2. Januar 2008

Marginalie: Seltsame Serien

Das erste Mal ist es mir in den achtziger Jahren aufgefallen. Da war infolge eines Chemie- Unfalls bei Basel Gift in den Rhein geraten, was großes Aufsehen erregte. In den Wochen danach häuften sich ähnliche Fälle. Es war wie verhext. Mal war der Rhein wieder betroffen, mal ein anderer Fluß.

Zwei seltsame Serien dieser Art haben wir zum Ausgang des Alten Jahres erlebt.

Erst häuften sich die Fälle von vernachlässigten, von verwahrlosten Kindern.

Und in der letzten Woche des Jahres passierte dasselbe mit Überfällen Jugendlicher auf ältere Menschen. Es begann mit dem Überfall von zwei jugendlichen Kriminellen auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn. Binnen einer Woche hat sich die Tat wiederholt, nur daß es diesmal nicht um Rauchen ging, sondern um zu laute Musik. In Berlin wurde ein Mann von Jugendlichen zusammengeschlagen, weil er diese gebeten hatte, keine Knallkörper auf den Bahnsteig zu werfen.



Waltet da ein geheimnisvolles Gesetz der Serie? Nein, natürlich nicht. Das Gesetz, das da waltet, regelt, was von den zahllosen Nachrichten, die täglich in der Lokalpresse und im Polizeibericht stehen, von den Agenturen übernommen wird und damit in die überregionalen Medien gelangt.

Natürlich wurden auch vor dem Sandoz-Unfall in den achtziger Jahren schon schädliche Abwässer in den Rhein eingeleitet. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen Eltern ihre Kinder vernachlässigen. Und selbstverständlich ist es bundesdeutscher Alltag, daß Jugendliche auf Erwachsene einprügeln, die sie wegen irgend etwas zur Rede stellen. Manchmal auch einfach nur so, weil sie Bock darauf haben.

Nur schaffen es diese Meldungen allenfalls vom Polizeibericht auf die Lokalseiten. In Großstädten meist sogar nur die des jeweiligen Stadtteils. Ich habe in unserem Lokalblatt Dutzende solche Berichte gelesen.

Wenn aber - aus welchen Gründen auch immer - ein solcher Vorfall bundesweit Aufsehen erregt, dann wird sozusagen der Filter der Nachrichtenagenturen entsprechend justiert. Sie vermuten jetzt ein Interesse an Meldungen dieser Art. Also übernehmen sie die entsprechenden Informationen von den Lokalseiten. Und schwupp! haben wir eine Häufung.

In solchen Fällen wird der Filter temporär so eingestellt, daß derartige Meldungen übernommen werden. Es gibt auch bestimmte gewissermaßen feste Einstellungen. Sobald bei Gewalttaten zum Beispiel ein rechtsextremer Hintergrund vermutet wird oder auch nur möglich ist, wird die Meldung sehr oft übernommen. Bei linksextremem Hintergrund ist das - nach meiner Beobachtung; ich kann mich irren - seltener der Fall. Und noch viel seltener, wenn es um gar nichts Politisches geht.



Um nicht mißverstanden zu werden: Dies ist eine Marginalie, nicht Zettels Meckerecke. Ich kritisiere dieses Verhalten der Agenturen gar nicht; sie tun damit nur ihren Job.

Aber der Leser sollte, wenn er sich sein Urteil bildet, schon ein wenig im Hinterkopf haben, wie selektiv das zustandekommt, was er morgens auf der Titelseite seiner Zeitung, was er bei "Spiegel Online" oder im Newsticker von "Welt Online" vorfindet.

Und unsere verantwortlichen Politiker sollten sich überlegen, ob jedesmal, wenn eine solche Sau durchs Dorf getrieben wird, gleich ein neues Gesetz nötig ist, das ihr Einfangen regelt.

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