23. November 2007

Randbemerkung: Die Grünen auf dem Weg in die Volksfront

Als die Partei "Die Grünen" Ende der siebziger Jahre entstand, verstand sie sich nicht als eine Partei wie die anderen, sondern als etwas ganz Neues, sozusagen das schlechthinnige Andere.

In gewisser Weise stimmte das. In mancher Hinsicht stimmt es noch heute.

Es stimmte damals, weil man die Regularien, nach denen Parteien funktionieren, nach denen sie im Parlament arbeiten, souverän mißachtete:

Zu den Parteiversammlungen konnte JedeR kommen, die es denn wollte, ob Mitglied oder nicht (sofern sich das überhaupt feststellen ließ, in der Anfangs- Phase). Man wählte nicht eine VorsitzendeN, sondern gleich zwei, die aber so hießen, wie bei den anderen Parteien die Pressereferenten: SprecherInnen.

Man führte einen Proporz ein, extremer als jemals unter Adenauer der Proporz zwischen Katholiken und Protestanten: Überall mindestens die Hälfte Frauen in den Gremien, den Fraktionen. Daß man zwei SpecherInnen hatte, verdankte sich anfangs diesem Proporz, den man in "Quote" umgetauft hatte. (Zwei Frauen allerdings waren nicht verboten, und es kam auch in der Tat vor, daß beide SprecherInnen Sprecherinnen waren.)

Im Parlament zelebrierte man die Kultur des Happenings: Ein Minister, der in Turnschuhen zur Vereidigung erschien. Abgeordnete, die auf ihren Pulten Sonnenblumen aufbauten; die in malerischer Hippie- Tracht, mitunter mit Rauschebart, im Plenum Platz nahmen. Bizarre Reden, in denen schon einmal das Sexualleben der Abgeordneten thematisiert wurde.

Jeder Abgeordnete besaß eine Art Zwilling, einen NachrückerIn, die zur Mitte der Legislatur- Periode an ihre Stelle trat. Jedenfalls in der Regel, denn zwingen konnte man ja niemanden, sein Mandat niederzulegen. Schily tat es nicht.



Merken Sie etwas, lieber Leser? Ich versuche, vor Ihren Augen ein Bild der Grünen entstehen zu lassen, Ihre Erinnerungen an diese Zeit zu wecken, in der sie ins Rampenlicht traten. Vielleicht ist mir das gelungen.

Aber mit keinem Wort habe ich bisher von einem Programm, überhaupt von politischen Inhalten gesprochen. Man kann die Grünen offenbar recht gut charakterisieren, ohne davon zu sprechen, was sie überhaupt politisch wollen. Und das - so will mir scheinen - ist just das, was diese Partei "Die Grünen" charakterisiert.

Was diese Partei zusammenhält, das ist ein bestimmter Stil des Politisierens. Irgendwie "alternativ". In Opposition zum Pragmatismus, zur Realpolitik der anderen Parteien, zu ihrer Orientierung an den gesellschaftlichen Realitäten, am technischen Fortschritt, an Gruppeninteressen. Wie sich dieser Stil mit Inhalten, mit konkreten politischen Zielen füllt, das ist weitgehend beliebig.

Ist eine solche Partei links oder rechts? Als die "Grünen" 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, wollte das Präsidium sie links neben die SPD setzen. Sie protestierten und erhielten den Platz in der Mitte, zwischen CDU und SPD. Das war in der Zeit, als man sich noch primär als eine Naturschutz- Partei verstand; als es noch einen konservativen Flügel gab, auch wenn einige prominente Konservative wie Herbert Gruhl damals schon ausgetreten waren.

Später rückte eine Mehrheit der Partei, unter dem Einfluß der Entristen aus den verblichenen K-Gruppen und der Sponti- Szene, immer weiter nach links.

Noch später bildete sich daneben allerdings auch ein bürgerlich- liberaler Flügel, bestehend einerseits aus Politikern wie Fritz Kuhn und Christine Scheel, die entdeckt hatten, daß ihre Vorstellungen von Freiheit eher im Kapitalismus zu verwirklichen sind als im Sozialismus. Zum anderen kam ein freiheitliches Element durch die Mitglieder des Bündnis 90 in die Partei; jedenfalls vorübergehend.

Die Grünen sind damit heute wieder so weit wie bei ihrer Gründung: Ein Potpourri aus politischen Überzeugungen, nur zusammengehalten durch diesen gemeinsamen Stil des Anderssein- Wollens.

Solange man in der rotgrünen Regierung war, wurden diese Gegensätze durch den gemeinsamen Wunsch nach Machterhalt überlagert.

Man hätte erwarten können, daß die Partei, als sie 2005 in die Opposition geriet, die notwendige Klärung herbeizuführen versuchte. Daß sie sich entscheiden würde, ob sie eine linksliberale oder eine ökosozialistische Partei ist. Ob sie mehr Freiheit im Kapitalismus will, wie Fritz Kuhn und Christine Scheel, oder ob sie den Weg in den demokratischen Sozialismus anstrebt. Aber in den bisherigen zwei Jahren Opposition gab es noch nicht einmal den Ansatz zu einer derartigen Klärung.



So wäre es vielleicht geblieben, wenn sich nicht inzwischen immer deutlicher die Perspektive einer Volksfront nach den Wahlen 2009 abzeichnen würde.

Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Liberale Ideen, individualistische Skepsis gegenüber dem Staat haben da keinen Platz mehr. Die Partei muß fit dafür gemacht werden, Seit' an Seit' mit der Partei des demokratischen Sozialismus und den Kommunisten zu marschieren.

Das geschieht in diesen Tagen. In "Welt Online" hat Matthias Kamann es im einzelnen beschrieben:
Wenn sie auf ihrem Bundesparteitag über Sozial- und Wirtschaftspolitik diskutieren, dann bleibt kaum Raum für jenen staatsfernen Individualismus, der sie lange von anderen Linken unterschied. Vielmehr setzen sie nun auf jenen Staat, dem sie einst mit Skepsis begegneten und auch im Ökonomischen die Eigeninitiative verantwortungsbewusster Individuen entgegensetzen wollten. (...)

Alle verbünden sich zu einem Linksruck, der den Konsens und das "Durchkommen" auf dem Parteitag garantieren soll. Um es mit dem Parteichef zu sagen: "Hier hat es eine notwendige Akzentverschiebung gegeben", erklärte Bütikofer gegenüber WELT ONLINE.
Notwendig in der Tat. Denn mit den liberalen Ideen, die Fritz Kuhn und andere grüne Liberale noch im November 2006 formuliert hatten ("Grüne Marktwirtschaft"; Kritik am "Umverteilungsstaat") könnte man nicht gut gemeinsam mit der SPD und den Kommunisten regieren.

Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.