9. Januar 2008

Ketzereien zum Irak (25): Eine Militäroperation, nicht in den Schlagzeilen

Erinnern Sie sich noch? Es ist noch kein Jahr her, da war der Irak in den täglichen Schlagzeilen. Kaum ein Tag, an dem nicht über Anschläge berichtet wurde. In den USA tobte vor einem Jahr eine heftige Diskussion über die Irak- Politik. In der Demokratischen Partei der USA, damals frisch als Mehrheits- Partei in beiden Häusern des Kongresses, häuften sich die Stimmen derer, die verlangten, so schnell wie möglich aus dem Irak abzuziehen. Über die Folgen eines solchen Abzugs für den Irak wurde damals wenig gesprochen.

Und heute? Der Irak ist noch nicht befriedet. Wenn es dort auch nie den von manchen behaupteten "Bürgerkrieg" gegeben hat, und trotz des außerordentlichen Erfolgs des Surge, halten sich immer noch zahlreiche bewaffnete Gruppen. Es gibt immer noch schiitische und sunnitische Milizen, und die El Kaida ist zwar entscheidend geschwächt, aber noch nicht besiegt.

Der Irak ist, dank eines US-Präsidenten, der unter immensem Druck Charakterstärke gezeigt hat, allerdings nicht mehr in Gefahr, tatsächlich in einen Bürgerkrieg abzugleiten. Aber daß er jetzt nachgerade aus den Schlagzeilen verschwindet, das ist genauso wenig berechtigt, wie es begründet gewesen war, daß vor einem Jahr von Medien wie "Spiegel Online" so gut wie jeder Autobomben- Anschlag gemeldet wurde, oft genug als Aufmacher.

In den vergangenen Tagen gab es zwei Meldungen zum Irak, die eigentlich in die Schlagzeilen gehörten. Die erste ist militärisch. Die zweite bezieht sich auf eine wissenschaftliche Untersuchung und was aus ihr geworden ist. Beide habe ich nicht nur nicht in den Schlagzeilen gefunden, sondern sie sind bisher von unseren Medien so gut wie übersehen worden.



Gestern wurde der Beginn einer neuen gemeinsam irakisch- amerikanischen Offensive gemeldet. Sie trägt den Namen Operation Phantom Phoenix und kann als die logische Folge des Erfolgs von Surge gesehen werden.

In Surge war es zunächst darum gegangen, der El Kaida ihre Hochburgen in Provinzen nördlich von Bagdad und damit ihr Erpressungs- Potential zu nehmen; als Voraussetzung dafür, daß die Bevölkerung für den Kampf gegen sie gewonnen werden konnte. Das ist weitgehend gelungen. Jetzt wird offenbar der nächste Schritt getan: Noch verbliebene Stützpunkte der El Kaida sollen beseitigt, ihre Fähigkeit, die Bevölkerung zu bedrohen, soll weitgehend zerstört werden:

"We will continue to pursue al-Qaida and other extremists wherever they attempt to take sanctuary. Iraqi citizens continue to reject extremist elements. We are determined not to allow these brutal elements to have respite anywhere in Iraq", sagte dazu der Kommandeur der Operation, Geneneralleutnant Ray Odierno. Man werde die El Kaida und andere Extremisten weiter verfolgen, wo immer sie auch Zuflucht suchten. Die Iraker würden die Extremisten ablehnen, und man werde diesen brutalen Elementen nicht erlauben, irgendwo im Irak Ruhe zu finden.

Das US-Militär schweigt sich über die Details aus, aber im Fach- Informationsdienst The Long War Journal ist einiges dazu zu lesen. Danach gibt es vermutlich vier geographische Schwerpunkte:

Erstens Stützpunkte der El Kaida in der Provinz Diyala, von denen Gewaltakte gegen Bagdad ausgegangen waren.

Sodann die Gegend um Kirkuk, wo die El Kaida noch Kämpfer habe, obwohl ihr Versuch, in der Region Mosul wieder Operationsbasen aufzubauen, gescheitert sei.

Eine weitere Zielregion sei die Gegend um Samarra, wo sich viele der verbliebenen Anführer der El Kaida aufhielten.

Und schließlich sei die Operation auch gegen vom Iran unterstützte schiitische Terroristen im Süden gerichtet, vor allem in den Städten Diwaniyah, Amarah, Al Kut und Basra.



Es handelt sich um Operationen von offenbar einem ganz anderen Charakter als der Beginn des Surge im vergangenen Jahr. Damals ging es darum, überhaupt erst einmal Provinzen wie Anbar und Diyala zurückzuerobern, in denen die El Kaida ihre Hochburgen gehabt hatte; und es ging darum, die Kämpfe zwischen konfessionellen Milizen in Bagdad entscheidend einzudämmen. Nachdem das gelungen ist, versucht man jetzt, die verbliebenen, wie das im Jargon des Militärs wohl heißt, "Widerstands- Nester" zu beseitigen.

Und - das ist das zweite Ziel der Aktion - es werden auch sogenannte non-lethal Ziele verfolgt. Wörtlich "nicht-tödliche Ziele". Damit sind Maßnahmen gemeint wie "to improve delivery of essential services, economic development and local governance capacity", die Verfügbarkeit von öffentlichen Dienstleistungen, die wirtschaftliche Entwicklung und die Fähigkeit zur kommunalen Selbstverwaltung zu verbessern.

Denn das ist ja einer der Gründe für den Erfolg des Surge: Nicht nur die militärische Strategie des Haltens einmal eroberter Bereiche, nicht nur die politische Strategie der Zusammenarbeit mit den örtlichen Führern, sondern vor allem auch die systematische Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung. Erst die Synergie zwischen diesen drei Entwicklungen ermöglichte, daß sich die Lage im Irak so drastisch verbessert hat.



Über den Fortgang der Offensive werde ich berichten, sobald Informationen vorliegen.

In der nächsten Folge dieser Serie wird es aber um die aktuelle wissenschaftliche Meldung gehen. Sie bezieht sich auf eine Untersuchung, die im Oktober 2006 großes Aufsehen erregte und deren Ergebnis gewesen war, daß die unfaßbare Zahl von 655.000 Irakern als Folge der Invasion ums Leben gekommen seien.

Jetzt haben US-Journalisten sorgfältig recherchiert, was es mit dieser Zahl und überhaupt mit dieser Untersuchung auf sich hat. Was sie herausgefunden haben - das wäre nun wahrlich Schlagzeilen wert. Weil mein Bericht darüber etwas länger werden wird, folgt er in einem getrennten Beitrag.

Links zu den bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.