Besitz so zu vermieten, wie er das für richtig hält.

Insofern ist diese jetzt von den Einwohnern von Fremont, Nebraska, beschlossene Regelung ähnlich fragwürdig wie das bei uns geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das ebenfalls in die Freiheit des Vermieters eingreift (siehe Allgemeine Gleichbehandlung; ZR vom 20. 6. 2006; sowie Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes; ZR vom 26. 5. 2010).

Aber das ist eine Frage der Liberalität. Mit Rassismus hat das nichts zu tun. Auch ist es gewiß ein schwerer Eingriff in die Freiheit des Vermieters, wenn er gesetzlich gezwungen wird, an jemanden zu vermieten, den er nicht haben will, als wenn er gesetzlich daran gehindert wird, an jemanden zu vermieten, der sich illegal im Land aufhält.



Wie kommen die Einwohner des Städtchens Fremont, dieser intakten Gemeinde, dazu, ihre Gemeindeordnung in dieser Weise zu verschärfen?

Obwohl Nebraska weit weg von der mexikanischen Grenze liegt, gibt es auch dorthin eine starke Einwanderung von Hispanics, von denen viele illegal in die USA gelangen. Von 2000 bis 2005 wuchs die weiße Bevölkerung Nebraskas um nur 0,48 Prozent, blieb also faktisch gleich. Im gleichen Zeitraum nahm die Bevölkerung hispanischer Herkunft um 32,2 Prozent zu. Ihr Anteil liegt damit immer noch unter 7 Prozent; aber der Zuwachs ist eben doch erheblich.

Noch krasser verlief diese Entwicklung in der Stadt Fremont. Im Jahr 1990 gab es dort (Legale und Illegale zusammengenommen) 165 Hispanics. Im Jahr 2000 waren es bereits 1.085; die gegenwärtige Zahl wird auf 2.060 Personen geschätzt; also mehr als eine Verzehnfachung innerhalb von zwanzig Jahren.

Diejenigen, die für die Änderung der Gemeindeordnung eingetreten sind, fürchten die Konkurrenz billiger Arbeiter um Arbeitsplätze. Sie begründen ihre Initiative vor allem aber damit, daß der Bund zu wenig tue, um seinen eigenen Gesetzen gegen illegale Einwanderung Geltung zu verschaffen.

Die Gegner der Änderung argumentieren u.a., daß die Datenbasis E-Verify nicht zuverlässig sei und daß der Hauptarbeitgeber Hormel gar nicht im Geltungsbereich dieser Gemeindeordnung angesiedelt sei.

Es gibt eben, wie meist, gute Gründe für und gegen eine solche Maßnahme. Der Ruf "Rassismus!" scheint mir jedenfalls ganz fehl am Platz zu sein. Der Senator Charlie Janssen, ein Fremonter, hat es treffend zusammengefaßt:
A vote for or against the ordinance does not make you more or less patriotic. Just as a vote for or against the ordinance does not make you racist or not.

Eine Stimme für oder gegen die Änderung der Gemeindeordnung macht jemanden nicht zu einem besseren oder einem schlechteren Patrioten. Nur für oder gegen die Änderung zu stimmen, macht niemanden zum Rassisten oder zum Nichtrassisten.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Opernhaus in Fremont, Nebraska. Vom Autor Ammodramus in die Public Domain gestellt.