3. November 2007

Marginalie: Wie konservativ sind die US-Amerikaner?

Was "konservativ" in den USA bedeutet - darüber herrschen in Deutschland oft seltsame Vorstellungen. Die klassischen Konservativen à la Barry Goldwater und Ronald Reagan werden mit den intellektuellen Neocons in einen Topf geworfen, ja mit christlichen Fundamentalisten und Evolutions- Leugnern. Noch ein wenig texanische Cowboy- Folklore dazu, dann dreimal umrühren - und fertig ist das Bild der Bush- Administration und ihrer Wähler, das hier in vielen Köpfen nistet.

Tatsächlich gibt es eine Grundüberzeugung aller amerikanischer Konservativer, die in Europa überhaupt nicht zu den definierenden Merkmalen von "konservativ" gehört: Mißtrauen gegenüber Regierungen; Mißtrauen vor allem gegenüber Regierungen, die weit weg sind von den Regierten; Mißtrauen also ganz besonders gegenüber dem Federal Government, dem Big Government, der Bundesregierung in Washington also.

Darin sind sich in den USA alle Konservativen einig. Auch wenn die einen fundamentalistische Christen und die anderen jüdische Atheisten sind, wenn die einen Isolationisten sind und die anderen Globalisierer mit dem Ziel, Demokratie und Kapitalismus weltweit auszubreiten.



In der Los Angeles Times hat sich vor ein paar Tagen Jonah Goldberg, einer meiner Lieblings- Kolumnisten, über den Konservativsmus der Amerikaner Gedanken gemacht.

Es gebe viele in den USA, meint er, die sich als Konservative betrachteten. Allerdings, "... the ideal conservative program of a federal government strictly limited to constitutional responsibilities and nothing else would fare miserably at the polls. Almost as badly as an ideal socialist program." Das ideale konservative Programm einer Bundesregierung, die strikt auf das beschränkt ist, wofür ihr die Verfassung die Verantwortung übertragen hat, würde an den Wahlurnen miserabel abschneiden. Nicht besser als ein ideales sozialistisches Programm.

Weil nämlich die Amerikaner, sagt Goldberg und zitiert dazu eine klassische Untersuchung aus dem Jahr 1964, "ideologisch konservativ, aber in der Praxis sozialdemokratisch" seien. (Was ich mit "sozialdemokratisch" übersetzt habe, heißt in den USA liberal, ist aber das Gegenteil dessen, was wir mit "liberal" meinen).

Damals habe der Erzkonservative Barry Goldwater ideologisch viel Zustimmung erfahren. Aber wenn es ums Praktische ging, wollte doch kaum jemand auf seine Sozialversicherung verzichten oder als Farmer auf staatliche Subventionen. "As long as Goldwater could talk ideology alone, he was high, wide and handsome. But the moment he discussed issues and programs, he was finished", schrieben die Autoren der Untersuchung - solange Goldwater von Ideologischem redete, war er der Größte, der Schönste, der Beste. Aber sobald er strittige Themen und Programme ansprach, war es aus. In ganzen sechs Staaten konnte er 1964 die Mehrheit gewinnen.

Auch der konservative Amerikaner schätzt die kleinen und großen persönlichen Wohltaten, die sozialdemkratische Regierungen ausschütten. Und so wächst und wächst die Macht der Bundesregierung - nicht aufgrund eines sozialistischen Programms, sondern durch viele kleine Schritte. Sagt Goldberg. Es kommt mir plausibel vor. Und auch nur allzu bekannt.

Goldberg zitiert dazu William Voegeli: "Liberals sell the welfare state one brick at a time, deflecting inquiries about the size and cost of the palace they're building". Die Sozialdemokraten verkaufen den Wohlfahrtsstaat einen Baustein nach nach dem anderen. Dadurch biegen sie Fragen nach der Größe und den Kosten des Palasts ab, den sie bauen.

Die Konservativen dagegen stecken in einem Dilemma. Sie wollen weniger Regierung für alle - während die meisten Amerikaner (auch die meisten Republikaner) weniger Regierung für alle wollen - nur nicht für sich selbst.

Was tun? Goldberg meint, die Konservativen müßten es den Sozialdemokraten gleichtun, nur umgekehrt - Steine herausbrechen, wo immer einer locker ist.

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