18. November 2007

Randbemerkung: Rutscht der "Spiegel" jetzt nach links?

In den letzten Jahren haben sich der "Spiegel" und "Spiegel Online" immer weiter voneinander entfernt; sowohl, was die journalistische Qualität angeht, als auch in der politischen Linie.

Während der "Spiegel" unter Stefan Aust die Krise, in die er Anfang der neunziger Jahre geraten war, schnell überwand und heute wieder seinem Ruf als eines der international führenden Nachrichten- Magazine gerecht wird, gedeiht bei "Spiegel- Online" ein Agitations- Journalismus, der Nachricht und Kommentar vermischt.

Im Stil der "Tageszeitung" ("taz") werden Nachrichten so formuliert - oder auch schon mal, wie gerade erst wieder, so umformuliert -, daß die LeserInnen gleich mitgeliefert bekommen, wie sie diese Nachrichten politisch zu bewerten haben. Parteilicher Journalismus also, wie er (in einer freilich extremeren Form) in der DDR in der Sektion Journalistik der Karl- Marx- Universität Leipzig allen Nachwuchs- Journalisten der DDR eingetrichtert worden war (der Journalist als "kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator").

Man kann zwar auch gegen die "Spiegel"- Story als Publikationsform einwenden, daß in ihr Nachricht und Meinung nicht getrennt werden. Hans Magnus Enzensberger hat das ja schon 1957 getan. Aber das ist dem Format "Nachrichten- Magazin" nun einmal eigen, seit Henry Luce 1923 das Time Magazine erfand.

In den international führenden Nachrichtenmagazinen wie Time und Newsweek wird das so gehandhabt, daß der Autor oder die Autoren einer Geschichte zwar die Freiheit haben, den Stoff unter einem bestimmten Blickwinkel darzustellen, daß es aber keine für alle verbindliche "politische Linie" gibt.

So hat es Augstein (trotz seiner Bemerkung aus der Zeit der turbulenten siebziger Jahre, der "Spiegel" sei ein "lberales, im Zweifel ein linkes Blatt") immer gehandhabt; wenn auch sein Einfluß auf das Blatt nachließ, je mehr er sich aufs Altenteil zurückzog. Als in den sechziger Jahren einmal Redakteure des "Spiegel" nach ihrer politischen Präferenz gefragt wurden, outeten sich viele als Sozialdemokraten, etliche als Freie Demokraten, einige als Christdemokraten.

Diese Vielfalt der Meinungen ist unter Aust im "Spiegel" allmählich wieder hergestellt worden. Unter seiner Leitung wurde der "Spiegel", der in den siebziger und achtziger Jahren immer weiter nach links gerückt war, wieder zu einem Nachrichtenmagazin nach dem Vorbild des angelsächsischen Journalismus. Das führte naturgemäß zu Konflikten. Es führte dazu, daß linke Redakteure wie Harald Schumann und Gerd Rosenkranz das Blatt verließen.



Nun also wird Aust gehen. Und die Linke wittert die Chance, den "Spiegel" wieder auf linken Kurs zu trimmen. Dazu muß man jemanden als Nachfolger pushen, dem man zutraut, eine solche Wende hinzubekommen.

Dieser jemand ist auch schon gefunden. Er heißt Mathias Müller von Blumencron. Unter seiner Verantwortung pflegt "Spiegel Online" diesen agitatorischen, vor allem gegen die USA gerichteten Stil. Ihm darf man zutrauen, auch den "Spiegel" auf diese Linie zu trimmen.

Also rührt die Linke die Trommel für ihn.

Die "taz" zerbrach sich am Freitag den Kopf über mögliche Nachfolger Austs. Alle (di Lorenzo, Schirrmacher, Franziska Augstein, Kleine- Brockhoff) wurden mehr oder weniger süffisant niedergemacht. Nur - aparte Idee - Gerd Rosenkranz und Harald Schumann als Doppelspitze kamen besser weg. Und dann derjenige, den die "taz" als "den Einzigen" bezeichnet: Mathias Müller von Blumencron: "Blumencron ist zudem im Grunde das Gegenmodell zu Aust. (...) Intern würde der Spiegel also nach links rücken."

Ja gewiß doch. Also rührt einer der Autoren des "taz"- Artikels, Oliver Gehrs, gleich auch noch in einem Interview mit "n-tv" die Trommel für Müller von Blumencron.

Unter Aust sei der "Spiegel", findet Gehrs, "restaurativ und bürgerlich und gestrig" geworden. Er sei "in seiner politischen Bewertung sehr erratisch" geworden, ja "politisch gesehen überhaupt nicht mehr verlässlich gewesen". Was wir wohl so verstehen dürfen, daß Gehrs die Parteilichkeit vermißt, die klare linke Linie. Was ist dagegen zu tun? Gehrs weiß es: "Der 'Spiegel-Online' - Chef Mathias Müller von Blumencron wäre der richtige Nachfolger".

Und die "Frankfurter Rundschau" stimmt ein: Mathias Müller von Blumencron sei "ein gewandter Profi" dem mit "Spiegel-Online" "eine einzigartige Erfolgsgeschichte" gelungen sei und der ergo "gute Chance auf die Nachfolge Austs" habe.



In den gut dreißig Jahren, in denen das Modell der "Mitarbeiter KG" existiert, hat es meist funktioniert. Das lag im wesentlichen daran, daß erst Augstein selbst und dann Stefan Aust, den Augstein der Redaktion oktroyiert hatte, ein starkes Gegengewicht zu den jeweiligen Vertretern der Mitarbeiter bildeten. Beide haben immer auf Liberalität, auf Qualität und auf Verkäuflichkeit geachtet.

Jetzt werden erstmals die Mitarbeiter mit ihrem Anteil von 50,5 Prozent den entscheidenden Einfluß auf die Bestimmung eines Chefredakteurs haben. Wenn es nach der "taz", nach Oliver Gehrs, wenn es nach der "Frankfurter Rundschau" geht, dann wird das mit Müller von Blumencron einer sein, der die Tradition von Augstein und Aust wohl kaum fortsetzen dürfte.

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