Noch bevor die christlich-liberale Regierung überhaupt ihre Geschäfte aufgenommen hatte, am 26. Okober 2009, brachte der "Spiegel" die Titelgeschichte "Vorsicht, Schwarz-Gelb", deren Titelbild, gestaltet in Form eines Warnhinweises vor Giftmüll oder Gefahrengut, Sie hier sehen können.
Die Jagd war eröffnet.
Für die linken deutschen Leitmedien war die Große Koalition ein Zwischenspiel gewesen - eine Episode zwischen der rotgrünen Regierung Schröder und einer erneuten Linksregierung; bevorzugt einer Volksfront unter Einbeziehung der Kommunisten.
Daß es elf Jahre nach dem Ende der letzten Regierung Kohl wieder eine christlich-liberale, eine "bürgerliche" Regierung geben würde, war nicht vorgesehen gewesen. Ein Betriebsunfall, ein Irrtum des Wählers. Baldigst zu korrigieren.
Seither geht auf diese Regierung ein journalistisches Trommelfeuer nieder, wie es noch keine deutsche Regierung erlebt hat; vergleichbar allenfalls dem, was die linken Leitmedien der USA mit Präsident Bush während dessen zweiter Amtszeit gemacht haben.
Beim "Spiegel" ist der vorläufige Höhepunkt die Titelgeschichte dieser Woche "Aufhören!". Man versucht gar nicht mehr, die Rolle des objektiven Nachrichtenmagazins aufrechtzuerhalten. Es wird offen agitiert, so als sei der "Spiegel" ein Parteiblatt.
Nein, die jetzigen Probleme dieser Koalition sind nicht nur von einer mißgünstigen Presse herbeigeschrieben.
Es gibt schwierige objektive Probleme, vor denen diese Regierung so steht, wie jede andere Regierung an ihrer Stelle auch stehen würde - die andauernden Folgen der Weltwirtschaftskrise (siehe aktuell die erneute Gefährdung von Opel); die hinzugekommene Griechenland-Krise; die anhaltenden Finanzierungsprobleme der Renten- und der Gesundheitsversicherung, die sich teils aus der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise, teils aus der katastrophalen demographischen Entwicklung ergeben; dazu die von früheren Regierungen aufgehäufte Staatsverschuldung.
Es gibt das Problem der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan, den der Westen nicht gewinnen, aus dem er ohne desaströse Folgen aber auch nicht heraus kann. Es gibt eine Krise Europas, wie sie das politische Europa seit den Römischen Verträgen noch nicht erlebt hat.
Es gibt dazu die zwar nicht akuten, aber langfristig bedrohlichen Probleme des Entstehens eines türkischstämmigen Subproletariats mit hoher Kriminalität und des Eindringens der Kriminalität in die politische Auseinandersetzung; siehe Die Eskalation linker Gewalt; ZR vom 15. 6. 2010.
Keine Regierung kann in einer solchen Situation glänzend dastehen.
Wir leben nicht in einer Zeit für "Projekte" wie dem, mit dem die Regierung Brandt/Scheel 1969 antrat - "Mehr Demokratie wagen" und das Abschaffen der "alten Zöpfe" im Inneren; die Versöhnung mit dem Osten als Hauptziel der Außenpolitik. Nicht in einer Zeit auch für eine "geistig-moralische Wende", wie sie Helmut Kohl bei seiner Regierungsübernahme im Oktober 1982 proklamierte; oder gar für einen "ökologischen Umbau der Industriegesellschaft", dem Motto und Leitmotiv der Rotgrünen nach ihrem Wahlsieg 1998.
Nicht ein Umbau unserer Industriegesellschaft steht auf der Tagesordnung, sondern ihr Erhalt. Statt eine Wende zu versuchen, gilt es für diese Regierung, überhaupt einigermaßen Kurs zu halten. Nicht mehr Demokratie steht in Aussicht, sondern es gilt das Funktionieren unserer Demokratie zu sichern; angesichts von Wahlergebnissen wie in NRW, die Regieren und Gesetzgebung faktisch lähmen.
The carnival is over. Diese Regierung kämpft mit dem Rücken zur Wand; und jede andere Regierung, die an ihrer Stelle im Oktober 2009 hätte vereidigt werden können, wäre in exakt derselben objektiven Situation.
Da ist Nüchternheit gefragt; die klare Analyse, das entschlossene Handeln. Es ist also ein Kanzler gefragt wie Angela Merkel. Sie ist die Kanzlerin am richtigen Platz zur richtigen Zeit; so, wie einst Willy Brandt wie kein anderer den Geist und die Aufbruchstimmung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre verkörperte.
Und doch hat die Kanzlerin nicht nur eine schlechte Presse - das allein besagt angesichts der politischen Orientierung der meisten Medien nichts -, sondern auch ihre Umfragewerte sind rapide zurückgegangen.
Der gestern publizierte aktuelle Deutschlandtrend, ermittelt für die ARD von Infratest dimap, zeigt ein hohes Maß an Unzufriedenheit nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit der Kanzlerin persönlich.
Es geht der deutschen Regierung damit nicht anders als den Regierungen europaweit. Kürzlich erst ist in Großbritannien Gordon Brown auf eine nachgerade demütigende Weise abgewählt worden. In den Niederlanden hat vor einer Woche Jan Peter Balkenende eine ähnlich vernichtende Niederlage erlitten; siehe Wahlen in Holland; ZR vom 10. 6. 2010. In einer aktuellen Umfrage in Frankreich liegt Präsident Sarkozy mit 34 Prozent Zustimmung noch tiefer als Angela Merkel mit gegenwärtig 40 Prozent.
Eine Krise wie die jetzige führt notwendig zu einer Verschärfung der gesellschaftlichen ebenso wie der politischen Konflikte.
Wie immer eine Regierung entscheidet - sie wird damit den Zorn eines Teils der Bevölkerung heraufbeschwören. Entscheidet sie sachbezogen und nicht populistisch, wie es die Regierung Merkel mit ihrem Sparprogramm gemacht hat, dann ist das ein gefundenes Fressen für linke Rattenfänger. Stammtisch-Parolen wie "Die Reichen sollen zahlen" oder "Die Schuldigen an der Krise sollen das selbst auslöffeln" stoßen, so unsinnig sie sind, auf Widerhall.
Damit muß die Regierung Merkel leben. Auf eine Unterstützung durch die SPD, geschweige denn durch andere linke Gruppierungen, kann sie nicht rechnen. Die objektiven Schwierigkeiten, in denen diese Regierung steckt wie alle Regierungen in Europa, werden ihr als Schwäche und Unfähigkeit attribuiert. So ist nun einmal Politik.
Es kommen nun aber zwei spezifische Momente hinzu. Sie liegen im Stil der Kanzlerin und bei den Problemen, die dieser christlich-liberalen Koalition in die Wiege gelegt waren.
Die Stärken und Schwächen des Stils von Angela Merkel haben ich in einem früheren Artikel zu analysieren versucht: "Merkel diktiert Krisen-Agenda". Anmerkung zur Stärke der Kanzlerin, zu ihrer Schwäche; ZR. vom 21. 3. 2009. Sie ist überall dort und immer dann erfolgreich, wo es gilt, eine Situation rational zu analysieren und eine Entscheidung zugunsten der eigenen Interessen herbeizuführen, unter Berücksichtigung der Interessen und der Stärke der anderen. Ihre Schwäche liegt dort, wo es gilt, auf Emotionen Rücksicht zu nehmen; auch Emotionen für die eigenen Ziele einzusetzen.
Angela Merkel spielt Politik wie Schach. Auf der internationalen diplomatischen Ebene, wo in der Regel in diesem Stil gespielt wird, ist sie Meisterin. Gerade erst wieder hat sie sich in Paris gegenüber Nicolas Sarkozy in Sachen Europäische Wirtschaftsregierung durchgesetzt; dieser lobte danach säuerlich den Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Diese kühle, analytische Art, Politik zu betreiben, pflegt Angela Merkel ebenso innenpolitisch. Sie neigt zu diesem Stil auch dann, wenn er ganz und gar unangemessen ist; wie beispielsweise bei der Kür eines neuen Bundespräsidenten (siehe Die Väter des Grundgesetzes und die selbstherrliche Entscheidung der Kanzlerin; ZR vom 6. 6. 2010).
In der Regel funktioniert das. Merkel denkt schneller als ihre Kontrahenten, ist meist besser vorbereitet und analysiert einige Züge mehr voraus. Das hat sie an die Macht gebracht. Das hat sie in die Lage versetzt, einen Konkurrenten nach dem anderen auszumanövrieren.
Aber das ist auch ihre große Schwäche. Sie hat eine rationale Beziehung nicht nur zur Politik, sondern auch zu den Menschen. Das, was man im Amerikanischen "to connect to people" nennt und was Barack Obama meisterhaft beherrscht, dieses Herstellen eines emotionalen Kontakts zu anderen Menschen, geht Merkel ab.
Sie hat ihr Küchenkabinett, einen kleinen Kreis ebenso kompetenter wie loyaler Zuarbeiter. Dahinter liegt die fremde Welt. In dieser Hinsicht ist Merkel das Gegenteil ihres Vorbilds Helmut Kohl. Dieser verströmte Wärme und Herzlichkeit. Er kümmerte sich um seine Leute; rief sie auch schon einmal an, wenn sie Kummer hatten; erwarb sich ihre Loyalität durch Gefälligkeiten. Das war das "System Kohl". Ein "System Merkel" gibt es nicht.
In ruhigen Zeiten hat das der Kanzlerin kaum geschadet; außer daß ihr aus ihrer Partei nie Herzlichkeit zuflog. Aber das war bei Helmut Schmidt und der SPD nicht anders gewesen; auch er ein kühler, analytisch denkender Norddeutscher.
Aber in der jetzigen Krise zeigt sich diese Schwäche der Kanzlerin. Man steckt bis über den Hals in Schwierigkeiten; und das verlangt Gemeinsamkeit. Es verlangt Corpsgeist im Kabinett, um ein etwas aus der Mode gekommenes Wort zu verwenden. Die Bereitschaft, die Interessen der Regierung über die eigenen Interessen, über diejenigen der jeweiligen Partei zu stellen. Da geht es eben auch um Emotionales.
Mannschaftsdienliches Spiel nennt man das im Fußball. Der Bundestrainer Löw hat es augenscheinlich verstanden, der deutschen Elf diesen Mannschaftsgeist einzuimpfen. Die Kanzlerin hat es bei ihrem Kabinett nicht geschafft; und man darf füglich zweifeln, ob sie es überhaupt ernsthaft versucht hat oder ob sie dazu in der Lage wäre.
Und es wäre nötig gewesen, von Anfang an. Denn dieser von vielen so lang ersehnten christlich-liberalen Koalition waren Konflikte in die Wiege gelegt. Alle drei Partner glaubten sich von Anfang an gegen die beiden anderen profilieren zu müssen.
Die CDU hatte zwar die Wahlen am 27. September 2010 zusammen mit der FDP gewonnen, aber selbst ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielt. Die CSU steckte schon seit der bayerischen Landtagswahl in einer Krise. Die FDP andererseits konnte sich mit 14,56 Prozent der Zweitstimmen zu Recht als der Sieger sehen.
Jeder der Partner wollte sich profilieren, die einen aus Schwäche, die anderen aus Stärke. Die Union wollte nicht zur Kenntnis nehmen, daß die FDP angesichts ihres Wahlergebnisses mehr Einfluß beanspruchen konnte als in den Kabinetten Adenauer oder Kohl. Die FDP wiederum überschätzte, in welchem Maß sie sich würde durchsetzen können; vor allem in der Finanzpolitik, wo sie freiwillig auf das Ressort verzichtet hatte. Auch hatte man sich in der Zeit entfremdet, in der die Union in der Regierung und die FDP in der Opposition gewesen war.
Hinzu kam Persönliches; vor allem das ständige Heineinregieren in das Kabinett durch den CSU-Chef Seehofer; ein Mann mit der Egomanie eines Franz-Josef Strauß, aber ohne dessen Intelligenz und Weitblick.
Und hinzu kamen eben die Krisen. Die Griechenland-Krise und die auf sie folgende Austeritäts-Politik in ganz Europa machten die Steuersenkungen, auf die sich die FDP so sehr festgelegt hatte, nicht mehr durchsetzbar. Eine Niederlage für die FDP, die ihre alten Kontrahenten von der CSU triumphieren ließ; siehe dazu CSU und FDP als Antipoden; ZR vom 18. 8. 2009.
Also wird in diesem Kabinett gestritten; und noch mehr außerhalb des Kabinetts übereinander hergezogen, off the record natürlich. Die Atmosphäre ist schlecht; und die Kanzlerin ist eben keine "Mutti" - wie ihr seltsam unpassender Spitzname lautet -, die in der Lage wäre, das emotionale Klima zu verbessern. Sie bleibt "kühl bis ins Herz hinan", was da auch komme.
Dabei ist es ja nur eine Frage des Klimas. Kein anderer derzeit sichtbarer Kandidat könnte den Job des Kanzlers besser machen als Angela Merkel; weder jemand innerhalb noch gar jemand außerhalb der Union. Die Ressorts sind nicht alle glänzend besetzt; aber das jetzige Bundeskabinett ist nicht schlechter, die Minister sind nicht weniger kompetent als in irgendeinem Kabinett zuvor. Es wird eine gute, vernünftige, der schwierigen Lage angemessene Politik gemacht.
Die Kanzlerin und ihre Minister haben keine Wahl, als die jetzige Krise durchzustehen und sich wie erwachsene Menschen zu benehmen. Seehofer wird man vergessen müssen; dieser Mann ist nicht berechenbar und kennt keine Skrupel. Alle anderen Beteiligten dürften die Substanz haben, nach dem jetzigen Frühsommer-Theater zu nicht nur solider, sondern auch solidarischer Arbeit zu finden.
Die Jagd war eröffnet.
Für die linken deutschen Leitmedien war die Große Koalition ein Zwischenspiel gewesen - eine Episode zwischen der rotgrünen Regierung Schröder und einer erneuten Linksregierung; bevorzugt einer Volksfront unter Einbeziehung der Kommunisten.
Daß es elf Jahre nach dem Ende der letzten Regierung Kohl wieder eine christlich-liberale, eine "bürgerliche" Regierung geben würde, war nicht vorgesehen gewesen. Ein Betriebsunfall, ein Irrtum des Wählers. Baldigst zu korrigieren.
Seither geht auf diese Regierung ein journalistisches Trommelfeuer nieder, wie es noch keine deutsche Regierung erlebt hat; vergleichbar allenfalls dem, was die linken Leitmedien der USA mit Präsident Bush während dessen zweiter Amtszeit gemacht haben.
Beim "Spiegel" ist der vorläufige Höhepunkt die Titelgeschichte dieser Woche "Aufhören!". Man versucht gar nicht mehr, die Rolle des objektiven Nachrichtenmagazins aufrechtzuerhalten. Es wird offen agitiert, so als sei der "Spiegel" ein Parteiblatt.
Nein, die jetzigen Probleme dieser Koalition sind nicht nur von einer mißgünstigen Presse herbeigeschrieben.
Es gibt schwierige objektive Probleme, vor denen diese Regierung so steht, wie jede andere Regierung an ihrer Stelle auch stehen würde - die andauernden Folgen der Weltwirtschaftskrise (siehe aktuell die erneute Gefährdung von Opel); die hinzugekommene Griechenland-Krise; die anhaltenden Finanzierungsprobleme der Renten- und der Gesundheitsversicherung, die sich teils aus der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise, teils aus der katastrophalen demographischen Entwicklung ergeben; dazu die von früheren Regierungen aufgehäufte Staatsverschuldung.
Es gibt das Problem der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan, den der Westen nicht gewinnen, aus dem er ohne desaströse Folgen aber auch nicht heraus kann. Es gibt eine Krise Europas, wie sie das politische Europa seit den Römischen Verträgen noch nicht erlebt hat.
Es gibt dazu die zwar nicht akuten, aber langfristig bedrohlichen Probleme des Entstehens eines türkischstämmigen Subproletariats mit hoher Kriminalität und des Eindringens der Kriminalität in die politische Auseinandersetzung; siehe Die Eskalation linker Gewalt; ZR vom 15. 6. 2010.
Keine Regierung kann in einer solchen Situation glänzend dastehen.
Wir leben nicht in einer Zeit für "Projekte" wie dem, mit dem die Regierung Brandt/Scheel 1969 antrat - "Mehr Demokratie wagen" und das Abschaffen der "alten Zöpfe" im Inneren; die Versöhnung mit dem Osten als Hauptziel der Außenpolitik. Nicht in einer Zeit auch für eine "geistig-moralische Wende", wie sie Helmut Kohl bei seiner Regierungsübernahme im Oktober 1982 proklamierte; oder gar für einen "ökologischen Umbau der Industriegesellschaft", dem Motto und Leitmotiv der Rotgrünen nach ihrem Wahlsieg 1998.
Nicht ein Umbau unserer Industriegesellschaft steht auf der Tagesordnung, sondern ihr Erhalt. Statt eine Wende zu versuchen, gilt es für diese Regierung, überhaupt einigermaßen Kurs zu halten. Nicht mehr Demokratie steht in Aussicht, sondern es gilt das Funktionieren unserer Demokratie zu sichern; angesichts von Wahlergebnissen wie in NRW, die Regieren und Gesetzgebung faktisch lähmen.
The carnival is over. Diese Regierung kämpft mit dem Rücken zur Wand; und jede andere Regierung, die an ihrer Stelle im Oktober 2009 hätte vereidigt werden können, wäre in exakt derselben objektiven Situation.
Da ist Nüchternheit gefragt; die klare Analyse, das entschlossene Handeln. Es ist also ein Kanzler gefragt wie Angela Merkel. Sie ist die Kanzlerin am richtigen Platz zur richtigen Zeit; so, wie einst Willy Brandt wie kein anderer den Geist und die Aufbruchstimmung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre verkörperte.
Und doch hat die Kanzlerin nicht nur eine schlechte Presse - das allein besagt angesichts der politischen Orientierung der meisten Medien nichts -, sondern auch ihre Umfragewerte sind rapide zurückgegangen.
Der gestern publizierte aktuelle Deutschlandtrend, ermittelt für die ARD von Infratest dimap, zeigt ein hohes Maß an Unzufriedenheit nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit der Kanzlerin persönlich.
Es geht der deutschen Regierung damit nicht anders als den Regierungen europaweit. Kürzlich erst ist in Großbritannien Gordon Brown auf eine nachgerade demütigende Weise abgewählt worden. In den Niederlanden hat vor einer Woche Jan Peter Balkenende eine ähnlich vernichtende Niederlage erlitten; siehe Wahlen in Holland; ZR vom 10. 6. 2010. In einer aktuellen Umfrage in Frankreich liegt Präsident Sarkozy mit 34 Prozent Zustimmung noch tiefer als Angela Merkel mit gegenwärtig 40 Prozent.
Eine Krise wie die jetzige führt notwendig zu einer Verschärfung der gesellschaftlichen ebenso wie der politischen Konflikte.
Wie immer eine Regierung entscheidet - sie wird damit den Zorn eines Teils der Bevölkerung heraufbeschwören. Entscheidet sie sachbezogen und nicht populistisch, wie es die Regierung Merkel mit ihrem Sparprogramm gemacht hat, dann ist das ein gefundenes Fressen für linke Rattenfänger. Stammtisch-Parolen wie "Die Reichen sollen zahlen" oder "Die Schuldigen an der Krise sollen das selbst auslöffeln" stoßen, so unsinnig sie sind, auf Widerhall.
Damit muß die Regierung Merkel leben. Auf eine Unterstützung durch die SPD, geschweige denn durch andere linke Gruppierungen, kann sie nicht rechnen. Die objektiven Schwierigkeiten, in denen diese Regierung steckt wie alle Regierungen in Europa, werden ihr als Schwäche und Unfähigkeit attribuiert. So ist nun einmal Politik.
Es kommen nun aber zwei spezifische Momente hinzu. Sie liegen im Stil der Kanzlerin und bei den Problemen, die dieser christlich-liberalen Koalition in die Wiege gelegt waren.
Die Stärken und Schwächen des Stils von Angela Merkel haben ich in einem früheren Artikel zu analysieren versucht: "Merkel diktiert Krisen-Agenda". Anmerkung zur Stärke der Kanzlerin, zu ihrer Schwäche; ZR. vom 21. 3. 2009. Sie ist überall dort und immer dann erfolgreich, wo es gilt, eine Situation rational zu analysieren und eine Entscheidung zugunsten der eigenen Interessen herbeizuführen, unter Berücksichtigung der Interessen und der Stärke der anderen. Ihre Schwäche liegt dort, wo es gilt, auf Emotionen Rücksicht zu nehmen; auch Emotionen für die eigenen Ziele einzusetzen.
Angela Merkel spielt Politik wie Schach. Auf der internationalen diplomatischen Ebene, wo in der Regel in diesem Stil gespielt wird, ist sie Meisterin. Gerade erst wieder hat sie sich in Paris gegenüber Nicolas Sarkozy in Sachen Europäische Wirtschaftsregierung durchgesetzt; dieser lobte danach säuerlich den Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Diese kühle, analytische Art, Politik zu betreiben, pflegt Angela Merkel ebenso innenpolitisch. Sie neigt zu diesem Stil auch dann, wenn er ganz und gar unangemessen ist; wie beispielsweise bei der Kür eines neuen Bundespräsidenten (siehe Die Väter des Grundgesetzes und die selbstherrliche Entscheidung der Kanzlerin; ZR vom 6. 6. 2010).
In der Regel funktioniert das. Merkel denkt schneller als ihre Kontrahenten, ist meist besser vorbereitet und analysiert einige Züge mehr voraus. Das hat sie an die Macht gebracht. Das hat sie in die Lage versetzt, einen Konkurrenten nach dem anderen auszumanövrieren.
Aber das ist auch ihre große Schwäche. Sie hat eine rationale Beziehung nicht nur zur Politik, sondern auch zu den Menschen. Das, was man im Amerikanischen "to connect to people" nennt und was Barack Obama meisterhaft beherrscht, dieses Herstellen eines emotionalen Kontakts zu anderen Menschen, geht Merkel ab.
Sie hat ihr Küchenkabinett, einen kleinen Kreis ebenso kompetenter wie loyaler Zuarbeiter. Dahinter liegt die fremde Welt. In dieser Hinsicht ist Merkel das Gegenteil ihres Vorbilds Helmut Kohl. Dieser verströmte Wärme und Herzlichkeit. Er kümmerte sich um seine Leute; rief sie auch schon einmal an, wenn sie Kummer hatten; erwarb sich ihre Loyalität durch Gefälligkeiten. Das war das "System Kohl". Ein "System Merkel" gibt es nicht.
In ruhigen Zeiten hat das der Kanzlerin kaum geschadet; außer daß ihr aus ihrer Partei nie Herzlichkeit zuflog. Aber das war bei Helmut Schmidt und der SPD nicht anders gewesen; auch er ein kühler, analytisch denkender Norddeutscher.
Aber in der jetzigen Krise zeigt sich diese Schwäche der Kanzlerin. Man steckt bis über den Hals in Schwierigkeiten; und das verlangt Gemeinsamkeit. Es verlangt Corpsgeist im Kabinett, um ein etwas aus der Mode gekommenes Wort zu verwenden. Die Bereitschaft, die Interessen der Regierung über die eigenen Interessen, über diejenigen der jeweiligen Partei zu stellen. Da geht es eben auch um Emotionales.
Mannschaftsdienliches Spiel nennt man das im Fußball. Der Bundestrainer Löw hat es augenscheinlich verstanden, der deutschen Elf diesen Mannschaftsgeist einzuimpfen. Die Kanzlerin hat es bei ihrem Kabinett nicht geschafft; und man darf füglich zweifeln, ob sie es überhaupt ernsthaft versucht hat oder ob sie dazu in der Lage wäre.
Und es wäre nötig gewesen, von Anfang an. Denn dieser von vielen so lang ersehnten christlich-liberalen Koalition waren Konflikte in die Wiege gelegt. Alle drei Partner glaubten sich von Anfang an gegen die beiden anderen profilieren zu müssen.
Die CDU hatte zwar die Wahlen am 27. September 2010 zusammen mit der FDP gewonnen, aber selbst ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielt. Die CSU steckte schon seit der bayerischen Landtagswahl in einer Krise. Die FDP andererseits konnte sich mit 14,56 Prozent der Zweitstimmen zu Recht als der Sieger sehen.
Jeder der Partner wollte sich profilieren, die einen aus Schwäche, die anderen aus Stärke. Die Union wollte nicht zur Kenntnis nehmen, daß die FDP angesichts ihres Wahlergebnisses mehr Einfluß beanspruchen konnte als in den Kabinetten Adenauer oder Kohl. Die FDP wiederum überschätzte, in welchem Maß sie sich würde durchsetzen können; vor allem in der Finanzpolitik, wo sie freiwillig auf das Ressort verzichtet hatte. Auch hatte man sich in der Zeit entfremdet, in der die Union in der Regierung und die FDP in der Opposition gewesen war.
Hinzu kam Persönliches; vor allem das ständige Heineinregieren in das Kabinett durch den CSU-Chef Seehofer; ein Mann mit der Egomanie eines Franz-Josef Strauß, aber ohne dessen Intelligenz und Weitblick.
Und hinzu kamen eben die Krisen. Die Griechenland-Krise und die auf sie folgende Austeritäts-Politik in ganz Europa machten die Steuersenkungen, auf die sich die FDP so sehr festgelegt hatte, nicht mehr durchsetzbar. Eine Niederlage für die FDP, die ihre alten Kontrahenten von der CSU triumphieren ließ; siehe dazu CSU und FDP als Antipoden; ZR vom 18. 8. 2009.
Also wird in diesem Kabinett gestritten; und noch mehr außerhalb des Kabinetts übereinander hergezogen, off the record natürlich. Die Atmosphäre ist schlecht; und die Kanzlerin ist eben keine "Mutti" - wie ihr seltsam unpassender Spitzname lautet -, die in der Lage wäre, das emotionale Klima zu verbessern. Sie bleibt "kühl bis ins Herz hinan", was da auch komme.
Dabei ist es ja nur eine Frage des Klimas. Kein anderer derzeit sichtbarer Kandidat könnte den Job des Kanzlers besser machen als Angela Merkel; weder jemand innerhalb noch gar jemand außerhalb der Union. Die Ressorts sind nicht alle glänzend besetzt; aber das jetzige Bundeskabinett ist nicht schlechter, die Minister sind nicht weniger kompetent als in irgendeinem Kabinett zuvor. Es wird eine gute, vernünftige, der schwierigen Lage angemessene Politik gemacht.
Die Kanzlerin und ihre Minister haben keine Wahl, als die jetzige Krise durchzustehen und sich wie erwachsene Menschen zu benehmen. Seehofer wird man vergessen müssen; dieser Mann ist nicht berechenbar und kennt keine Skrupel. Alle anderen Beteiligten dürften die Substanz haben, nach dem jetzigen Frühsommer-Theater zu nicht nur solider, sondern auch solidarischer Arbeit zu finden.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Angela Merkel 2010. Vom Autor RudolfSimon unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported License. freigegeben. Bearbeitet.