22. November 2007

Zettels Meckerecke: Ist Bach der Beste? Über U-Kultur und E-Kultur

Bach? Dirk Bach, oder der Johann Sebastian? Kommt nicht so drauf an. Nachdem das ZDF unseren besten Komiker gesucht und gefunden hatte, ist diesmal - gesendet wird morgen Abend - der beste Musiker dran.

Zuvor war schon beispielsweise der beste Deutsche gekürt worden (Konrad Adenauer), der beste Fußballer (Franz Beckenbauer) und die beste Erfindung (das Fahrrad).

Nun also, so schreibt das ZDF, werden wir erfahren, wen die Deutschen für den größten "Musikstar aller Zeiten" halten. "Ob Bach oder BAP, Mozart oder Modern Talking, Nena oder Nicole". Von Mitte September bis Mitte Oktober konnte, wer wollte, abstimmen.



Müssen einem da nicht die Haare zu Berge stehen?

Zum einen wegen der Mehrheits- Entscheidungen, wie sie zwar nicht von "den" Deutschen, aber doch jedenfalls von den abstimmenden Deutschen zu diesen Sendungen getroffen wurden.

Adenauer als der größte Deutsche - das mag noch angehen. Er war gewiß einer der größten deutschen Staatsmänner, und der einzige der ganz Großen, der noch innerhalb eines engeren Zeithorizonts vieler von uns gelebt hat.

Aber beim Lesen "Der Herr der Ringe" auf Platz eins: Nicht wahr, da hört der Spaß auf? Da beginnen sich nun wirklich die Augenbrauen zu heben, da legt sich die Stirn in besorgte Falten. Höre ich jemanden "Kulturlosigkeit" murmeln?

Nun also "Bach oder BAP, Mozart oder Modern Talking". Da sträuben sich nicht nur die Nackenhaare. Da könnte manchen, dem unsere Kultur am Herzen liegt, wohl schon ein Schreikrampf überkommen.

Das Volk wird befragt, und es darf sagen, ob es Mozart oder Bach schätzt, oder ob es doch vielleicht Nena oder Nicole bevorzugt! Wenn das kein Ende unserer Kultur ist, kein Untergang des Abendlandes!



Nein, ich meckere nicht gegen solche Sendungen. Ich meckere gegen die herablassende Kritik an ihnen. Ich teile keineswegs diese Reaktion, die von Haarsträuben und Stirnrunzeln begleitet ist.

Ich habe die erste dieser Sendungen gesehen, aus der Adenauer als Sieger hervorging; danach keine mehr. Sie werden aber wohl alle ähnlich gewesen sein.

An dieser damaligen Sendung hat mich geärgert, daß der Scharlatan Karl Marx einen ziemlich guten Platz erreicht hat. Aber nun gut - auch das ist ja ein Ergebnis, daß so viele Deutsche sich für ihn ans Telefon bemühten; was oder wer auch immer sie dazu motivierte.

Ansonsten habe ich mich darüber gefreut, daß viele meiner Mitbürger sich - sei es durch Abstimmen, sei es durch Einschalten der Sendung - überhaupt für die Frage interessiert haben, wer denn die größten Deutschen waren.

Und so geht es mir auch mit den Nachfolge-Themen.

Nehmen wir die Gebäude. Kölner Dom und Brandenburger Tor als Sieger bei den "Lieblingsorten" - das ist doch gut. Meine Lieblingsorte sind es gewiß nicht; ich hätte vielleicht die Frankfurter Paulskirche gewählt, das Symbol des liberalen, des freiheitlich- konservativen Deutschland. Aber was sich nun ergab, das ist doch eine respektable Entscheidung gewesen - der Kölner Dom als Symbol der rheinisch- demokratischen, des katholischen Deutschland, das Brandenburger Tor als Symbol des preußisch- rechtsstaatlichen, des protestantischen und aufgeklärten Deutschland.

Und Loriot als der beste Komiker - hätte man eine bessere Wahl treffen können? Schumi als bester Sportler, nun gut, da mag die Tagesaktualität durchgeschlagen sein. Das ist bei Sportlern vermutlich unvermeidlich; sie hinterlassen ja nichts für die Nachwelt, gar die Ewigkeit.



Musiker tun das. Also produzieren sie Kultur.

Jedoch richtige Kultur in Deutschland nur dann, wenn sie E-Musik machen. Denn bei uns zerfällt die Musik bekanntlich in U-Musik und E-Musik. Nena und Nicole, das ist U-Musik. Bach und Beethoven, das ist E-Musik. Beim Jazz wird es etwas schwierig; da er heute überwiegend in den Kulturprogrammen der Sendeanstalten gespielt wird, ist er wohl zur E-Musik avanciert.

Wir teilen nicht nur die Musik in E und U ein. Wir unterscheiden in Deutschland auch zwischen ernsthafter Literatur und Unterhaltungsliteratur. Wer U-Literatur produziert, der ist ein Schreiber, allenfalls ein Autor. Wer E-Literatur herstellt, der ist mindestens ein Autor, meist aber schon ein Schriftsteller, am Ende gar ein Dichter. Martin Walser hat es bisher nur bis zum Schriftsteller geschafft. Günter Grass hingegen ist ein Dichter.

Ich kann mit allen diesen Unterscheidungen wenig anfangen. Robert Gernhardt, einer meiner Lieblingsautoren - hat er E-Literatur oder U-Literatur produziert? Waren Walter Scott, Charles Dickens, Victor Hugo, Honoré de Balzac, Conrad Ferdinand Meyer, Theodor Storm, Lewis Carroll E- oder U-Autoren?

Natürlich gibt es gewaltige Unterschiede in der Qualität dessen, was Musiker komponieren und spielen, was Literaten zu Papier bringen.

Aber erstens ist das ein Kontinuum, keine Dichotomie. Und zweitens hat Qualität nichts damit zu tun, ob Musik oder Literatur unterhaltsam ist.

Also nehme ich mir die Freiheit, beispielsweise Loriot für kulturell bedeutsamer zu halten als unseren Nobelpreisträger Günter Grass.

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