7. November 2007

Vorratsdatenspeicherung: Warum der Liberale in mir über den Konservativen obsiegt

Wenn es eine Diskussion über die Bekämpfung der Kriminalität, über die richtigen Mittel im Kampf gegen den Terror gibt, dann ist das meist ein Fall für meinen liberal- konservativen Vermittlungsausschuß.

Als Konservativer sehe ich die Notwendigkeit, gegen das Verbrechen und den Terror mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen.

Kriminalität und Terrorismus verfügen über eine inhärente Dynamik, die dazu führt, daß sie sich immer genau so weit entwickeln, wie der Staat das zuläßt. Ist der Staat schwach, dann kann es so weit kommen, daß Kriminelle und Terroristen ein Gemeinwesen dominieren. Die failed states, in denen war lords herrschen, sind ein extremes Beispiel. Aber auch die Herrschaft der Mafia und der Camorra im Süden Italiens, in dem der Staat traditionell schwach ist, liefert ein Beispiel. So, wie der Erfolg von Rudy Giulianis Politik der Nulltoleranz in New York das Gegenbeispiel abgibt.

Gewiß, Deutschland ist weit von einem solchen Zustand der Anomie entfernt. Aber principiis obsta. Im Zeitalter der weltweiten Kommunikation globalisieren sich die organisierte Kriminalität und der Terrorismus schneller, als die Polizei und die Sicherheitsdienste nachkommen können. Kommunikation ist zu einem kritischen Feld der Verbrechensbekämpfung, der Bekämpfung des Terrorismus geworden. Der Staat muß auf diesem Feld die erforderliche Gegenwehr leisten, die erforderlichen Dämme errichten.

Also, so argumentiert der Konservative in mir, ist es auch gerechtfertigt, daß das jetzt zur Abstimmung anstehende Gesetz zur "Vorratsspeicherung" von Daten es den Anbietern auferlegt, Telefon- und Internet- Kommunikationen zu speichern und diese Daten für ein halbes Jahr vorrätig zu halten. Ähnliche Regelungen sind europaweit vorgesehen, alle basierend auf einer EU-Direktive

Ergibt sich ein Verdacht - und nur dann! -, können die Ermittlungsbehörden auf die bei den Anbietern gespeicherten Daten zugreifen. Sie können Verbindungen zurückverfolgen, dadurch Verdächtige ermitteln, im Extremfall so einen terroristischen Anschlag verhindern.

Dem gesetzestreuen Bürger - sagt der Konservative in mir - wird dadurch kein Haar gekrümmt. Die Daten werden den Ermittlern ja erst übermittelt, wenn es bereits einen Verdacht gibt. Es handelt sich um ganz normale polizeiliche Ermittlungsarbeit, nur der technischen Entwicklung angepaßt. Früher mußten die Ermittler Verbindungen zwischen Verdächtigen und Wege zu ihren Mittelsmännern herausfinden, indem sie Menschen befragten, Grenzdokumente prüften und dergleichen. Jetzt haben sie eben neue technische Möglichkeiten.



Das sind starke Argumente. Was kann der Liberale in mir dem entgegenhalten?

Nun, er räumt ein, daß das alles so ist. Er räumt sogar ein - der Liberale in mir, andere Liberale werden das anders sehen -, daß in unserem demokratischen Rechtsstaat die Polizei, der Verfassungsschutz, der BND die Möglichkeit des Zugriffs auf diese gespeicherten Daten nicht mißbrauchen werden. Warum sollten sie? In unserem Staat schützen diese Organe unsere Freiheit und suchen sie nicht sie zu beseitigen.

Alles das gesteht er zu, der Liberale in mir. Er hat Vertrauen in unseren demokratischen Rechtsstaat. In unseren demokratischen Rechtsstaat, wie er seit fast sechzig Jahren besteht, seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Aber er blickt nicht nur zurück auf diese demokratische Erfolgsgeschichte; er blickt auch in die Zukunft, der Liberale in mir. And there's the rub.

Wir hatten in der Bundesrepublik bisher das ungeheure Glück politischer Stabilität. Lange gab es - entgegen dem, was unter dem Verhältniswahlrecht üblicherweise der Fall ist - den "Trend zum Zweiparteien- System". Auch als kleine Parteien stärker wurden, ging die politische Stabilität nicht verloren. Rotgrün gegen Schwarzgelb - in den neunziger Jahren sah es so aus, als könne das ein politisches System werden ähnlich dem der USA oder Englands, nur daß eben jeder der beiden Großparteien ein kleiner Partner an der Seite steht.

Das ist vorbei, seit die Kommunisten eine Partei mit einer Wählerschaft um die zehn Prozent geworden sind.

Nicht durch die Wiedervereinigung hat sich das politische System der Bundesrepublik grundlegend geändert, sondern durch diesen Aufstieg der Kommunisten.

Es gibt heute nicht mehr zwei Lager mit demokratischen Parteien, sondern es gibt demokratische Parteien und eine starke kommunistische Partei, geführt von Politikern, die zur Führungsschicht der DDR gehörten und die für Demokraten zu halten so naiv wäre, wie dem Wolf in der Lessing'schen Fabel sein Mitleid mit dem kranken Esel zu glauben.

Zu erwarten ist für die Zukunft (ab den Wahlen von 2009 - ich habe das hier ausgeführt) entweder eine instabile, unnatürliche Koalition aus Parteien des bürgerlich- rechten und des grün- linken Lagers oder aber eine Volksfront- Regierung unter Beteiligung der Kommunisten.

Diese Volksfront an der Macht wird es, davon ist der Liberale in mir ebenso überzeugt wie der Konservative, früher oder später geben, wenn auch vielleicht noch nicht 2009.

Und wenn eine Partei wieder an der Macht ist, in deren Verständnis, wie sie es uns vierzig Jahre lang demonstriert hat, der Staat berechtigt ist, jeden "seiner Menschen" nach Belieben auszuspionieren, um ihn kontrollieren und kujonieren zu können - dann allerdings würde eine Vorrats- Datenspeicherung dieser Partei die benötigten Daten der Bürger sozusagen auf einem Silbertablett servieren.

Das ist ein so entscheidendes Argument, daß es alle anderen aussticht. Diese Runde des Vermittlungsausschusses geht an den Liberalen in mir.

Der noch nicht einmal seine zweite Karte zu ziehen brauchte: Die Unverfrorenheit der Brüsseler Bürokraten, die in einer so zentralen, einer für die Rechtsstaatlichkeit so sensiblen Fragen sich anmaßen, die Parlamente der Mitgliedstaaten mittels einer "Direktive" zu einem Gesetz zu zwingen; ob sie wollen oder nicht.



Ich weiß - viele, die das lesen, halten es für abwegige Spekulationen, für realitätsferne Kassandra- Rufe. Diese Leserinnen und Leser möchte ich bitten, ehrlich diese beiden Fragen für sich zu beantworten:

Hätten Sie es in den siebziger oder achtziger Jahren für möglich gehalten, daß ein Angehöriger der damaligen Frankfurter "Putztruppe", der, wie es in der Wikipedia heißt, "sich führend an mehreren Straßenschlachten mit der Polizei ... [beteiligte], in denen Dutzende von Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden", drei Jahrzehnte später unser Außenminister sein würde? Und einer der RAF-Anwälte unser Innenminister?

Und hätten Sie es noch vor zwanzig Jahren für möglich gehalten, daß einmal einer der höchsten Funktionäre im Justizsystem des Unrechtsstaats DDR, der Vorsitzende der Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR, Gregor Gysi, Mitglied des Deutschen Bundestags, Mitglied des Senats des Landes Berlin und ein gern eingeladener Gast unserer TV-Talkshows sein würde?

Sehen Sie.

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