3. November 2007

Harald Schmidt, Pocher. Lachen als punktuelles Ereignis. Das Elend des Possenreißers

Der Possenreißer ist elend dran. Nicht zu Beginn seiner Karriere. Da ist er frisch, da findet er seinen Stil, da funkelt sein Humor. Aber nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren geht es ihm schlecht und immer schlechter, dem Possenreißer. Er ist am Ende mit seinem Witz. Er hat immer weniger zu lachen.



Lachen ist ein gewissermaßen punktuelles Ereignis. Wir lachen gern, die meisten von uns jedenfalls. Aber wir mögen es nicht, zum Dauerlachen animiert zu werden. So lustig ist die Welt nun auch wieder nicht. So zum Lachen aufgelegt ist der Primat nun auch wieder nicht.

Gute Komödiendichter wissen das. Sie reihen nicht Witz an Witz, sondern es gibt anrührende, ruhige, manchmal - wie bei Shakespeare - sogar traurige Abschnitte, bevor uns der nächste Witz geboten wird.

Wer eine Komödie als ein Dauerfeuer von Witzen konzipiert, wie das zB Oscar Wilde getan hat, der überfordert unsere Freude am Lachen. Aus dem vergnügten Wiehern wird dann ein müdes Lächeln. Die Lust schlägt um in Langeweile, im Extremfall in Abwehr.

Kaum ein menschliches Verhalten habituiert so schnell wie das Lachen, dieses rhythmische Ausstoßen von Luft, das mit der Ausschüttung von Dopaminen einhergeht und also mit Lustgefühl. Humor, Komik, Witz sind nur dann vergnüglich, wenn sie etwas Vorübergehendes sind. Eben etwas Punktuelles.

Die Dauer einer rheinischen Karnevals-Sitzung - rund drei Stunden, wenn ich recht unterrichtet bin - markiert so ungefähr die äußerste zeitliche Grenze dessen, was wir an sozusagen tonischer Heiterkeit hinbekommen. In der Regel ist das Lachen aber eher ein viel phasischeres Ereignis.

Ein Roman kann tausend Seiten haben, und wir genießen jede davon. Eine Witz- Sammlung von hundert oder zweihundert Seiten ist schon zu viel. Jedenfalls, wenn man sie fortlaufend lesen würde wie einen Roman. Da bliebe uns bald das Lachen im Hals stecken.



Und nun der Possenreißer. Der Conferencier, der Humorist, der Entertainer. Heute meist Comedian genannt.

Er tritt auf die Bühne, er betritt sein Studio und ist lustig. Fünf Jahre lang, zehn Jahre lang. Dann hat er so ungefähr jeden denkbaren Witz gemacht, dann kennt er jede Reaktion des Publikums.

So sehr viele gute Witze gibt es ja nicht. Man kann sie abwandeln, man kann sie aktualisieren. Aber richtig neue wird man nur selten finden. Das gilt auch für Situationskomik, Parodie, Clowneskes.

Also brennt er aus, der Possenreißer, schneller als jeder Lehrer. Es gibt Possenreißer, die das stoisch ertragen. Die Conferenciers und Humoristen, die "Alleinunterhalter", die ich in meiner Jugend kennengelernt habe, imitierten ungerührt Theo Lingen und Heinz Rühmann, wie sie es in den dreißiger und vierziger Jahren gelernt hatten. Oder sie erzählten Witze vom Kaliber: Was ist paradox? - Wenn ein Goethe- Denkmal durch die Bäume schillert. Haha.

Die besseren Komiker und Humoristen, die sehr guten erst recht, versuchen aber in der Regel den Ausbruch. Woody Allen hatte als Witze- Autor begonnen. Er ersann Witze und verkaufte sie. Seine ersten Filme waren lustig wie nur die von Charlie Chaplin, Buster Keaton und Laurel / Hardy. Dann begann er plötzlich, ernsthafte, ja theologische Filme zu machen, sehr zur Verstörung vieler seiner Fans. Jetzt hat er eine schöne, eine wunderbare Balance gefunden.

Wie auch Robert Gernhardt sie fand, der als zeichnender und schreibender Spaßmacher begann und der auch dann noch einen heiteren, ironisch gebrochenen Grundton hatte, als er empfindsame, als er nachgerade philosophische Lyrik schrieb. Und dessen Malerei - ich halte ihn für einen der großen Maler des 20. Jahrhunderts - in ihrem Spiel mit Licht und Schatten, mit Spiegelung und Brechung die Ironie seiner frühen, spaßigen Arbeiten weiterführte.



Nun also Harald Schmidt. Der vermutlich, neben Olli Dittrich, intelligenteste der deutschen Comedians; wenn man ihn denn einen nennen darf. Ein Mann auch mit schauspielerischen Qualitäten, wie sie kaum einer seiner Kollegen hat. Ein begnadeter Stimmenimitator, ein glänzendere Parodist.

Sein Medium ist das Fernsehen. Als Schauspieler war er (bis vor kurzem in Bochum) gar nicht, als Kabarettist war er mäßig erfolgreich. Er blühte auf, als er nicht mehr gelernte Texte vortragen mußte, sondern als er improvisieren durfte. Das konnte er, da brillierte er mit Intelligenz, Schlagfertigkeit, Witz. Ähnlich wie einst Hans- Joachim Kulenkampff, auch er ein mäßiger Schauspieler, aber ein genial improvisierender Showmaster. Auch er mit einer Ausnahmestellung unter den Showmastern, wie heute Schmidt.

Wenn man sich die TV-Karriere Schmidts ansieht, dann fällt auf, wie oft er das Format, wie oft er die Show gewechselt hat - "MAZ ab", "Psst", "Schmidteinander", "Gala!", "Verstehen Sie Spaß?", "Late Night Show", "Harald Schmidt" und jetzt also "Schmidt und Pocher". Acht Formate in 17 Jahren.

Teils lag das daran, daß Shows floppten. Aber Schmidt ließ auch Shows fallen, die gut liefen. Zuletzt, als er 2004 hinwarf und sich zu einer einjährigen Weltreise aufmachte.

Man hat den Eindruck, daß ihm ein Format schnell langweilig wurde. Eine Lustlosigkeit, die er auch oft über die Rampe brachte. Nicht endenwollende Sketche, das Plattwalzen eines Einfalls bis zur Ödnis, Flapsigkeit und Zoten statt Witz.

Als mitgeteilt wurde, daß Schmidt es nach der diesjährigen Sommerpause mit einem neuen Format versuchen würde, hat mich das nicht gewundert. Auch nicht, daß er frisches Blut transferieren wollte, in Gestalt eines gewissen Pocher, der mir noch nicht aufgefallen gewesen war.

Also - Schmidt, durch Pochers Auftreten verjüngt, mit neuer Motivation versorgt, zum Wettstreit des 50jährigen Routiniers mit dem hoffnungsvollen Talent angestachelt, zu neuer Form auflaufend?

Von wegen.



Die Auftakt-Sendung letzte Woche habe ich versäumt. Diesen Donnerstag habe ich die zweite Folge gesehen.

Gesehen. Sogar für diesen Beitrag aufgezeichnet. Genossen habe ich sie nicht.

Ich kann mich an kein Sendeformat Schmidts erinnern, das so offensichtlich, so vollständig danebengegangen wäre.

Schmidt und Feuerstein - das paßte. Der hochgewachsene Zyniker und der Kleine, den er schurigelt und der doch der Pfiffigere ist. Eine Variante von Tom und Jerry also.

Schmidt und Andrack - das funktionierte auch. Andrack gab den klassischen Sidekick, den Stichwortgeber, den Mann am Laptop, der mal nickte, mal Informationen beisteuern durfte.

Aber Schmidt und Pocher? Was sollte das denn für eine Konstellation sein? Pocher spielte so etwas wie einen zweiten Schmidt. Ihre Interaktion bestand im wesentlichen darin, daß der eine sich vor Lachen nicht einkriegen konnte, wenn der andere einen Witz gemacht hatte; dieser lachte dann meist auch noch über seinen eigenen Witz.

Und die Zuschauer lachten! Sie lachten da, wo es nichts zu lachen gab. Offenbar aufgrund des Verdachts, das alles, was Schmidt und/oder Pocher sagen, doch wohl witzig sein muß.

Hier ein Auszug vom Anfang der Sendung. Schmidt war als Riesenbaby auf die Bühne gekommen. Der Sketch bestand darin, daß er à la "Wetten, daß ...?" Babynahrung erschmecken sollte.
Schmidt: Das ist Hühnchenfleisch mit Mais, ab sechs Monate.

Pocher: Knapp daneben, Mamas Nudeltopf, ab fünfzehnter Monat, wär's gewesen

Publikum: Lautes Lachen

Schmidt: Arrggh

Publikum: Lacher

Pocher: Schade. Vielleicht ist das ja was für dich. Das ist ...

Publikum: Lacher

Assistierende Zuschauerin: Abputzen?

Pocher: Abputzen? Nee, das geht in eins. Das ist kein Problem

Publikum: Lautes Lachen.
Und so weiter. Volle sechs Minuten. Bis zu Schmidts Schluß- Gag, die letzte Geschmacksprobe, die man ihm in den Mund geschoben hatte, sei "drei Tage altes Moltofill" gewesen.

Das fand das Publikum so lustig, daß es in sehr lautes Lachen und, nachdem Pocher "richtig!" gesagt hatte, in heftiges Klatschen ausbrach.

Und so fort. Man hatte den Eindruck, daß keiner der Gags vorbereitet gewesen war; sieht man von den Einspielern ab, meist Schnipsel aus anderen TV- Sendungen der letzten Tage. An denen sich die beiden entlanghangelten wie Studenten, die bei ihrem Referat ihr Powerpoint abspulen und dazu sagen, was ihnen gerade so in den Sinn kommt.

Der Höhepunkt war - man soll es nicht glauben - das, was die erwähnten "Conferenciers" in den fünfziger Jahren als eiserne Reserve in ihrem Repertoire gehabt hatten: So wie diese sich hinstellten und andere Komiker imitierten, machte Pocher jetzt Mario Barth nach. Wieder volle sechs Minuten lang.



Gab es auch etwas Lustiges in dieser deprimierenden Sendung? Ja, der Gast war lustig, der Arzt Eckhart v. Hirschhausen, der sich jetzt als Comedian betätigt. Seine Erklärung der Diagnose "Essentielle funktionelle vegetative idiopathische Dystonie" als "keine Ahnung, was los" ist fand ich amüsant, weil kaum übertrieben.

Und sein schönster Satz war: "'Iatrogen', das heißt, es wurde von einem Arzt verursacht, Klingt aber cooler als 'Kunstfehler'".



Mir scheint dieses neue Format "Schmidt und Pocher" ein einziger Kunstfehler zu sein. Das Beste an "Harald Schmidt", das Opening mit den von guten Gag- Schreibern verfaßten und von Schmidt ausgesuchten Gags, ist weggefallen. An die Stelle des Sidekicks Andrack ist eine Art jüngerer Schmidt- Klon getreten.

Geblieben ist das, was auch bei "Harald Schmidt" schon oft langweilig gewesen war: Die Füllsel zwischen den Eingangs- Gags und dem Auftauchen des Gastes.


Ach ja, und die Dauer der Sendung wurde auf eine Stunde verdoppelt.

Lachen ist ein punktuelles Ereignis. Eine ganze Stunde lang lachen - das wäre schon sehr problematisch. Aber dieses Problem wird sich bei "Schmidt und Pocher" wohl nicht stellen.

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