31. Januar 2008

Zettels Meckerecke: Die Spitzen unserer Politik und die degradierten Zukunftsprobleme

"Unions- Spitzenpolitiker gegen Ausländer- Wahlkampf", meldete gestern die "Tagesschau" der ARD.

Ehrlich gesagt - für mich zählten Emine Demirbüken- Wegner, Adolf Sauerland, Fritz Schramma, Wolfgang Schuster, Wolfgang Reiniger, Yasar Bilgin, Dieter Oberndörfer, Bülent Arslan, Ismail Akpinar und Agül Özkan bisher nicht zu den Spitzenpolitikern der CDU. Die meisten dieser Namen habe ich heute zum ersten Mal bewußt gehört oder gelesen; einige sind mir als kommunale Größen bekannt.

Aber nun gut, was ein Spitzenpolitiker ist, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein, und zwei der siebzehn Autoren des Artikels in der aktuellen Ausgabe der "Zeit", auf den sich die "Tagesschau"- Meldung bezieht, wird man in der Tat der CDU-Spitze zurechnen können: Ole von Beust und Ruprecht Polenz. Andere, wie die Landesminister Laschet und Christa Stewens und die einst sehr populäre Rita Süssmuth gehören, sagen wir, ins breitere Umfeld der erweiterten CDU-Spitze.



Warum nennt die "Tagesschau" Leute aus der D-Prominenz wie Wolfgang Schuster und Ismail Akpinar "Unions- Spitzenpolitiker"? Warum tut es nicht schlicht "Unions- Politiker"?

Man darf vermuten, daß das mit dem Inhalt des Artikels zu tun hat, den sie gemeinsam verfaßt haben. Dieser Artikel ist ein Brief. Das geht daraus hervor, daß er eine Anrede trägt; nein, sogar gleich zwei: "Sehr geehrte Bürger!" heißt es in der Überschrift, und dann am Beginn des Textkorpus: "Sehr geehrte Damen und Herren". (Eine Grußfloskel am Schluß fehlt allerdings; insofern endet der Brief ein wenig unhöflich).

An wen wendet sich der Brief? An, so heißt es im Vorspann, "21 prominente Deutschtürken". Diese hatten eine Woche zuvor in einem Offenen Brief, der ebenfalls in der "Zeit" erschienen war, "Wahlkampfpopulismus" kritisiert und "ernsthafte Reaktionen auf eine fehlgeschlagene Integrationspolitik" gefordert.



Die Antwort der siebzehn Spitzenpolitiker ist überwiegend so abgefaßt, daß sie mir keinen Anlaß zu einer Meckerecke geben würde. Es stehen im Gegenteil Sätze darin, die ich als ausgesprochen vernünftig empfinde.

Zum Beispiel: "Gewalt und Kriminalität gedeihen, wo Respektlosigkeit, mangelnde Bildung und Erziehung herrschen."

Oder: "Wir brauchen politische Vorbilder, Erfolgsgeschichten, für die Sie stehen und die in dieser Klarheit sagen, dass abscheuliche Vorgänge wie in der Münchner U-Bahn 'die ganze Härte unserer bestehenden Gesetze' erfahren müssen."

Ja, richtig. Dazu konnte ich, als ich es las, nur innerlich nicken. ich glaube, es war ziemlich genau das, was Roland Koch im Wahlkampf gesagt hatte.

Aber dann stieß ich auf einen Satz, den ich so ungeheuerlich finde, daß ich darüber eigentlich nicht nur meckern, sondern mich über ihn von Herzen empören möchte. Dieser Satz lautet:

"Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf."

Welche Mißachtung des Wählers, welche Arroganz gegenüber dem Souverän drückt sich in diesem Satz aus!

Was "fundamental für die Zukunft unseres Landes" ist, das darf, so fordern es diese siebzehn Spitzenpolitiker, nicht zum Wahlkampfthema werden.

Nein, zu wenig. Es muß noch eins drauf. Nicht nur nicht im Wahlkampf debattiert werden darf nach Auffassung der siebzehn Spitzenpolitiker das, was die Zukunft unseres Landes fundamental betrifft. Sondern es darf dazu nicht degradiert werden.

Ist so etwas zu fassen? Was glauben sie, die siebzehn Spitzenpolitiker, welche Quittung für ihre Unverschämtheit ihnen Wähler in den USA oder in England dafür geben würden, daß sie es als "Degradierung" eines Themas bezeichnen, wenn es dort debattiert wird, wo allein die Politiker - Spitzen und Fußvolk - mit uns, ihren Wählern diskutieren: im Wahlkampf?



Ich kann mir die hochgezogenen Brauen, die abgesenkten Mundwinkel mancher vorstellen, die soweit gelesen haben. Populismus! höre ich sie rufen. Ja ist Ihnen denn nicht klar, Zettel, höre ich sie sagen, daß das Thema "Integration" eine vorsichtige, eine differenzierte Befassung verlangt? Während im Wahlkampf doch geklotzt, vereinfacht, emotionalisiert wird?

Ja, ist Ihnen denn nicht klar, Zettel, höre ich sie sagen, daß gerade wir Deutschen mit unserer Geschichte ...

An dieser Stelle höre ich nichts mehr. Vermutlich, weil ich mir die Ohren zugehalten habe. Als wenn die Geschichte des Totalitarismus in Deutschland, die ja nicht 1945, sondern erst 1989 zu Ende ging, es nicht ganz im Gegenteil verlangte, endlich mit der Bevormundung "unserer Menschen" Schluß zu machen.

Wie in aller Welt soll man denn demokratisches Selbstbewußtsein fördern, wenn Politiker in ihrer Arroganz die für unsere Zukunft fundamental wichtigen Themen der Enscheidung durch den Souverän entziehen wollen?

Wenn sie es als die Degradierung eines Themas betrachten, es mit uns, den Bürgern, im Wahlkampf zu diskutieren?

Sehen sie denn nicht, diese siebzehn Spitzenpolitiker, daß sie mit ihrer Forderung den Extremisten in die Hände arbeiten, die behaupten, in unserem Land hätten die Bürger nichts zu sagen, wenn es um die wichtigen Entscheidungen geht?



"Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf." Dieser eine, entlarvende Satz entwertet - soll ich sagen: degradiert? - in meinen Augen alles das, was in diesem Offenen Brief Vernünftiges steht. Es zeigt, welch Geistes Kind seine Autoren sind.

Eines undemokratischen Geistes sind sie, eines Geistes obrigkeitsstaatlichen Denkens, den man auf der Linken freilich erwartet. Überraschend fand ich allerdings, daß Unions- Politiker so argumentieren.

Trösten kann ich mich allenfalls damit, daß sie, diese Siebzehn, so ganz richtige Spitzenpolitiker ja vielleicht doch nicht sind.

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