Auf den ersten Blick sieht es verführerisch aus:
Die FDP hat Schwierigkeiten in der Koalition mit der Union. Nicht zuletzt liegen diese daran, daß die Union die Option einer Großen Koalition hat, die FDP aber - jedenfalls in dieser Legislaturperiode - an CDU und CSU gefesselt ist. Das wirkt sich auf die Machtverhältnisse aus.
Sollte sich die FDP also nicht ein Mehr an Handlungsspielraum schaffen, indem sie zunächst hier und da in einem Bundesland in eine Ampel-Koalition geht? Und sich dann für die nächsten Bundestagswahlen 2013 (spätestens 2013, muß man inzwischen wohl sagen) die Option der Ampel offenhält?
In einer Woche will die FDP-Führung auf einer Klausurtagung darüber beraten "mit welchen Themen wir jetzt als FDP wieder so in die Offensive kommen, dass die Zustimmung wächst". In welche Richtung das gehen könnte, hat die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Birgit Homburger angedeutet. "Zeit-Online" am vergangenen Mittwoch:
Wird also in der FDP-Spitze ernsthaft über eine wieder mehr sozialliberale FDP nachgedacht, die mit der SPD und den Grünen Ampel-Regierungen bilden könnte?
Falls ja, dann sollte man sich an die sozialliberale Koalition von 1969 bis 1982 erinnern, sie analysieren und überlegen, ob die Faktoren, die damals ein erfolgreiches Mitregieren der FDP in Kabinetten unter Führung der Sozialdemokratie ermöglicht haben, auch heute noch gegeben sind.
Ich meine nein. Es gibt mindestens fünf Gesichtspunkte, die zu bedenken sind:
1. Im Jahr 1969 gab es zwei große Felder, auf denen die SPD und die FDP weitgehend übereinstimmende Positionen hatten: Die Ostpolitik und die "inneren Reformen" vor allem im Bereich des Strafrechts, aber auch des Bildungswesen und der Kulturpolitik. "Wir schaffen die alten Zöpfe ab" plakatierte die FDP im Wahlkampf 1969; und das wollte auch die damals innenpolitisch sehr liberale SPD. Heute gibt es keine solchen Felder, auf denen FDP und SPD gemeinsame Projekte hätten.
2. Erst recht gibt es solche Gemeinsamkeiten nicht mit den Grünen. Durch deren Hinzukommen hat sich andererseits die strategische Lage gegenüber der Zeit der sozialliberalen Koalition grundlegend geändert: Die Grünen sind jetzt die linksliberale Partei.
Die FDP konnte sich damals als linksliberal profilieren, weil sie das linke Bildungsbürgertum ansprach, dem die SPD zu schwielig, zu proletarisch war. Diese Wählerschichten sind heute eine feste Basis der Grünen. Eine zur SPD umgeschwenkte FDP hätte faktisch keine Wählerbasis mehr. Bürgerliche Wähler, die ein Bündnis mit der SPD wollen, wählen ohnehin schon die Grünen; bürgerliche Wähler, die das ablehnen, werden dann die Union wählen.
3. Die SPD ist heute eine andere Partei als in den siebziger Jahren. Die politischen Positionen von Willy Brandt und Helmut Schmidt (wie auch der meisten ihrer Minister wie Hans-Jochen Vogel, Hans Apel, Georg Leber, Manfred Lahnstein) sind innerhalb des Koordinatenkreuzes der heutigen SPD so weit rechts, daß man mit ihnen nicht einmal mehr Kassierer eines Ortsvereins werden könnte. Der Nationalliberale Egon Bahr könnte heute froh sein, wenn er nicht so, wie es Wolfgang Clement widerfahren ist, mit einem Parteiordnungsverfahren überzogen werden würde.
Auf Egon Bahrs Sessel sitzt jetzt Andrea Nahles, zu deren engsten Vertrauten Angela Marquardt (früher PDS) gehört; Selbstkennzeichnung gegenüber dem kommunistischen "Neuen Deutschland": "Ich bin und bleibe Sozialistin". Es wäre widersinnig, daß sich die FDP mit einer so weit nach links gerückten SPD verbündet.
4. In einer Koalition unter Einbeziehung der Grünen hätte die FDP ein erheblich geringeres Gewicht als seinerzeit in der sozialliberalen Koalition. Sie stünde zwei Partnern gegenüber, die in nahezu allen wichtigen Fragen an einem Strang ziehen. Ihre Chancen zur Durchsetzung eigener Vorstellungen wären minimal, zumal die FDP aus einer solchen Koalition, einmal im Bund geschlossen, ja nicht bald wieder herauskönnte.
Sowohl das Bündnis 1969 mit der SPD als auch der Wechsel 1982 zurück zur Union hat die FDP einer Zerreißprobe ausgesetzt und zum Austausch eines Teils der Mitglieder und der Wählerschaft geführt. Nach dem Eintritt in die sozialliberale Koalition verließ 1970 sogar ihr langjähriger Vorsitzender Erich Mende die Partei; nach der Rückkehr in die Koalition mit der Union erreichte die FDP bei den Wahlen 1983 noch nicht einmal mehr sieben Prozent.
Einmal verampelt, müßte die FDP also in der Ampel bleiben; ein erneuter Wechsel in kurzer Zeit würde ihr den Garaus machen. Sie hätte damit gegenüber den beiden verpartnerten anderen Parteien einer Ampel überhaupt kein Druckmittel, sich durchzusetzen.
5. Und dann ist da noch der, sagen wir, staatspolitische Aspekt. Ist die FDP erst einmal gesprungen und kann sie also auf absehbare Zeit nicht zur Union zurück, dann steht die Union ohne Partner und damit realistischerweise ohne Regierungsmehrheit da. Es gäbe - und das wäre freilich eine Parallele zu 1969-1982 - die Situation, die Franz-Josef Strauß damals als die "babylonische Gefangenschaft" der FDP bezeichnete.
Strauß war der Meinung, somit könne die Union, da eine absolute Mehrheit unerreichbar schien, als eine einzige Partei nicht an die Regierung kommen; von daher seine Überlegung einer bundesweiten Ausdehnung der CSU als konservativer Partner der CDU.
Bei einer künftigen Ampel wäre die Lage dieselbe: Die SPD wäre auf lange Jahre zusammen mit den Grünen die Regierungspartei und könnte sich nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode aussuchen, ob sie lieber die FDP oder lieber die Kommunisten mit ins Boot holt. Eine Opposition, die auf eine Mehrheit würde rechnen können, gäbe es nicht.
Es ist zu hoffen, daß solche Überlegungen angestellt werden, wenn die FDP-Führung sich in einer Woche zu ihrer Klausurtagung trifft. Versuchungen muß man nicht folgen. Bei rationaler Analyse darf die FDP der Ampel-Versuchung nicht nachgeben.
Die FDP hat Schwierigkeiten in der Koalition mit der Union. Nicht zuletzt liegen diese daran, daß die Union die Option einer Großen Koalition hat, die FDP aber - jedenfalls in dieser Legislaturperiode - an CDU und CSU gefesselt ist. Das wirkt sich auf die Machtverhältnisse aus.
Sollte sich die FDP also nicht ein Mehr an Handlungsspielraum schaffen, indem sie zunächst hier und da in einem Bundesland in eine Ampel-Koalition geht? Und sich dann für die nächsten Bundestagswahlen 2013 (spätestens 2013, muß man inzwischen wohl sagen) die Option der Ampel offenhält?
In einer Woche will die FDP-Führung auf einer Klausurtagung darüber beraten "mit welchen Themen wir jetzt als FDP wieder so in die Offensive kommen, dass die Zustimmung wächst". In welche Richtung das gehen könnte, hat die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Birgit Homburger angedeutet. "Zeit-Online" am vergangenen Mittwoch:
Homburger sagte auch, die Koalition mit der Union sei nicht selbstverständlich. Zwar habe man sich vor der Bundestagswahl für eine Koalitionsaussage entschieden. "Das heißt aber nicht, dass wir ein für alle mal nur diese Aussage machen können." Natürlich sei man auch offen für Gespräche mit anderen Parteien.Ähnlich hatte sich schon Mitte Mai der Generalsekretär Christian Lindner gegenüber dem "Hamburger Abendblatt" geäußert:
Der Sozialstaat muss fairer werden. Er muss Bedürftige zurück in Wirtschaft und Gesellschaft führen. Wir handeln: Das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger ist verdreifacht, Kinder aus Bedarfsgemeinschaften können Geld aus Ferienjobs behalten und Arbeitslose unter 25 Jahren bekommen innerhalb von sechs Wochen ein Angebot. (...)
Es gibt in allen demokratischen Parteien interessante Persönlichkeiten und Positionen, nicht nur in Union und FDP. Die FDP ist prinzipiell koalitionsfähig mit anderen Parteien als der Union, aber nicht an jedem Ort, zu jeder Zeit oder um jeden Preis.
Wird also in der FDP-Spitze ernsthaft über eine wieder mehr sozialliberale FDP nachgedacht, die mit der SPD und den Grünen Ampel-Regierungen bilden könnte?
Falls ja, dann sollte man sich an die sozialliberale Koalition von 1969 bis 1982 erinnern, sie analysieren und überlegen, ob die Faktoren, die damals ein erfolgreiches Mitregieren der FDP in Kabinetten unter Führung der Sozialdemokratie ermöglicht haben, auch heute noch gegeben sind.
Ich meine nein. Es gibt mindestens fünf Gesichtspunkte, die zu bedenken sind:
1. Im Jahr 1969 gab es zwei große Felder, auf denen die SPD und die FDP weitgehend übereinstimmende Positionen hatten: Die Ostpolitik und die "inneren Reformen" vor allem im Bereich des Strafrechts, aber auch des Bildungswesen und der Kulturpolitik. "Wir schaffen die alten Zöpfe ab" plakatierte die FDP im Wahlkampf 1969; und das wollte auch die damals innenpolitisch sehr liberale SPD. Heute gibt es keine solchen Felder, auf denen FDP und SPD gemeinsame Projekte hätten.
2. Erst recht gibt es solche Gemeinsamkeiten nicht mit den Grünen. Durch deren Hinzukommen hat sich andererseits die strategische Lage gegenüber der Zeit der sozialliberalen Koalition grundlegend geändert: Die Grünen sind jetzt die linksliberale Partei.
Die FDP konnte sich damals als linksliberal profilieren, weil sie das linke Bildungsbürgertum ansprach, dem die SPD zu schwielig, zu proletarisch war. Diese Wählerschichten sind heute eine feste Basis der Grünen. Eine zur SPD umgeschwenkte FDP hätte faktisch keine Wählerbasis mehr. Bürgerliche Wähler, die ein Bündnis mit der SPD wollen, wählen ohnehin schon die Grünen; bürgerliche Wähler, die das ablehnen, werden dann die Union wählen.
3. Die SPD ist heute eine andere Partei als in den siebziger Jahren. Die politischen Positionen von Willy Brandt und Helmut Schmidt (wie auch der meisten ihrer Minister wie Hans-Jochen Vogel, Hans Apel, Georg Leber, Manfred Lahnstein) sind innerhalb des Koordinatenkreuzes der heutigen SPD so weit rechts, daß man mit ihnen nicht einmal mehr Kassierer eines Ortsvereins werden könnte. Der Nationalliberale Egon Bahr könnte heute froh sein, wenn er nicht so, wie es Wolfgang Clement widerfahren ist, mit einem Parteiordnungsverfahren überzogen werden würde.
Auf Egon Bahrs Sessel sitzt jetzt Andrea Nahles, zu deren engsten Vertrauten Angela Marquardt (früher PDS) gehört; Selbstkennzeichnung gegenüber dem kommunistischen "Neuen Deutschland": "Ich bin und bleibe Sozialistin". Es wäre widersinnig, daß sich die FDP mit einer so weit nach links gerückten SPD verbündet.
4. In einer Koalition unter Einbeziehung der Grünen hätte die FDP ein erheblich geringeres Gewicht als seinerzeit in der sozialliberalen Koalition. Sie stünde zwei Partnern gegenüber, die in nahezu allen wichtigen Fragen an einem Strang ziehen. Ihre Chancen zur Durchsetzung eigener Vorstellungen wären minimal, zumal die FDP aus einer solchen Koalition, einmal im Bund geschlossen, ja nicht bald wieder herauskönnte.
Sowohl das Bündnis 1969 mit der SPD als auch der Wechsel 1982 zurück zur Union hat die FDP einer Zerreißprobe ausgesetzt und zum Austausch eines Teils der Mitglieder und der Wählerschaft geführt. Nach dem Eintritt in die sozialliberale Koalition verließ 1970 sogar ihr langjähriger Vorsitzender Erich Mende die Partei; nach der Rückkehr in die Koalition mit der Union erreichte die FDP bei den Wahlen 1983 noch nicht einmal mehr sieben Prozent.
Einmal verampelt, müßte die FDP also in der Ampel bleiben; ein erneuter Wechsel in kurzer Zeit würde ihr den Garaus machen. Sie hätte damit gegenüber den beiden verpartnerten anderen Parteien einer Ampel überhaupt kein Druckmittel, sich durchzusetzen.
5. Und dann ist da noch der, sagen wir, staatspolitische Aspekt. Ist die FDP erst einmal gesprungen und kann sie also auf absehbare Zeit nicht zur Union zurück, dann steht die Union ohne Partner und damit realistischerweise ohne Regierungsmehrheit da. Es gäbe - und das wäre freilich eine Parallele zu 1969-1982 - die Situation, die Franz-Josef Strauß damals als die "babylonische Gefangenschaft" der FDP bezeichnete.
Strauß war der Meinung, somit könne die Union, da eine absolute Mehrheit unerreichbar schien, als eine einzige Partei nicht an die Regierung kommen; von daher seine Überlegung einer bundesweiten Ausdehnung der CSU als konservativer Partner der CDU.
Bei einer künftigen Ampel wäre die Lage dieselbe: Die SPD wäre auf lange Jahre zusammen mit den Grünen die Regierungspartei und könnte sich nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode aussuchen, ob sie lieber die FDP oder lieber die Kommunisten mit ins Boot holt. Eine Opposition, die auf eine Mehrheit würde rechnen können, gäbe es nicht.
Es ist zu hoffen, daß solche Überlegungen angestellt werden, wenn die FDP-Führung sich in einer Woche zu ihrer Klausurtagung trifft. Versuchungen muß man nicht folgen. Bei rationaler Analyse darf die FDP der Ampel-Versuchung nicht nachgeben.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Walter Scheel 1974 nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Als Foto aus dem Bestand des Bundesarchiv in der Public Domain.