6. November 2007

Abgeordnetendiäten: Das Zettel-Modell

Was den Neid der Deutschen und seine Zielobjekte angeht, kommen vermutlich gleich nach den "gierigen Managern" die Politiker. Wenn sie eine Diätenerhöhung beschließen, dann ist ein Ausbruch dieses Neids so sicher zu erwarten wie die Reaktion "niedlich", wenn ein kleiner Eisbär über den Bildschirm tapert.

Und diejenigen, die auf solche nachgerade reflexhaften Reaktionen so zielen, wie die "Zeit" auf das Denkvermögen ihrer Leser, also die Redakteure von "Bild", nehmen das natürlich dankbar auf und befördern die "Wut", indem sie ihr ein Sprachrohr geben. Die übliche Rückkopplung zwischen der untersten Schicht der "öffentlichen Meinung" und der untersten Schublade unseres Journalismus.

Da hilft es auch nicht, wenn - wie Rayson in B.L.O.G. dankenswerterweise ausgerechnet hat - die jetzt geplante Erhöhung einem jährlichen Anstieg der Diäten um ganze 1,5 Prozent entspricht. Gegen die Neidreaktion rational anzugehen, ist ungefähr so wirksam, als würde man einen Ochsen ins Horn petzen. Wie man in Hessen so sagt.

Immerhin: Es wird ja nicht nur über den Betrag der Erhöhung diskutiert, sondern man beabsichtigt, das ganze Modell der Entschädigung von Abgeordneten zu modifizieren. Sie sollen ihre Diäten künftig nicht mehr selbst festsetzen müssen, sondern diese sollen an die Bezüge von Bundesrichtern gekoppelt werden.

Da nun also die Diskussion ein wenig geöffnet ist, möchte auch ich mich gern mit einem Vorschlag beteiligen. Ich habe ihn vor Jahren schon einmal in einem Forum vorgebracht. Einige haben ihn damals nach meiner Erinnerung ernst genommen, andere weniger. Wie ernst ich ihn selbst nehme, möge der Leser einschätzen, wenn er denn mag. (Ja gewiß doch, die Leserin auch).



Der simple Gedanke ist, daß Diäten keine Bezüge sind, daß sie kein Lohn sind, keine Rente und kein Gehalt. Sie werden nicht für irgendeine Leistung bezahlt - wer wollte die Leistung eines Abgeordneten auch messen, geschweige denn bewerten? Diäten sind, der Name sagt es, Tagegelder.

Seine Diäten bekommt der Abgeordnete dafür, daß er für die Periode, in der er dieses Amt ausübt und in der er somit seine Arbeitskraft ehrenamtlich dem Gemeinwesen zur Verfügung stellt, für den Verdienstausfall entschädigt wird, der ihm dadurch entsteht. Er soll sich nicht daran bereichern, dem Gemeinwesen zu dienen. Aber er soll dadurch auch keinen finanziellen Verlust erleiden.

Das jetztige Diätenmodell, wie auch das für die Zukunft beabsichtigte, verstößt gröblich gegen dieses Prinzip. Und zwar dadurch, daß alle Abgeordnete - von einigen Funktionsträgern, wie den Fraktionsvorsitzenden, abgesehen - dieselben Diäten erhalten.

Es wird vermutlich Abgeordnete geben, die sich dadurch weder bereichern noch einen finanziellen Verlust erleiden. Das sind diejenigen, die vor ihrer Wahl ins Parlament soviel verdient haben, wie sie jetzt an Diäten (plus geldwerten Leistungen, z.B. die Netzkarte erster Klasse der Deutschen Bahn) erhalten.

Das kann zufällig so hinkommen. Die meisten Abgeordneten bereichern sich aber entweder durch ihre Parlamentstätigkeit, oder sie erleiden durch sie einen finanziellen Verlust. Wer, sagen wir, als Bafög- Empfänger ins Parlament gewählt wird, der hat finanziell das Große Los gezogen. Wer ein gut verdienender Manager war, der wird sich als Abgeordneter weitaus schlechter stellen als vor seiner Wahl.

Diese gleiche Entschädigung für alle Abgeordneten ist also extrem ungerecht. Und zweitens hat sie fatale Folgen für die Zusammensetzung des Parlaments.

Denn es liegt ja auf der Hand, daß Menschen, für die ein Einzug in den Bundestag einen finanziellen Aufstieg bedeutet, sich heftig um ihn bemühen werden; auch darum, wiedergewählt zu werden.

Wer ein gut gehendes Unternehmen, eine Anwaltspraxis, einen Spitzenjob in der Wirtschaft oder der Wissenschaft verläßt, um dem Deutschen Volk als Abgeordneter zu dienen, der bringt hingegen ein Opfer. Er bringt es vielleicht für eine Legislaturperiode, wird dann aber die Neigung haben, wieder in seinen Beruf zurückzukehren.

Am besten dran sind Abgeordnete, die im Privatleben Beamte sind. Sie werden in der Regel ohne Probleme beurlaubt und kehren, wenn sie nicht wiedergewählt werden, in ihr Amt, ihr Ministerium, ihre Schule zurück. Sogar an der Regelbeförderung nehmen sie teil, während sie beurlaubt sind.

Ein Zahnarzt hingegen, der als Abgeordneter nach Berlin geht, würde nicht nur eine Einbuße an eigenem Einkommen erleiden, sondern er müßte, wenn er seine Praxis nicht verlieren will, auch noch einen Vertreter bezahlen.



Das sind massive Ungerechtigkeiten. Ungerechtigkeiten, die sich einfach durch das beheben lassen, was ich jetzt einmal unverschämt das Zettel-Modell nennen möchte.

Sein Prinzip ist denkbar einfach: Da Diäten Entschädigungen für entgangenen Verdienst sind, werden sie jedem Abgeordneten in genau der Höhe des Verdiensts gezahlt, den er vor seinem Einzug in den Bundestag hatte.

Zu berechnen aufgrund der letzten EStE oder Lohnsteuerzahlung; gegebenenfalls aufgrund des Bafög, des Arbeitslosigkeitsgeldes oder sonstiger Einkünfte, die nicht weiterlaufen, wenn der Abgeordnete sein Mandat antritt. Mieteinnahmen, Zinsgewinne und dergleichen bleiben natürlich unberücksichtigt. Daß der Abgeordnete während seiner Zeit im Parlament nicht zugleich seinen Beruf ausüben darf, versteht sich.

Die so ermittelten Diäten werden aufgestockt um einen für alle Abgeordnete gleichen Pauschbetrag, der die Auslagen für die doppelte Haushaltsführung, für die Heimfahrten und dergleichen deckt. Wie bisher wird den Abgeordneten außerdem eine Pauschale für Büro und Mitarbeiter gezahlt.

Im ersten Jahr erhält der Abgeordnete genau das, was er im Jahr vor dem Einzug ins Parlament netto verdient hatte. In den folgenden Jahren werden die Diäten um denselben Prozentsatz angehoben, um den jeweils auch die Renten steigen.

Was die Altersversorgung angeht, so übernimmt der Staat die Kosten für die jeweils bestehende Versorgung des Abgeordneten. Er zahlt also für ihn in die Rentenversicherung, in eine bestehende Lebensversicherung usw. ein. Wer als Beamter pensionsberechtigt ist, benötigt solche Zahlungen logischerweise nicht.



Nicht wahr, das Zettel-Modell wäre eine gerechte Lösung des Diäten- Problems? Jeder bekäme das, was er auch in seiner Zeit vor dem Parlament bekam. Es wäre für den Unternehmensberater ebenso attraktiv, Abgeordneter zu werden, wie für den Bafög- Empfänger.

Wir hätten Aussicht darauf, ein Parlament zu bekommen, das in den Berufen, im sozio- ökonomischen Status, ungefähr ein Spiegelbild der Bevölkerung ist. Jedenfalls besser als jetzt, wo Beamte - vor allem aus den Lehrberufen - und sonstige Angehörige des Öffentlichen Dienstes überrepräsentiert, Unternehmer, Manager, Handwerker und Selbständige hingegen unterrepräsentiert sind.

Lieber Leser, Sie finden das nicht gerecht, daß dann der eine Abgeordnete ein Vielfaches von dem bekommt, was sein Banknachbar im Bundestag erhält? Sie finden das sogar empörend ungerecht?

Dann müßten wir uns wohl einmal darüber unterhalten, was wir unter Gerechtigkeit verstehen.

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