2. Januar 2008

Marginalie: Barack, Hillary und der Caucus

Man kann es heute überall so oder so ähnlich lesen: "Wenige Tage vor der ersten Vorwahl im Bundesstaat Iowa hat der demokratische Anwärter Barack Obama in der Gunst der dortigen Wähler seine Konkurrentin Hillary Clinton überholt." Eine aktuelle Umfrage für den Des Moines Register gibt Obama 32 und Clinton nur 25 Prozent.

Gut möglich, daß Obama gewinnt. Aber besonders sicher ist das keineswegs. Und zwar nicht nur deshalb, weil Umfragen immer fehlerbehaftet sind und nur Wahrscheinlichkeits- Aussagen erlauben.

Sondern erstens ist die zitierte Umfrage die einzige, die einen solchen Vorsprung für Obama meldet. Eine ganz aktuelle, erst vor 15 Stunden publizierte Umfrage von Opinion Research für CNN sieht Clinton mit 32 Prozent knapp vor Obama mit 31 Prozent.

Und zweitens sind die Ergebnisse eines Caucus außerordentlich schwer zu prognostizieren. Zumal dann, wenn er so kompliziert abläuft wie bei den Demokraten in Iowa (bei den Republikanern ist es etwas anders):
  • Ein Caucus verläuft anders als ein Primary und ist ein für die USA sehr typisches Beispiel für Teilhabe des Bürgers am politischen Prozeß.

  • Teilnehmen dürfen eingeschriebene Demokraten, die am Wahltag mindestens 18 Jahre sind, aber auch Independents. Solche Wähler, die bisher für keine Partei registiert sind, können zum Caucus kommen, müssen sich dort aber registrieren lassen.

  • Das Prozedere ist folgendermaßen: In einem ersten Schritt werden die Namen der Kandidaten aufgerufen, und die Anwesenden bilden dann Gruppen der Anhänger jedes Kandidaten, indem sie sich in jeweils einem Bereich des Raums versammeln. Jetzt beginnt ein Debattieren von einer halben Stunde, in dem jede Gruppe versucht, Anwesende aus anderen Gruppen von ihrem Kandidaten zu überzeugen, also zu sich herüberzuziehen. Nach Ablauf der halben Stunde wird festgestellt, welche Kandidaten ein bestimmtes Quorum (das variiert) erreichen. Die anderen scheiden aus, und es gibt noch einmal dieselbe Prozedur des Debattierens. Wenn dann jeder Anwesende sich endgültig für eine Gruppe entschieden hat, wird ausgezählt.

  • Bei diesem Verfahren - die Washington Post weist heute darauf hin - hängt das Ergebnis kritisch davon ab, wieviele Independents an einem Caucus teilnehmen. Die für Obama günstigen Umfragedaten kommen dadurch zustande, daß er bei den Independents besonders viele Anhänger hat.

  • Wieviele von ihnen aber wirklich zu einem Caucus gehen, ist schwer zu prognostizieren. Und dann gibt es ja noch die eine Stunde "Überzeugungsarbeit", die alles ändern kann.
  • Sicher kann man also, wie so oft bei Umfragen, nur sagen, daß nichts sicher ist. Selbst ein Sieg von Edwards erscheint möglich, der in der Umfrage für den Des Moines Register nur einen Punkt hinter Clinton liegt.

    Übrigens ist der "Sieger" das nur in einem psychologischen Sinn. Bei dem morgigen Caucus werden nämlich nur Delegierte für Versammlungen auf County- Ebene gewählt, die ihrerseits Delegierte für eine Wahl- Versammlung auf der Ebene des ganzen Staates Iowa wählen. Und die entscheiden dann erst über die Delegierten zur National Convention, auf der der Kandidat für die Präsidentschaft gekürt wird.



    Ganz schön kompliziert, nicht wahr? Ich ärgere mich immer, wenn aus den vergleichsweise niedrigen Wahlbeteiligungen in den USA darauf geschlossen wird, daß dort die Demokratie nicht gut funktioniere. Tatsächlich gibt es - vielleicht mit Ausnahme der Schweiz - kaum ein Land auf der Welt, in dem "das Volk" so viel zu bestimmen hat wie in den USA.

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