18. Juni 2010

Ist die Hinrichtung durch Erschießen "barbarisch"? Nicht barbarischer als die Todesstrafe als solche

Im Staatsgefängnis von Utah ist in der vergangenen Nacht der Mörder Ronnie Lee Gardner durch Erschießen hingerichtet worden. Ein solcher Tod durch ein Erschießungskommando sei "barbarisch", hieß es dazu gestern in einem Artikel in "Spiegel-Online". Es handle sich um eine der "makabersten Episoden der jüngeren US-Justizgeschichte".

Wieso ist der Tod durch Erschießen eine besonders barbarische, eine besonders makabre Art, eine Hinrichtung zu vollziehen?

Die Todesstrafe als solche ist eine barbarische Strafe, und zwar im Wortsinn: Sie hat etwas Archaisches. Ein Relikt aus traditionellen Kulturen, aus voraufklärerischer Zeit. Fast zu allen Zeiten und in allen Kulturen hatte ihr Vollzug zwei charakteristische Merkmale:
  • Die Hinrichtung war grausam, oft unbeschreiblich grausam. Wer sich die abstoßenden Details ansehen will, der findet in der Wikipedia alle bekannten Exekutionsarten sorgfältig beschrieben. Ein Panoptikum des sozial akzeptierten, ja von Religion, Sitte und Gesetz gebotenen Sadismus. Ein cave auch in Bezug auf das, was Menschen Menschen antun können, sanktioniert durch die Normen ihrer Gesellschaft.

  • Der Vollzug der Todesstrafe war ein soziales Ereignis. Eine öffentliche Zeremonie, ein Schauspiel; manchmal etwas geradezu Festliches. Ein Event, um es in heutiger Sprache zu sagen. Zur sadistischen Hinrichtung von François Damiens in Paris im Jahr 1757, der ein (erfolgloses) Attentat auf König Ludwig XV versucht hatte, wurden die Fenster an der Place de Grève zu hohen Preisen vermietet.
  • Von diesem archaischen Charakter der Todesstrafe ist heute kaum etwas geblieben; auch wenn sie in zivilisatorisch zurückgebliebenen Ländern wie dem Iran, Saudi-Arabien und China noch öffentlich vollstreckt wird, und teilweise (wie beim Steinigen im Iran) auch noch mit großer Grausamkeit.

    Insgesamt hat sich aber doch die Menschlichkeit so weit durchgesetzt, daß man mit dem Delinquenten meist kurzen Prozeß macht. Und dort, wo seit der Aufklärung in zivilisierten Ländern noch von Staats wegen getötet wird, geschah und geschieht das durchweg unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit.

    Am konsequentesten war in dieser Hinsicht die DDR, in der Hinrichtungen sogar vor den Angehörigen geheimgehalten und in einem nachgerade heimtückischen Verfahren durchgeführt wurden. Das letzte Opfer dieser Methode der Exekution war Werner Teske, der 1981 in der Weise getötet wurde, daß der Henker plötzlich aus einer Tür kam, hinter ihn trat und ihn erschoß.

    Mit diesem "unerwarteten Nahschuß" setzte die DDR den Schlußpunkt unter eine Entwicklung, die seit der Aufklärung weg von der öffentlichen und grausamen Exekution geführt hat. Statt vor Publikum und als Ritual wird die Hinrichtung heimlich und überfallartig vollzogen. Es wird getötet, aber sozusagen aseptisch.



    In den USA hat diese Entwicklung etwas im Grunde Absurdes hervorgebracht: Eine Vorliebe für unblutige Hinrichtungsarten.

    Wenn man jemanden schnell und weitgehend schmerzlos töten möchte, kann man das durch Köpfen oder Erschießen tun. Aber dabei wird Blut vergossen. Grausam sind diese Hinrichtungsarten nicht für den Delinquenten, aber unter Umständen für denjenigen, der sich das ansehen muß.

    In den USA wird infolgedessen (mit wenigen Ausnahmen, wie eben jetzt in Utah) auf drei Arten hingerichtet, die zu einer schönen Leiche führen, einem heilen Körper des Toten: Vergasen, Elektro-Exekution, die Giftspritze.

    Alle drei Hinrichtungsverfahren sind mit einem - im Vergleich zum Erschießen, Köpfen, sogar zum Henken - langen Todeskampf verbunden; manchmal gelangen fürchterliche Einzelheiten an die Öffentlichkeit. Aber am Ende hat man eine schöne Leiche. Es ist die Perversion des Gedankens einer "humanen" Hinrichtung.

    Das Erschießen, wie gestern in Utah praktiziert, ist hingegegen - gegeben die Barbarei der Todesstrafe als solche - human. Die Schützen zielen auf das Herz; das Aufhören der Blutversorgung des Gehirns führt zu sofortigem Verlust des Bewußtseins. Es gibt keinen langen Todeskampf.

    Aber es fließt eben Blut. Das offenbar ist es, was den Autor des gestrigen Artikels in "Spiegel-Online", Marc Pitzke, veranlaßt hat, zu schreiben:
    Ronnie Lee Gardner, 49, wegen Mordes zum Tode verurteilt, soll in der Nacht zum Freitag seiner Strafe zugeführt werden - nach einem Vierteljahrhundert Warten in der Todeszelle. Das allein ist es aber nicht, was zu weltweitem Entsetzen geführt hat. Es ist die Art und Weise der Vollstreckung, einzigartig selbst für die USA: Gardner soll von fünf staatlich bestallten Scharfschützen erschossen werden.
    Es ist umgekehrt: Wenn etwas an dieser Hinrichtung keinen Anlaß zum Entsetzen gibt, dann ist es der Umstand, daß sie durch Erschießen vollzogen wurde.



    PS für Antiamerikaner: Die letzte Hinrichtung in Großbritannien fand 1964 statt, die letzte in Frankreich 1977. Der US-Staat Michigan schaffte die Todesstrafe 1847 ab.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Bearbeitete und aktualisierte Version eines Artikels in ZR vom Dezember 2006. Titelvignette: Cesare Beccaria. Zeitgenössischer Stich, bearbeitet. In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist.