14. Januar 2008

Zettels Meckerecke: Das elende "Dschungelcamp" und das Elend des deutschen Feuilletons

"Trash" heißt in der ursprünglichen Wortbedeutung Müll oder Abfall; im übertragenen Sinn Schund oder etwas Schmutziges. Das Wort wird aber gern unübersetzt ins Deutsche übernommen; vor allem in den Feuilletons, in Filmkritiken und dergleichen. Dann verliert es meist seine im Englischen rein negative Bedeutung und bekommt etwas Schillerndes.

Es ist nachgerade Mode geworden, sich dazu zu bekennen, daß man Trash in einem gewissen Sinn mag, daß man schmutzige, gemeine, widerwärtige Filme oder Sendungen durchaus auf ihre Art schätze. Immerhin seien sie "ehrlich". Ohne falsche Rücksichtnahme, ohne einen uneingelösten künstlerischen Anspruch. Wohl gar "befreiend".

Kurz, der Schund wird, sobald man ihn Trash nennt, hoffähig gemacht.

Manchmal wird er gar ästhetisiert. Die Ästhetik des Häßlichen, Baudelaire, Benn, Sie wissen schon. Manchmal will der Autor, der sich zu ihm bekennt, auch nur zeigen, daß er kein verklemmter Mucker ist.

Oh nein, er hat seinen Spaß am Primitiven, nicht wahr, wie wir ja alle, und ist stolz darauf, es zuzugeben. Da soll ihm mal einer kommen und den moralischen Zeigefinger heben. Der ist wohl noch nicht in der Postmoderne angekommen, dieser Spaßverderber.



RTL sendet im Augenblick die dritte Staffel einer Serie namens "Ich bin ein Star, holt mich hier raus". Das, was da geboten wird, als widerwärtigen Schund zu bezeichnen wäre ein unverdientes Lob. Es ist, wenn denn dieses Wort noch einen Sinn hat, inhuman.

Menschen - erwachsene Menschen, keine abenteuergeilen Jugendlichen - werden dazu gebracht, irgendwelche schwachsinnigen "Prüfungen" zu bestehen. Entscheidend daran ist, daß sie etwas Abstoßendes tun müssen - Insekten essen, sich von Straußen behacken lassen; dergleichen.

Dinge also, die Jugendliche manchmal Schwächeren abverlangen. Man kennt das bei Asozialen, bei Rechtsextremen. Man weiß, daß es solche sadistischen Rituale beim Militär gibt, in manchen Internaten, und führt es auf mangelnde Erziehung zurück.

Das, was in solchen Milieus unter Jugendlichen verbotenerweise geschieht, das also tun jetzt Erwachsene auf Anweisung der Produzenten und der Regie dieser Sendereihe. Freiwillig, natürlich; sie können ja jederzeit gehen.

Warum tun sie es? Ich weiß es nicht; niemand weiß es vermutlich. Jedenfalls sind die Medien randvoll mit Hinweisen darauf, daß es sich um arme Schweine handelt - um einstige Stars, die schon lange keine mehr sind; um Möchtegern- Stars, die nie einer geworden sind; um Leute, die, indem sie sich erniedrigen lassen, auf Publicity hoffen, vielleicht auch auf das Geld, das sie brauchen, weil sie eben kein Star mehr sind oder nie einer wurden.

Das ist alles traurig genug. Es ist abstoßend, daß ein TV-Sender es bringt; es ist erbärmlich, daß viele Menschen sich offenbar - die Quoten scheinen gut zu sein - an diesen infantil- sadistischen Bildern delektieren.

Aber nun gut, daß so etwas gesendet werden darf, ist der Preis der Freiheit. Die einzige angemessene Reaktion darauf scheint mir zu sein, sich nicht weiter darum zu kümmern; so, wie man ja auch um die Schmierereien an den Wänden öffentlicher Toiletten kein Aufhebens macht.

Aber da haben wir ja die Ästhetisierung des Schmutzes, da haben wir die angeblich befreiende Wirkung des Trash.

Da haben wir ja noch das deutsche Feuilleton. Und deshalb kümmere ich mich doch darum. Nicht um diese erbärmliche Sendung, sondern um die Reaktion darauf, die mir nicht weniger erbärmlich vorkommt.



Es gibt diese Reaktion auf diversen Ebenen.

Ganz unten ist, wie könnte es anders sein, die Ebene, für die "Spiegel- Online" repräsentativ ist. Dessen Autor Dennis Kayser tut so, als reagiere er auf diese Sendung exakt so, wie es deren Macher vorgesehen haben: "Das Treiben der ins Urwald-Camp gesperrten C-Promis verschafft dem Betrachter ein schönes Gefühl der eigenen geistigen Überlegenheit."

Die führt er uns dann vor, seine geistige Überlegenheit, der Dennis Kayser. Zum Beispiel so:
"Oposium? Is dat 'n Tier?", wandte sich Ex- Nationaltorhüter Eike Immel etwa ratlos an seine Mitstreiter, als es um die Fleischration fürs Abendessen ging.
Tätärä!
Julia "Ich heirate eine Familie" Biedermann, die nach erfolgloser Kür im Gummikatapult wiederholt den Urwaldboden küsste statt eine Schatztruhe zu ergattern, wollte ihre, wie sie sagte: "Bumserfahrungen" ausgerechnet an Dschungelkollegin und Ex- Erotik- Aktrice Michaela Schaffrath weitergeben.
Tätärä! Tätärä! Tätärä!
Barbara Herzsprung, die zwar wenig redete, sich allerdings aus unerklärlichen Gründen das Dessert ins Gesicht schmierte. Oder Björn Hergen Schimpf, meist brabbelnd in sich selbst versunken.
Ein dreifach donnerndes Helau!



Nun gut, "Spiegel-Online" stellvertretend für das deutsche Feuilleton zu zitieren, wäre so unfair, als würde man die Pommes- Bude von Heine Schmitz in Herne als repräsentativ für die deutsche Gastronomie betrachten.

Gehen wir also höher. Gehen wir gleich ganz hoch. Gehen wir ins Feuilleton der FAZ. Dort treffen wir auf das, was Stefan Niggemeier zum "Dschungelcamp" zu sagen hat.

Zuerst könnte man meinen, auch Niggemeier spiele nur den TV-Gucker aus der Zielgruppe, der sich am "schönen Gefühl der eigenen geistigen Überlegenheit" hochzieht. Jedenfalls lassen Sätze wie dieser das vermuten:
Die, nun ja, Charakterdarstellerin Michaela Schaffrath heulte zum Abschied, die Sängerin Lisa Bund, als sie über einem Abgrund baumelte, weil sie von einer dünnen Brücke gefallen war, und Sänger Ross Anthony heulte am nachhaltigsten, zuletzt, weil ihm in der Nacht am Lagerfeuer alles zusetzte: die Feuchtigkeit, der Dreck, die Viecher.
Ja, da schlägt das Herz doch höher, wenn Menschen so weit gebracht werden, daß sie heulen. Und wenn man sich das mit dem schönen Gefühl geistiger Überlegenheit, vor der Glotze hockend, reinziehen kann.

So weit hat es Niggemeier noch nicht über das Niveau von Dennis Kayser geschafft; für die FAZ also zu wenig. Drum geht's jetzt nach oben, aber steil:
Man kann dieses Verächtlichmachen der Mitwirkenden, dieses Hochfest der Häme natürlich abstoßend finden. Aber es hat etwas sehr befreiendes und ehrliches, auf das im heutigen Plastikfernsehen übliche Geheuchel zu verzichten. Das Angenehme ist: Es trifft keine Unschuldigen, und der Spott ist gerade einmal ein kleiner Ausgleich dafür, dass der Großteil dieser Leute sonst jeden Tag in irgendwelchen Shows und Magazinen sehr ernst genommen wird.
Was nun allerdings schlicht die Unwahrheit ist; ein paar Zeilen zuvor hatte Niggemeier noch geschrieben: "Es ist nicht schlimm, wenn man die meisten Namen der "Stars" (...) noch nie gehört hat". Es sind eben gerade nicht diejenigen, die jeden Tag in Shows und Magazinen ernst genommen werden; sonst würden sie sich ja nicht dieser Erniedrigung unterziehen.

Aber Niggemeier hat noch einen Trumpf im Ärmel. Nicht nur findet er offenbar, daß es erfolglosen Schauspielern und Entertainern recht geschieht, wenn sie buchstäblich wie der letzte Dreck behandelt werden - er erfreut sich auch noch daran, auf wie hohem Niveau das geschieht:
Der Vorwurf des "Trash"-Fernsehens führt ohnehin in die Irre, denn kaum eine Show wird so professionell und gleichzeitig liebevoll produziert wie diese.
Liebevoll! Wer hätte das gedacht.

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