24. November 2007

Europapolitik: Brüsseler Anmaßungen, deutsche Unfähigkeiten

"Die EU-Kommission plant nach den Worten ihres Präsidenten José Manuel Barroso Strafzahlungen für Autofirmen, die gegen Klimaschutz- Vorgaben aus Brüssel verstoßen", berichtet heute die Presse - beispielsweise das "Handelsblatt" - über ein Interview, das Barroso "Bild am Sonntag" gegeben hat.

Kaum jemand, der eine Meldung wie diese liest, fragt sich noch, wie eigentlich eine Kommission dazu kommt, Strafen gegen Autofirmen zu verhängen. Strafen, nicht wahr, werden ja eigentlich von Gerichten verhängt. Und für Autofirmen ist eigentlich das Land ihres Firmensitzes zuständig, nicht eine Kommission, die in Brüssel sitzt.

Eigentlich, d.h. innerhalb eines Rechtssystems, in dem die Gewaltenteilung funktioniert und in dem Staaten souverän sind.

Kein Mitglied der EU ist aber mehr im klassischen Sinn souverän. Viele Rechte, die in den USA jeder Bundesstaat für sich beansprucht, sind von den nominell souveränen Staaten der EU nach Brüssel abgegeben worden. Beispielsweise haben in den USA die Bundesstaaten das Recht auf ihre eigenen Anti- Diskriminierungs- Gesetze, während die EU-Staaten an EU-Direktiven wie die Direktive 2000/43/EG (Antirassismus) gebunden sind.



"Nach Brüssel abgeben" - was heißt das aber? An wen denn abgeben? Haben wir in Brüssel eine Europa- Regierung, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung gegliedert ist? Werden dort die Gesetze von der Legislative gemacht und von der Exekutive ausgeführt? Wird über Strafen von einer unabhängigen Judikative entschieden?

Nein. In Brüssel residiert bekanntlich eine Institution namens "EU-Kommission", die das alles in einem ist - sie führt als Exekutive die Geschäfte, sie betätigt sich faktisch als Legislative, indem sie Direktiven erläßt, die von den nationalen Parlamenten in Gesetzesform gegossen werden müssen, und sie benimmt sich wie eine Judikative, wenn sie beispielsweise, siehe oben, Geldstrafen gegen Firmen verhängt. Gewiß, es gibt ein Europäisches Parlament, einen Europäischen Gerichtshof. Aber sie haben noch längst nicht die Kompetenzen, die eigentlich einer Legislative, einer Judikative zustehen.



Europa ist eben noch im Werden. Niemand, der die Fakten fair beurteilt, wird die EU, könnte er es denn, wieder abschaffen wollen. Wohl aber ist zu fragen, ob es so weitergehen kann, daß zwar erbittert um nationale Sitze in Gremien gerungen wird, daß aber noch niemand weiß, worauf die europäische Einigung eigentlich hinauslaufen soll - ob man nämlich ein Bundesstaat oder ein Europa der Vaterländer werden will. Wenn man einmal erwachsen ist.

Solange Europa das nicht ist, tut man gut daran, die Entwicklung des Adoleszenten in so vernünftige Bahnen zu lenken, wie das nun einmal, rebus sic stantibus, schlecht und recht geht.

Das heißt zum einen, die Herrschaft der Bürokratie zu beschneiden, wo immer es dafür eine Chance gibt.

Es heißt zweitens, als nationale Regierung Eurokraten in ihre Schranken zu weisen, wenn sie - wie z.B. jetzt Barroso - sich in Dinge wie ein Tempolimit in Deutschland einmischen, die sie nichts angehen.

Und drittens und vor allem heißt es, daß jeder Staat gut beraten ist, seine Interessen nach Kräften in Brüssel zu vertreten, wenn er sie schon nicht mehr mit der eigenen Machtvollkommenheit eines souveränen Staats unmittelbar durchsetzen kann. "If you can't beat 'em, join 'em".



Und damit - mit der Vertretung unserer Interessen in Brüssel - ist es in Deutschland miserabel bestellt. Wie miserabel, wie hundserbärmlich es damit bestellt ist, das beschreibt jetzt Christoph B. Schiltz in einem äußerst lesenswerten Artikel in "Welt Online" unter dem drastischen Titel: "Die sieben Todsünden der Deutschen in Brüssel".

Warum sind wir in Bezug auf Brüssel allzumal Sünder, wir Deutsche? Es gibt, wie Schiltz darlegt, viele Gründe. Aber einer liegt auf der Hand: Wir leisten uns in Deutschland den Luxus, kein nationales Europa- Ministerium zu haben.

Fast alle anderen EU-Länder haben das - entweder in Gestalt eines ausschließlich für Europa zuständigen Ministers wie zeitweise in Frankreich, oder in Personalunion mit einem anderen Ministerium. In der Regierung Fillon zum Beispiel ist Bernhard Kouchner zugleich Außen- und Europaminister; seine offizielle Amtsbezeichnung lautet Ministre des Affaires étrangères et européennes. Innerhalb dieses Ministeriums leitet ein Staatsminister die Europapolitik, der frühere enge Mitarbeiter des Sozialisten Lionel Jospin, Jean-Pierre Jouyet.

Europaminister - so etwas gibt es in Deutschland auch. Allerdings nur auf Länderebene! Die Bundesländer haben in der Regel ein Ministerium, das die Kompetenz für Europa mit anderen Aufgaben (am häufigsten Bundes- Angelegenheiten) kombiniert; teils aber auch nur Bevollmächtigte oder Beauftragte für Europa. Im Bund aber gibt es kein einziges Ministerium, das den Namen "Europa" auch nur im Namen führt.

Es gibt eine Europaabteilung des Auswärtigen Amts; auf derselben hierarchischen Ebene angesiedelt wie z.B. seine Abrüstungsabteilung. Aber viele andere Köche kochen mit; nicht weniger als 58 Referate in diversen Ministerien sind für Europa zuständig!

Der Kanzler Schröder hatte einmal, nach der 2002 gewonnenen Wahl, die Ernennung eines Europaministers geplant, wollte ihn aber im Bundeskanzleramt ansiedeln. Der damalige designierte Außenminister Fischer hörte die Nachtigall trapsen und sperrte sich. So versuchen die einzelnen beteiligten Ministerien halt ihre Europapolitik irgendwie zu koordinieren.

Genügen wird das nicht. Die Todsünden, die Schiltz aufzählt - u.a. eine verfehlte Personalpolitik, die Unterschätzung des EU- Parlaments, schwache Netzwerke und eben dieser Kompetenzwirrwarr in der Bundesregierung - müssen angegangen werden. Auf nach Brüssel!

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