19. Januar 2008

Nokias empörende Entscheidung. Nokias rationale Entscheidung

Die erste, die spontane und sozusagen natürlich Reaktion war Empörung.

Da gibt es in Bochum eine Nokia- Fabrik, die gewinnbringend arbeitet. Die Mitarbeiter haben sich, so erfuhr man es aus den ersten Straßen- Interviews, große Mühe gegeben, es Nokia recht zu machen; gerade in den vergangenen Monaten. Sie haben sich abgerackert für dieses Unternehmen, so ähnlich sagte es eine Frau.

Und was macht dieses Unternehmen, dem diese gutgehende Fabrik mit ihren motivierten Mitarbeitern gehört? Es macht sie zu, diese Fabrik. Es kümmert sich einen Dreck um die menschlichen Tragödien, die es damit bewirkt. Ex und hopp. So geht man doch nicht mit Menschen um.

Das war die erste Reaktion, auch bei mir. Wut im Bauch. Eine Wut, die sich noch steigerte, als Weiteres herauskam.

Heraus kamen die Millionen- Subventionen, für die das Unternehmen die Hand aufgehalten hatte, nur um sich vom Acker zu machen, kaum daß die mit der Gewährung dieser Fördermittel verknüpfte Bindung erloschen war.

Heraus kam, daß man die Produktion in einen rumänischen Industriepark zu verlagern gedenke. Natürlich auch dieser wieder subventioniert. Bezahlt von uns, den Steuerzahlern, die wir den unersättlichen Brüsseler Subventions- Topf mit unserem sauer verdienten Geld füllen; ihn ständig nachfüllen müssen, damit die Euros aus ihm herausquellen können wie der Brei aus der Mühle im Märchen.

Und das Ganze wurde auch noch von einem Sprecher von Nokia, Typ Herrenreiter, in einem schneidenden Statement mitgeteilt, dessen Härte noch durch seinen finnischen Akzent unterstrichen wurde. Im Wortsinn sang- und klanglos mitgeteilt wurde das von ihm. So ungefähr wird es sich angehört haben, wenn die Opfer Stalins ihr Todesurteil vorgelesen bekamen.



Sie finden, lieber Leser, den Stil, in dem ich das beschrieben habe, unangemessen ironisch? Nein, ironisch soll er eigentlich nicht klingen. Worauf ich hinweisen möchte, das ist die Fülle an, sagen wir, Grund- Konstellationen, an nachgerade archetypischen Situationen, die da zusammenkommen.

Man könnte sagen, daß da Klischees erfüllt werden. Ich würde es weniger negativ ausdrücken: Es sind Frames, es sind Scripts, es sind Templates, die aktiviert werden; alles Begriffe, die man mit "Schema" übersetzen kann.

Und es sind nicht nur kognitive Schemata, sondern diese Schemata sind noch dazu reich an Emotionen.

Da werden Schwächere von Stärkeren aufs Kreuz gelegt; da wird all das ehrliche Bemühen mit Undank belohnt. Das weckt Mitleid, erzeugt Hilfsbereitschaft.

Da zeigen die Krupps brutalstmöglich ihre Macht über die Krauses. Klassenkampf- Phantasien werden wach.

Da tritt dieser Finne auf wie ein despotischer Aristokrat im "Zorro"- Film; es empört sich der Zorn der Ohnmächtigen gegen diese Arroganz der Macht.

Da entscheiden Fremde, die sich keinen Deut für unsere nationalen deutschen Interessen interessieren; wir scharen uns zusammen gegen diese Anderen, schließen die Reihen.

Und, das Bild der Bilder, von biblischer Kraft und Archaik: Da sind Heuschrecken über uns hergefallen, haben gefressen, was sie kriegen konnten, und ziehen jetzt weiter, um andernorts dem einzigen zu frönen, was sie können, nämlich fressen, verdauen und weiterfressen, bis alles kahl ist.



Ich will überhaupt nicht erörtern, wieweit diese Schemata in Bezug auf den aktuellen Fall zutreffen oder gar "wahr" sind. Das ist bei solchen kognitiven Schemata immer schwer zu sagen, weil sie einerseits ja nur dann aktiviert werden, wenn sie auf eine Situation in gewissem Umfang passen, und weil sie andererseits mehr enthalten als diese Situation selbst; weil sie über diese hinausgehen, sie anreichern, sie interpretieren. Sie repräsentieren mehr und anderes als die Wirklichkeit, aber sie sind auch nicht losgelöst von der Wirklichkeit.

Wieviel Wirklichkeit sie im jetzigen Fall enthalten und wieviel an Zutaten, das will ich, wie gesagt, unerörtert lassen. Ich möchte lediglich den bescheidenen Vorschlag machen, sie einmal, wenn man sich ihrer Wirksamkeit bewußt geworden ist, beiseitezuschieben, sie sozusagen zu suspendieren und die Situation nüchtern zu betrachten.

Dann sind, so scheint mir, einige Fakten unschwer zu erkennen:
  • Erstens, Nokia ist für die im Zusammenhang mit den Subventionen vereinbarte Zeit in Bochum geblieben. Danach war es frei, einen neuen Standort zu wählen.

  • Frau Thoben, Wirtschaftsministerin in NRW, hat gestern gesagt, Nokia habe Vereinbarungen nicht eingehalten, was die Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze anging. Das hat aber, wenn es denn stimmt, nichts mit der jetzigen Standort- Entscheidung zu tun. Frau Thoben hätte es schon früher rügen können und müssen. Es jetzt dem Konzern vorzuwerfen erscheint wie eine hilflose Straf- Aktion.

  • Zweitens, Investitionsentscheidungen sind keine moralischen, sondern kaufmännische Entscheidungen. Ein Vorstand würde gegen seine Pflichten verstoßen, wenn er einen unter kaufmännischem Gesichtspunkt ungünstigeren Standort einem günstigeren vorzöge.

  • Drittens, Handys werden in Deutschland, sieht man von dieser bisherigen Ausnahme Nokia in Bochum ab, so gut wie nicht mehr gefertigt. Ebenso, wie bei uns keine DVD-Player hergestellt werden, wie bis auf wenige hochwertige Nischenprodukte die gesamte Unterhaltungs- Elektronik dort produziert wird, wo die Arbeitskraft ungleich billiger ist als bei uns; also in asiatischen und osteuropäischen Ländern.

  • Mittels Subventionen eine deutsche Handy-Produktion am Leben zu erhalten, konnte vielleicht noch sinnvoll erscheinen, bevor Siemens das Handtuch warf. Im Nachhinein war es eine Fehlentscheidung; und Nokia macht jetzt nichts anderes, als sie zu korrigieren.

  • Man kann nun viertens, wie es die Kommunisten und die sogenannten Globalisierungsgegner oder -kritiker tun, das alles kritisieren, es als Auswüchse eines inhumanen Kapitalismus geißeln usw. Rezepte, wie man es denn anders machen könnte, lassen diese Kritiker vermissen; außer der Weltrevolution. Man kann ja den Rumänen oder den Chinesen nicht Löhne auf unserem Niveau verordnen.
  • Solange wir im Kapitalismus leben, wird die Globalisierung, wird im Zeitalter der globalen Kommunikation und des globalen Verkehrs das Entstehen einer Weltwirtschaft, das Entstehen großer Wirtschaftsräume wie der EU so wenig zu verhindern sein, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Eisenbahn und des Telegraphen, das Entstehen nationaler Wirtschaftsräume in Europa hätte nach Belieben unterbunden werden können.

    Erstmals können Länder der früher so genannten "Dritten Welt" und können Länder, die in kommunistischer Armut und Unterentwicklung gelebt hatten, ähnlich hochwertige Güter herstellen wie wir. Sie können sich, wie es immer der Traum der "Dritte- Welt- Bewegung" gewesen ist, damit aus ihrer Armut befreien.

    Sie können es nur tun, indem sie ihren einzigen Vorteil, das niedrige Lohnniveau, ausschöpfen. Die jetzige Entscheidung von Nokia reagiert auf diese Situation.



    Also, alles in Butter? Nein, keineswegs.

    Künstlich am Leben halten kann man einen Standort nicht, den das Unternehmen selbst nicht erhalten will. Aber man kann sehr viel dafür tun, daß den Betroffenen das Ende ihrer bisherigen Arbeitsstätte so wenig schmerzhaft wie möglich wird. Man kann und muß über Sozialpläne verhandeln, über Abfindungen, über Kredithilfen und andere Hilfen für die Betroffenen. Auf kommunaler Ebene muß natürlich geprüft werden, welche anderen Unternehmen man ansiedeln kann.

    Das alles geschieht in Deutschland üblicherweise, wenn eine Schließung droht.

    Und es ist bei uns noch etwas anderes üblich, woran sich der internationale Konzern Nokia nun allerdings überhaupt nicht gehalten hat: Wenn ein Unternehmen eine Schließung plant, dann knallt es sie nicht auf den Tisch, sondern es deutet erst einmal eine solche Möglichkeit an. Dann wird verhandelt. Die Gewerkschaften, die zuständige Landesregierung könne zeigen, wie sehr sie sich für die Interessen der Menschen einsetzen. Die Betroffenen können "etwas tun", indem sie Reden anhören, Plakate und Fahnen schwingen, vielleicht gar streiken.

    Das alles ändert zwar fast nie etwas an der Schließung, die ja aufgrund rationaler Kriterien erfolgt. Aber es macht sie doch psychologisch erträglicher. Und es bringt manchmal das Unternehmen in eine Situation, das eine oder andere Zugeständnis nachzuschieben, was Abfindungen usw. angeht.

    Dieses Ritual hat Nokia schnöde verweigert. Ökonomisch kann man den Verantwortlichen des Konzerns nichts vorwerfen. Aber psychologisch haben sie sich wie gefühlskalte Psychopathen aufgeführt.

    Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.