11. Juni 2010

Zettels Meckerecke: Ende eines Dienstwagens. Die verlorene Reputation des Andreas Pinkwart. Nebst einer Anmerkung über die Verfassung des Landes NRW

Den Kurs, den die FDP in NRW unter der Führung von Andreas Pinkwart seit den Wahlen am 9. Mai einschlug, hat am 1. Juni Rayson in B.L.O.G. trefflich charakterisiert:
Einen Fahrer, der sich erst auf dem Fahrstreifen für Rechts einordnet, dann auf Geradeaus wechselt, links blinkt, aber weiter geradeaus fährt, um sich dann letztlich doch auf die linke Spur zu begeben, nennt man wie? Entweder ortsunkundig oder sehr betrunken. Suchen Sie es sich aus, Herr Pinkwart.
Jetzt ist diese Fahrt in Schlangenlinien zu ihrem Ende gekommen: Das Auto hängt am Baum. Die Sondierungsgespräche mit den beiden untereinander "speziell verpartnerten" Damen Kraft und Löhrmann sind gescheitert.

Dieser Vorsitzende, den ich noch in der Wahlanalyse vom 11. Mai als einen "ruhigen und sachlichen" Mann bezeichnet habe, hat sich in ein Gewirr von Taktik, Wankelmut und persönlichem Ehrgeiz verstrickt, wie das einem politischen Profi selten passiert.

Als es los ging mit der Wackelei, konnte man noch denken, Pinkwart habe mit allerlei Rabulistik nur erreichen wollen, daß der Schwarze Peter nicht bei der FDP hängenbleibt; nämlich der Vorwurf, sie zwinge die verpartnerten Damen zum Bündnis mit den Kommunisten, indem sie sich selbst einer Koalition verweigert.

Dann schien er es vielleicht doch ernst zu meinen. Dann doch nicht; es war alles nur ein wenig Schauturnen gewesen. Die FDP stand wieder zu ihrem Versprechen, nicht mit SPD und Grünen zu koalieren.

Und dann auf einmal, vier Wochen nach der Wahl, strebte Pinkwart, sein Geschwätz von gestern ignorierend, als Dritter im Bunde ins rotgrüne Himmelbett; diesmal mit aller Macht. Minister bleiben zu dürfen erschien ihm offenkundig so wünschenswert, daß er dafür eine erneute Volte riskierte.

Nun wird er seinen Dienstwagen los werden, der Andreas Pinkwart.

Er hat für den Versuch, sein Portefeuille zu retten, den Preis gezahlt, daß die FDP in NRW Vertrauen und Achtung verloren hat; und zwar in einem Maß, das sie sehr schnell unter die Fünf-Prozent-Grenze bringen könnte.

Wer kann denn einer Partei noch trauen, die ihr Wahlversprechen bricht, nicht mit der SPD und den Grünen zu koalieren? Wer kann noch glauben, daß eine Partei solide Regierungsarbeit machen würde, deren Vorsitzender sich als Muster fehlender Solidität erwiesen hat? Und wer wird von jemandem Professionalität beim Regieren erwarten, der mit seinem amateurhaften Herumgewurschtel die Karre derart krachend an den Baum gefahren hat?



Wie geht es weiter? Jamaika ist ausgeschlossen. Wenn FDP und Grüne sich nicht für die Arbeit in einem Kabinett Kraft einig werden konnten, wie sollten sie sich dann über eine gemeinsame Arbeit in einem Kabinett Rüttgers einigen?

Daß Hannelore Kraft Ministerin unter Jürgen Rüttgers werden möchte, daß also noch einmal über eine Große Koalition gesprochen werden wird, ist sehr unwahrscheinlich. Denn warum sollte Kraft das wollen? Sie hat die Option, sich zur Chefin einer Minderheitsregierung wählen zu lassen.

Aber würde das nicht bedeuten, daß sie auf die Stimmen der Kommunisten angewiesen wäre, die man doch gerade erst in den abrupt abgebrochenen Sondierungsgesprächen als unzuverlässig erkannt hat? Nein.

Es ist nämlich keineswegs so, daß Frau Kraft für die Wahl zur Ministerpräsidentin die Stimmen der Kommunisten brauchte. Hier ist der Artikel 52 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, Absatz 1 und 2:
(1) Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.

(2) Kommt eine Wahl gemäß Absatz 1 nicht zustande, so findet innerhalb von 14 Tagen ein zweiter, gegebenenfalls ein dritter Wahlgang statt, in dem der gewählt ist, der mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so findet eine Stichwahl zwischen den beiden Vorgeschlagenen statt, die die höchste Stimmenzahl erhalten haben.
Eine Stichwahl gegen Rüttgers würde Kraft gewinnen, ohne auch nur eine einzige Stimme der Kommunisten zu benötigen; ohne vorausgehende Gespräche mit ihnen oder gar ein "Tolerierungsabkommen".

Sie könnte ohne Mehrheit natürlich nur eine begrenzte Zeit regieren. Einige Gesetzesänderungen - etwa die Abschaffung der Studiengebühren - würden die Kommunisten unterstützen; ohne eine Absprache. Spätestens bei der Verabschiedung des nächsten Haushalts allerdings würde es schwierig werden.

Aber dann hätte Kraft ja die Möglichkeit von Neuwahlen. Auch hier lohnt ein Blick in die Verfassung von NRW. Artikel 35:
(1) Der Landtag kann sich durch eigenen Beschluß auflösen. Hierzu bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. (...)

(3) Nach der Auflösung des Landtags muß die Neuwahl binnen sechzig Tagen stattfinden.
Solche Neuwahlen würde Rotgrün sehr wahrscheinlich gewinnen. Zum einen, weil der Wähler dazu tendiert, jemandem, der nun einmal ins Amt gekommen ist, eine faire Chance zu geben. Zum anderen, weil die FDP bei solchen Neuwahlen keine Rolle mehr spielen wird.



Sie wundern sich, lieber Leser, daß der Liberale Zettel auf den FDP-Mann Pinkwart einprügelt und sich nun auch noch den Kopf von Hannelore Kraft zerbricht? Gemach. Die Möglichkeit, auf die ich hingewiesen habe, hat die SPD natürlich längst in ihrem Schatzkästlein. Denn anders als in der Laienspieltruppe der NRW-FDP geht man dort professionell zu Werke.

Und wenn ich in Versuchung gerate, an der FDP zu verzweifeln, dann denke ich an Jörg-Uwe Hahn, den hessischen Kollegen von Andreas Pinkwart. Er befand sich nach den Wahlen vom 27. Januar 2008 in genau derselben Situation wie jetzt Pinkwart; siehe Wie die FDP in NRW eine Chance vergab; ZR vom 15. 5. 2010. Er hat sich aber konträr zu Pinkwart verhalten: Er hat auf die Beschlußlage der FDP, auf ihr Wahlversprechen hingewiesen und sich jedem Gespräch mit Rotgrün verweigert.

Nach dem bekannten Kuddelmuddel, an dem die FDP sich nicht beteiligte, kam es zu Neuwahlen. Am 18. Januar 2009 erhielt die hessische FDP sensationelle 16,2 Prozent und eröffnete damit den Höhenflug der Partei, der bis zu den Bundestagswahlen vom 27. September anhielt.

Die Wähler wissen eben Verläßlichkeit zu schätzen, und sie bestrafen Wackelpeter und Leichtmatrosen.



Noch ein interessanter Aspekt der gestern gescheiterten Verhandlungen. Zum Beispiel in "Welt-Online" kann man dies lesen:
Kraft und Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann beklagten, dass die FDP keine einheitliche Verhandlungsposition gehabt habe. FDP- Landeschef Pinkwart habe "Bewegungsbereitschaft" gezeigt, sagte Löhrmann. In der gesamten Delegation der FDP sei das nicht so der Fall gewesen.
Mir scheint, es ist an denen, die sich nicht nach Art eines Schlangenmenschen "bewegen" wollten, das Vertrauen in die FDP von NRW wieder herzustellen. Ich sehe nicht,wie das mit Pinkwart gehen könnte.



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