9. November 2007

Horst Mahler - ein deutscher Denker, ein deutscher Täter: Ein Rückblick auf Hegel und Marx

Es mußte einmal passieren, und im Nachhinein fragt man sich, warum es so lang gedauert hat: Daß einer Hegel und Hitler so miteinander verknotet, wie Marx das mit Hegel und Feuerbach gemacht hat.

Der das tut, ist Horst Mahler, einst Chef- Ideologe der sogenannten RAF, heute ein Neonazi. Mitgeteilt hat er die Weltanschauung, die er sich aus Hegel und Hitler zusammengezimmert hat, in einem Interview mit Michel Friedman für "Vanity Fair", das im Netz nachzulesen ist.

Dazu zunächst eine kurze Rekapitulation: Wie war das doch gleich, als Marx Hegel vom Kopf auf die Beine gestellt hat?



Was sich bei Hegel in der Welt des Geistes abspielt - das ewige dialektische Wechselspiel von These, Antithese und dann der Synthese, die den Gegensatz "aufhebt", in allen schwäbischen Bedeutungen dieses Worts (bewahren, erhöhen, beseitigen) - , das packte sich Marx mit festem Griff und verfrachtete es in die materielle Welt.

Nicht Ideen negieren nach Marx einander, aus ihrem Widerstreit die Synthese gebärend. Sondern die Dialektik steckt in den Sachen selbst, in der materiellen Welt. In der Natur, wie Engels es in einer versponnenen, verbohrten Schrift ("Dialektik der Natur") nachzuweisen trachtete. Vor allem aber in der menschlichen Gesellschaft; in ihrer Geschichte.

Also zum einen der dialektische Materialismus, diese ontologische Position, wonach die Dialektik der materiellen Welt selbst eigen ist: Hegel "umgestülpt", wie Marx es formulierte. Und das dann auf Gesellschaft und Geschichte angewandt: der Historische Materialismus.

In der menschlichen Geschichte nimmt die Dialektik, so malte Marx es sich aus, die Gestalt von Klassenkämpfen an. So, wie in der Welt alles sein eigenes Gegenteil, seine Negation besitzt, ja hervorbringt - so leben die Menschen seit dem Sündenfall der Arbeitsteilung und damit des Privatbesitzes in einander dialektisch bedingenden Klassen.

Hegel hatte das an der Dialektik von Herr und Knecht entwickelt - der Herr wäre nicht Herr ohne den Knecht, aber auch der Knecht bedarf des Herrn, für seine Identität, sein "Selbstbewußtsein". Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, in dem der Herr den Knecht unterjocht. Der freilich, indem er der Arbeitende ist, der damit die Natur Beherrschende, am Ende gar der Stärkere ist.

Marx stülpte dieses Schema - bei Hegel so etwas wie eine just so story, eine in die Vergangenheit projizierte Fiktion - der gesamten Geschichte über. Sklavenhalter und Sklaven, Feudalherren und ihre Leibeigenen, schließlich Kapitalisten und Lohnabhängige - das sind die historischen Formen, in denen sich für Marx diese Dialektik von Herr und Knecht zeigte.

Aus der zwar säkularisierten, aber doch geistigen Heilsgeschichte, in der bei Hegel der Weltgeist zu sich selbst kommt, ist so bei Marx die Geschichte als eine Folge von Klassenkämpfen geworden, in denen sich die Produktivkräfte entfalten und die ihrerseits durch die Entfaltung der Produktivkräfte vorangetrieben werden. Bis schließlich, einem Armageddon gleich, sich alles auf's letzte Gefecht zuspitzt - zwischen einem immer mehr angewachsenen und zugleich immer mehr verelendeten Proletariat und seinem Widerpart, dem Kapital.

Und in einer dialektischen Wendung zum Guten wird dann aus der extremsten Klassengesellschaft, so erwartete es Marx, die klassenlose Gesellschaft hervorgehen. Zwangsläufig. Mit wissenschaftlicher Gewißheit. Denn wie soll es in einer nach den Gesetzen der Dialektik funktionierenden Welt anders zugehen, als daß aus der extremsten Unterdrückung die extremste Freiheit, daß aus der äußersten Ungerechtigkeit die vollkommene Gerechtigkeit, daß aus der Hölle das Paradies entspringt?

Die Interessen des Proletariats werden mit dem gesamtgesellschaftlichen Interesse zusammenfallen, so erträumte es sich Marx. Und just aus der ungerechtesten Ausbeutung wird die freieste, gerechteste Gesellschaft hervorgehen, die die Welt gesehen hat, seit Adam grub und Eva spann.

Gewiß, es wird einen Übergang geben. Er hat ihm nicht viel Nachdenken gewidmet, der Marx. Sich dazu geäußert in Randbemerkungen, Marginalien zum "Gothaer Programm" der Sozialdemokraten. Ausgearbeitet hat er das nie.

Diktatur des Proletariats, die Übergangsstufe des Sozialismus, nun ja. Sollten die Gesetze, die die menschliche Geschichte in ihrem Griff haben, walten. Am Ende würde jedenfalls mit zwingender Notwendigkeit der dialektische Gegensatz zur kapitalistischen Ausbeutergesellschaft stehen, das "Reich der Freiheit". Der Kommunismus.

Ende gut, alles gut. All's well that ends well. Und dann fuhren sie alle ans Meer, wie Melina Mercouri in "Sonntags nie" immer sagte.



Es ist Mythologie, Verheißung, es ist eine notdürftig säkular kaschierte Religion, was Marx verkündete. Recht enthusiastisch in den Frühschriften. Später sozusagen verhalten. Über das, was nun einmal gesetzmäßig geschehen muß, braucht man nicht groß zu spekulieren; das war wohl die Meinung des alten Marx. Jedenfalls würde es kommen, mußte es kommen, das Paradies auf Erden. Eine Welt, in der es möglich sein wird, "morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren".

Das Kritisieren vor allem, das sich auszumalen dürfte ihm gefallen haben, diesem damals 28jährigen Karl Marx, dessen Schibboleth sein Leben lang die "Kritik" gewesen ist.

Später hütete Marx sich, so naiv-gläubig seine Visionen mitzuteilen. Das tut ein Wissenschaftler nicht, für den er sich hielt. Aber der Glaube an das kommunistische Paradies ist ihm nie vergangen, diesem Sproß einer alten Rabbinerfamilie, diesem Schüler des in Gedankenwelten schwelgenden Georg Wilhelm Friedrich Hegel.



Soweit diese kleine Erinnerung an das, was der geistige Hintergrund des Horst Mahler ist: Hegel und Marx.

Oder vielmehr Marx und Hegel. Denn Mahler ist bei seiner Befassung mit diesen seinen beiden Helden sozusagen rückwärts gegangen: Als er sich im "Republikanischen Club" politisierte, als er dann zum Chefideologen der "Rote Armee Fraktion" wurde, deren ganz auf Marx basierende programmatische Schrift "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa" er verfaßte, da hatte er Marx studiert, wie damals so viele. Als er später für zehn Jahre im Gefängnis saß, ging er mit seinen Studien zurück zu Hegel.

Keine Frage, daß dieser hochintelligente, wenn auch auf eine unglaubliche Weise verbohrte, unbelehrbare Mann an der Grenze zu paranoiden Phantasien, daß dieser Horst Mahler in den Jahren in seiner Zelle Hegel wirklich gründlich studiert hat.

Wie der junge Marx. Und wie dieser hat er, der wie Marx (und anders als Hegel) nicht nur ein Denker, sondern vor allem ein Täter war, es unternommen, Hegel "umzustülpen".

Wie Marx ist Mahler ein materialistischer Dialektiker, der die Geschichte als eine unablässige Folge von Kämpfen sieht. Wie bei Marx sind die Protagonisten dieser Kämpfe ihrer Gattung nach immer dieselben. Bei Marx die Klassen. Bei Mahler die Völker. Das deutsche und das jüdische zumal. Dialektisch einander entgegenstehend und zugleich in dieser Dialektik aufeinander angewiesen, wie eben bei Hegel Herr und Knecht.

Damit schafft Mahler es, mit einer Volte seine linksextreme Vergangenheit mit seiner Gegenwart als Rechtsextremist zu verbinden: Der Feind bleibt im Grunde in seinen Augen derselbe. Nur hatte man ihn damals, so denkt er es sich heute, als den Imperialismus mißverstanden. Während er in Wahrheit das Judentum gewesen war und ist, in Mahlers bizarrer Welt. In die nämlich inzwischen als Dritter, neben Marx und Hegel, Adolf Hitler getreten ist.

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