21. Januar 2008

Zettels Meckerecke: Ein Gesetzentwurf von ungewöhnlicher Unverfrorenheit

In den Parteien, auch denen der Koalition, gab es bisher unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man die Arbeitslosigkeit am besten verringert.

Jetzt haben sie aber ein Rezept entdeckt, das sie gemeinsam tragen, jedenfalls die Parteien der Koalition. Das betreffende Gesetz, schreibt Nico Fickinger heute in der FAZ, soll Ende der Woche im Bundestag verabschiedet werden. Heute findet dazu eine Anhörung von Fachleuten statt.

Wie sieht ein Gesetz aus, von dem man mit Sicherheit erwarten kann, daß es die Arbeitslosigkeit senken wird? Elementary, my dear Watson. Es ist ein Gesetz, das Arbeitslose zu Nicht- Arbeitslosen ernennt.

Wird die jetzige Vorlage Gesetz, dann werden "mindestens 58 Jahre alte Erwerbslose künftig nicht mehr als arbeitslos gelten, falls ihnen innerhalb von zwölf Monaten nach Beginn des Leistungsbezugs keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wurde", schreibt Fickinger.

Das ist ungefähr so, als würde ein Unternehmen seinen Schuldenstand verringern, indem es einfach bestimmte Schulden - sagen wir, die Steurschulden - aus den Verbindlichkeiten herausnimmt.



Sie können sich nicht vorstellen, daß Union und SPD tatsächlich die Unverfrorenheit haben, auf diese Weise die Arbeitslosigkeits- Statistik zu verbessern? Lesen Sie den Artikel in der FAZ!

Dieses geplante Gesetz ist ein Skandal, und zwar auf zwei Ebenen.

Erstens wird eine bestimmte Altersgruppe diskriminiert. Fickinger zitiert dazu aus der Stellungnahme des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschungs (IAB) für die heutige Anhörung:
Nach Meinung des IAB verschlechtert die neue Arbeitslosendefinition die Position der mindestens 58 Jahre alten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, da sie "nach Ablauf von 12 Monaten ohne Arbeitsangebot automatisch nicht mehr als arbeitslos gelten sollen, selbst wenn sie erwerbsbereit sind und sich weiterhin arbeitslos melden wollen, zum Beispiel um ihre Chancen auf Förderung zu wahren".
Ausgerechnet die SPD, die sich mit der Mindestlohn- Kampagne gerade einmal wieder als die Partei der Arbeitnehmer in Erinerung zu bringen trachtet, will es älteren Arbeitslosen zumuten, als nicht arbeitslos eingestuft zu werden, auch wenn sie verzweifelt nach Arbeit suchen. Man kann sich vorstellen, wie motivierend es auf einen 58jährigen Arbeitssuchenden wirkt, wenn ihm künftig von Amts wegen mitgeteilt werden wird, er sei gar nicht arbeitslos, weil er ohnehin kein Chance habe, noch Arbeit zu finden.

Mit dem Wort "menschenverachtend" wird in unserem politischen Diskurs oft leichtfertig umgegegangen; hier scheint es mir am Platze zu sein.



Das ist der Skandal auf der sozialpolitischen Ebene. Auf der Ebene der Arbeitsmarkt- Politik besteht der Skandal darin, daß der Begriff der Arbeitslosigkeit neu bestimmt werden soll.

Nicht mehr, wer keine Arbeit hat, ist nach dem Gesetzesentwurf arbeitslos, sondern nur noch, wer keine Arbeit hat, obwohl Arbeit für ihn da ist.

Das ist ungefähr so, als würde man als unterernährt nur noch Menschen bezeichnen, die eine hinreichende Aussicht haben, demnächst ausreichend Nahrung angeboten zu bekommen.

Die Chuzpe, die hinter eine solchen Umdefinition steckt, ist kaum zu fassen. Wenn es zu wenig angebotene Arbeitsplatze gibt, dann reduziert sich nach dieser Defintion wie von Zauberhand auch die Zahl der Arbeitslosen!

Die Bundesanstalt für Arbeit stellt das unverblümt fest: Trete das Gesetz in Kraft, dann werde letztlich "das Fehlen von Arbeitsplätzen zum Kriterium des Ausschlusses aus der Zählung als Arbeitslose", zitiert Fickinger aus ihrer Stellungnahme.

Noch soll das nur für die Gruppe der über 58jährigen gelten. Aber ist erst einmal die Definition von Arbeitslosigkeit so geändert, daß der Arbeitslose, dem keine Arbeit angeboten wird, gar nicht arbeitslos ist, dann kann man sie ja leicht generell anwenden, diese Definition.

Man brauchte dann nur noch darauf zu hoffen, daß in Deutschland auch allen anderen Altersgruppen so wenige Arbeitsplätze angeboten werden wie jetzt den über 58jährigen. Und schon würden wir weltweit an der Spitze der Vollbeschäftigung stehen, mit einer Arbeitslosigkeit von nahe null Prozent.

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