20. November 2007

Randbemerkung: Auf die Finger gesehen, auf die Finger geklopft - der Fall "Georg-Büchner-Schule" und die Medien

In Kneipen, in denen einer oder mehrere dieser Spielautomaten stehen, die von den Zeiten her, als man zum Start eines Spiels noch einen rechts herausragenden Hebel ziehen mußte, "einarmige Banditen" heißen, kann man häufig Gäste beobachten, die dem Spieler zusehen.

Hat der Spieler etwas gewonnen, dann kann er an einem solchen Automaten diesen Gewinn riskieren. Er drückt dann eine Taste, und der Gewinn verdoppelt sich entweder, oder er geht verloren.

Es gibt einen Typus des dabeistehenden Zuguckers, der diese Entscheidungen ständig kommentiert. Hat der Spieler Glück und verdoppelt seinen Gewinn, dann sagt der Dabeisteher: "Gut! Das hätte ich auch gemacht!". Geht dem Spieler beim Versuch des "Hochdrückens" sein Gewinn flöten, dann kommentiert der Kiebitz: "Das hätte ich jetzt nicht gemacht".

Er weiß im Nachhinein immer, was richtig gewesen wäre. Und er spreizt sich und verkündet es. Blickt sich vielleicht gar stolz um, ob auch alle mitkriegen, was er doch für ein einsichtiges Kerlchen ist.



Solche Szenen fallen mir oft ein, wenn ich Meldungen lese wie diese im FAZ.NET. Es geht um den Fall der beiden Kölner Schüler, die verdächtig gewesen waren, ein Blutbad in ihrer Schule geplant zu haben. Dazu heißt es in der Meldung:
Kölner Polizei in Erklärungsnot - Schüler hatten Amok-Pläne längst aufgegeben

(...) Die verdächtigen Schüler hatten ihre Pläne für ein Massaker am Georg-Büchner-Gymnasium offenbar schon lange vor dem Eingreifen der Polizei aufgegeben. (...) Die Kölner Polizei gerät durch diese neue Erkenntnisse zunehmend in Erklärungsnot. Schon im Laufe des Tages hatte sie Vorwürfe zurückgewiesen, sie habe den 17-Jährigen nach dessen Vernehmung zu schnell laufen lassen.
Wir wissen seit gestern, daß die Gefahr, von der zuvor alle - die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Verantwortlichen der Schule, die Presse - ausgegangen waren, nicht, jedenfalls nicht mehr, bestanden hatte.

Wir sind in der Situation des Zuguckers, der weiß, wie das Risiko- Spiel des Spielers ausgegangen ist. Und nun - with the benefit of hindsight - können wir uns hinstellen und sagen: Also, da hätte ich die Risiko- Taste jetzt nicht betätigt.

Nur kannte dieses Ergebnis weder der Dabeisteher noch der Spieler, als die Entscheidung zu treffen gewesen war. So, wie keiner von denjenigen, die an diesem Fall in Köln in der einen oder anderen Form beteiligt waren, bis gestern wußte, daß es die befürchtete Gefährdung nicht gegeben hatte.

Wieso, bitteschön, gerät die Kölner Polizei dadurch in "Erklärungsnot"?

Was war falsch daran, von der Existenz einer Gefahr auszugehen und das Erforderliche zu tun?

Wieso muß diese Kölner Polizei "Vorwürfe zurückweisen", sie habe den 17jährigen "zu schnell laufen lassen"? Hätte sie ihn festgehalten, und es hätte sich das ergeben, was sich gestern herausstellte - natürlich hätte man ihr dann den Vorwurf gemacht, den Schüler ohne hinreichenden Tatverdacht festgehalten zu haben.



Wir brauchen eine freie Presse, ein freies Internet, freies Fernsehen, um denjenigen, die in unserem Gemeinwesen Entscheidungen fällen, auf die Finger zu sehen. Daß wir freie Medien haben, macht eine unserer Stärken gegenüber totalitären Systemen aus.

Nur muß man dem, dem man auf die Finger sieht, ja nicht auch jedesmal gleich auf die Finger klopfen.

Dazu aber neigen unsere Medien.

Verantwortliche fällen eine Entscheidungen. Die meisten Entscheidungen, die sie treffen müssen, sind decisions under uncertainty. Man kennt nicht alle Fakten, man kennt nicht alle Folgen der Entscheidung. Aber entschieden muß werden.

Es kann sein, daß jemand schuldhaft falsch entscheidet. Weil er beispielsweise Fakten nicht zur Kenntnis nimmt, weil er Risiken grob falsch bewertet. Das ist ihm dann vorzuwerfen. Da dürfen, ja müssen die Medien ihm auf die Finger klopfen.

Aber allein der Umstand, daß eine Entscheidung sich im Nachhinein, nachdem alle Fakten bekanntgeworden sind, als falsch oder als nicht erforderlich herausstellt, begründet keine Vorwerfbarkeit.

Solange keine Tatsachen ans Tageslicht kommen, die ein derartiges Fehlverhalten bei der Kölner Polizei belegen, ist sie nicht in "Erklärungsnot", sollte sie "Vorwürfe" souverän zurückweisen.

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