29. November 2007

Politiker, Politologen, Publizisten. Und Blogger.

In benachbarten, in befreundeten Blogs findet im Augenblick eine Auseinandersetzung statt, die von der Haltung zur, wie sie sich selbst nennt, "Antifa" ihren Ausgang nahm und die jetzt um das Thema Zensur kreist. Zum Einstieg in diese Diskussion eignen sich beispielsweise Beiträge von Boche, von MartinM, von Rayson, von Marian Wirth und von Zuppi. Weitere Beiträge hat Daniel Fallenstein in "Freunde der offenen Gesellschaft" verlinkt.

Und dann gibt es da noch einen Blog- Beitrag, den es auch wieder nicht gibt. Weil er nämlich - offenbar ohne Einverständnis des Autors - gelöscht wurde. Aber so ganz weg ist ja nichts im Web; also kann man ihn im Google Cache doch noch lesen, diesen Artikel von Michael Holmes. Derjenige, der mir am interessantesten vorkam, weil er sich aus eigener Erfahrung speist.



Ich kann zu dieser Diskussion wenig beitragen. Das Bißchen, was ich zur Antifa zu sagen habe, steht in meinem Kommentar zu dem Artikel von Boche: Wer mit Rotfront- oder SA- Methoden Politik zu machen trachtet, der hat mich zum Gegner. Und was das Thema "Zensur" angeht, das aufgrund des Schicksals, das der Beitrag von Michael Holmes erlitt, hinzutrat, kann ich nur sagen, daß ich gegen jede Zensur bin. Was auch sonst.

Statt mich in die laufende Diskussion in den anderen Blogs einzumischen, möchte ich anläßlich von ihr ein paar Überlegungen vortragen, die mich schon länger beschäftigen, die aber dieser aktuelle Anlaß sozusagen in meiner Themen- Warteschlange nach vorn geschoben hat.

Es geht um das Selbstverständnis von Bloggern. Von Bloggern insbesondere in jenem Segment des politischen Spektrums, dem ich einmal den Namen "Blogokugelzone" verpaßt habe und das aus meiner Sicht liberal ist, in einem recht weiten Sinn freilich. Zu dieser Blogokugelzone gehören nach meinem Verständnis die Blogs, in denen sich jetzt diese Diskussion abspielt.



Wir alle schreiben zu politischen Themen. Die einen ausschließlich. Andere - wie ich - erlauben sich Ausflüge ins Kulturelle, ins Wissenschaftliche, ins Feuilleton. Die liberale politische Haltung ist das, was wir gemeinsam haben.

Es ist - zunächst einmal - eine Haltung. In der Terminologie der Sozialpsychologie eine attitude, eine Einstellung also, aus der sich je nach aktuellem Thema die eine oder die andere Meinung - opinion - ableitet.

Zunächst einmal. Aber Politik ist ja ihrem Wesen nach nicht kontemplativ. Die Polis ist ein Ort, an dem gehandelt wird. Politik ist Handeln, und zwar in einem bestimmten sozialen Kontext: Handeln im Wettstreit mit anderen, die ebenfalls auf demselben Feld - der Gestaltung des Gemeinwesens - zu handeln beabsichtigen. Nur mit anderen Zielen.

Das bringt ein agonistisches Moment ins Politische. Jenes Merkmal des Politischen, das Extremisten kommunistischer Färbung gern in die Kurzform "Wer wen?" kleiden, womit gemeint ist: "Wer macht wen fertig?". Wer seine extremistische Haltung lieber mit rechtem Gedankengut anfüllt, wird vielleicht Carl Schmitts Formel von Freund- Feind als der Grundkategorie des Politischen bevorzugen.

Wir Demokraten denken, sofern wir politisch agieren, weniger in der Kategorie des Kampfs; aber natürlich geht es auch uns - sofern wir eben politisch aktiv sind - darum, den eigenen Zielen zur Wirklichkeit zu verhelfen und diejenigen der anderen nach Kräften zu torpedieren.



Nun muß, wer sich mit Politik beschäftigt, nicht politisch aktiv sein. Nicht in einer Partei tätig; noch nicht einmal sonstwie politisch Handelnder muß er sein.

Er muß das trivialerweise nicht, wenn er sich wissenschaftlich mit Politik beschäftigt; so wenig, wie ein Religionswissenschaftler religiös sein muß oder ein Armutsforscher selbst arm.

Aus meiner Sicht schließen sich die wissenschaftliche Befassung mit einem Thema und das persönliche, parteiliche Engagement im Bereich dieses Themas sogar gegenseitig aus. Denn Wissenschaft verlangt den kühlen, objektiven Blick auf ihren Gegenstand. Sie verlangt die Bereitschaft, seine Meinung jederzeit zu ändern, wenn Fakten das verlangen. Sie verlangt die Befassung mit dem Thema sine ira et studio.

Wissenschaft ist auf Erkenntnis gerichtet; nicht darauf, die Welt zu verändern oder umgekehrt deren Veränderung zu verhindern. Parteiliche Wissenschaft ist ein Unding; sie kann zu keinen allgemeinverbindlichen Ergebnissen führen. Der einzige Sinn wissenschaftlichen Mühens ist es aber, Erkenntnisse zu gewinnen, die für alle gelten.



Ein Politologe mag seine eigene politische Überzeugung haben. Aber er hat sie ebenso auszuklammern, sozusagen beim Eintreten in sein Institut an der Garderobe abzugeben, wie ein Lehrer oder ein Richter sich nicht durch seine persönlichen Neigungen und Abneigungen beeinflussen lassen darf.

Wie steht es aber mit Publizisten, mit Journalisten? Hier liegen die Dinge offensichtlich nicht so einfach.

Es gibt eine Presse, die sozusagen schamlos parteilich ist. Die kommunistische Presse ist es, und sie versucht das auch gar nicht zu leugnen. Laut dem "Wörterbuch der sozialistischen Journalistik" (Herausgegeben von Emil Dusiska; Leipzig 1973 und weitere Auflagen) ist "der sozialistische J[ournalist]... Funktionär der Partei der Arbeiterklasse, einer anderen Blockpartei (bei Mehrparteiensystem im Sozialismus) bzw. einer gesellschaftlichen Organisation und der sozialistischen Staatsmacht, der mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teilnimmt."

So tat man's denn auch als Journalist in der DDR. So tut es auch heute noch das "Neue Deutschland", die "Junge Welt". Der Begriff der Wahrheit hat für Kommunisten keinen Sinn; es sei denn den agitatorischen, der den Westberliner Ableger der SED, die SEW, seinerzeit veranlaßte, ihr Parteiblättchen ausgerechnet "Die Wahrheit" zu nennen.

Das ist nun freilich ein Extrem. Aber auch die nichtkommunistische Presse, vor allem die europäische, entstand oft als parteiliche, wenn auch nicht immer als Parteipresse. Man wußte, ob eine Zeitung sozialdemokratisch war (wie der "Vorwarts" oder die "Frankfurter Rundschau"), ob konservativ (wie der "Rheinische Merkur"), ob liberal wie die "Zeit" und der "Spiegel".

Ich schreibe das in der Vergangenheitsform, denn in den letzten Jahrzehnten ist auch in der Presse in Deutschland eine Amerikanisierung zu beobachten. In den USA waren die großen Zeitungen, die großen Zeitschriften immer weit weniger in ihrer "Linie" festgelegt als in Europa.

Gut, Time Magazine war etwas konservativer als Newsweek, die New York Times war liberaler als die einstige New York Herald Tribune. Aber das waren im Grunde Nuancen. Bei vielen großen Zeitungen - der Washington Post zum Beispiel - läßt sich eine solche "Linie" kaum ausmachen; man findet in ihr konservative wie linke Kommentatoren, sogar Editorials. Dasselbe gilt für die Los Angeles Times.

Eine Tendenz in diese Richtung ist auch in Europa, auch in Deutschland zu beobachten. In der "FAZ" kann man heutzutage linksliberale Positionen finden, in der "SZ" konservative. Der "Spiegel" war mal mehr linksliberal, mal mehr liberalkonservativ. "Focus" hatte ohnehin nie eine "Linie".



Heißt das, daß in diesen modernen Printmedien keine Meinungen vertreten werden? Keinesfalls; natürlich nicht. Nur sind diese Meinungen immer weniger durch eine "Linie" vorgegeben. Und zumindest in den Tageszeitungen - bei den Wochenzeitungen ist das anders - wird, nach US-Vorbild, in der Regel zwischen Nachricht und Meinung unterschieden.

Was immer mehr verschwindet, das ist die Verwendung des Mediums als eines Instruments im politischen Kampf. Der Publizist teilt seine Meinung zu einem bestimmten Thema mit; aber es gibt keine Linie des Blattes zur Politik überhaupt. Die "Weltanschauungspresse" ist out.

Nun komme ich zu uns politischen Bloggern. Publizisten sind wir nicht, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Aber wenn ich diesen Artikel fertig habe, dann klicke ich auf "Publish". Veröffentlichen tun wir ja schon; wir schreiben zur Politik.

Wie tun wir das? Wie Politiker, wie Politologen, wie parteiliche Journalisten, wie Publizisten eines Mediums ohne "Linie"?

Mir scheint das bei den einzelnen Blogs sehr unterschiedlich zu sein. Und mir will es so vorkommen, als rühre daher die eingangs erwähnte aktuelle Kontroverse.

Es gibt in der Blogokugelzone Kollegen und Mitstreiter, die im politischen Handeln engagiert sind. In der Parteipolitik, in politischen Zirkeln, Gesprächskreisen, Gruppierungen. Für sie ist das Bloggen - so nehme ich an; ich kann mich irren - Teil dieses politischen Engagements.

Bei mir ist das überhaupt nicht der Fall. Gewiß habe ich eine Grundhaltung, die ich immer einmal wieder auch explizit mache: eine liberalkonservative. Aber das ist, um mit Fontane zu sprechen, ein weites Feld.

Im Einzelfall versuche ich ein Thema zu verstehen, Informationen dazu aufzufinden, einen Standpunkt zu entwickeln, der sich - im günstigsten Fall - als Grundgedanke, als die message eines Artikels verwenden läßt. Das kann mal mehr liberal, mal mehr konservativ ausfallen. Oft ergibt sich auch ein Duktus, der sich überhaupt nicht auf politischen Dimensionen lokalisieren läßt. Wenn ich über einen Film schreibe, über einen Autor, über eine TV-Sendung oder ein Weltraum- Experiment zum Beispiel.

Will ich damit politisch wirken? Ich weiß das im Grunde nicht. Es ist jedenfalls nicht ein primäres Motiv. Aufklären, das trifft es vielleicht besser. Oder einfach nur mir das Vergnügen leisten, einem Gedanken, der mir interessant erscheint, sprachliche Form zu geben, ihn mit Details aufzufüllen.

Ich habe Hochachtung für diejenigen, die sich als Blogger anders verstehen. Wer im politischen Handeln steht, der wird seinen Artikeln andere Funktionen zuweisen als ich. Er wird auch anders schreiben.

Wenn jetzt in befreundeten Blogs über die Antifa gestritten wird, dann verfolge ich das mit Interesse. Aber mit dem des Beobachters, und zwar des nicht teilnehmenden.



Dank an Buenavista für das Aufspüren des Artikels von Michael Holmes.

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