16. November 2007

Randbemerkung: Aus für Aust

Wievielen Kommentatoren wird dieses Wortspiel einfallen? Vermutlich allen. Nur werden sich nicht alle auf das Niveau begeben, es auch zu verwenden. Wortspiel und gehobenes Niveau - da ist auch heute noch für viele deutsche Journalisten wie Fisch und Messer.

Womit ich beim Thema bin. Was den "Spiegel", der sich selbst seit der ersten Nummer SPIEGEL schreibt, von dieser ersten Nummer an ausgezeichnet hat, das war etwas, das es damals - 1947 - in Deutschland nicht gab, und später auch nur sehr selten: Ein hohes Niveau mit Unterhaltsamkeit zu verbinden.

Wer für die "Zeit" schreibt, der wird es in der Regel (falls er nicht gerade zur Rätsel- Redaktion gehört) als nachgerade beleidigend empfinden, wenn man ihm attestiert, er schreibe unterhaltsam. Vom "stern" abwärts andererseits ist es für einen Autor ein vernichtendes Urteil, wenn seine Texte als nicht unterhaltsam eingestuft werden.

Der "Spiegel" befand sich von Anfang an an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Welten des Journalismus; sozusagen zwischen E-Journalismus und U-Journalismus.

Die "Spiegel"-Redaktion (immer mit einem erklecklichen Anteil von Promovierten) schrieb stets für ein intelligentes, wenn auch nicht unbedingt intellektuelles Publikum. Aber der Stil, die "Masche", wie das Hans Magnus Enzensberger in seinem berühmten Radio- Essay von 1957 nannte, war und ist frech, respektlos, mit einem Sprachwitz, der sich oft und gern in Richtung Kalau bewegt.



Dafür war zuvorderst Rudolf Augstein selbst verantwortlich, dem die Verkaufszahlen immer ebenso wichtig waren wie das Niveau. Verantwortlich dafür waren auch Chefredakteure wie Hans Detlef Becker, Claus Jacobi, Johannes K. Engel und Erich Böhme, die sich an der Frische und Direktheit des angelsächsischen Journalismus orientierten.

Aber es gab auch andere Tendenzen, andere Phasen in der Geschichte des Blatts. Es gab die Zeit des Chefredakteurs Günter Gaus, der dem "Spiegel" seine eigene Intellektualität und sein eigenes politisches Engagement aufzustülpen versuchte. Und es gab die Zeit, als das bunte, peppige "Focus" vorübergehend zu einer ernsthaften Konkurrenz zu werden schien. Gegen einen "Spiegel", dessen Redaktion alterte, der unter dem Einfluß rotgrün angehauchter Redakteure, teils auch Ressortchefs, zu einem drögen Weltverbesserer- Organ herabzusinken drohte.

Damals, Anfang der neunziger Jahre, wurde das Blatt von zwei Chefredakteuren geführt, dem gelernten Wirtschafts- Redakteur Dr. Wolfgang Kaden und Hans Werner Kilz, der sich vom Korrespondenten in Mainz und Frankfurt über die Leitung des Ressorts Deutschland II bis in die Chefredaktion hochgearbeitet hatte. Zwei fähige, aber glanzlose und ziemlich langweilige Journalisten, die recht gut zu dem Mausgrau paßten, mit dem der immer noch überwiegend schwarzweiß gedruckte "Spiegel" in der bunten Welt der Konkurrenz- Blätter immer dröger wirkte.

Augstein erkannte die Gefahr eines Abstiegs seines Blatts, und er handelte schnell, hart und mit Erfolg; wie immer, wenn er das für erforderlich hielt.



Gegen den Widerstand eines großen Teils der Redaktion tauschte er die Chefredaktion aus. An die Stelle der "Doppelspitze", die es seit 1973 gegeben hatte (im Grunde eine Dreierspitze mit dem Herausgeber Augstein als Ober- Chefredakteur) setzte er einen einzigen Chefredakteur: Stefan Aust.

Das verstand damals kaum jemand. Auch ich war sehr verwundert. Aust hatte als junger Mann allerlei Erfahrungen in mehr oder weniger windigen Printmedien gesammelt - "Konkret", den "St. Pauli Nachrichten". Er war als Chronist der RAF hervorgetreten und hatte ansonsten beim Fernsehen gearbeitet, erst beim NDR und dann als Chef von "Spiegel-TV".

Dieser Mann, aus dem linksextremen Milieu der sechziger Jahre hervorgegangen, dann ein TV-Mann, auch gar noch ein Pferdezüchter - dieser Mann ohne Erfahrungen in der Redaktion eines großen Blatts sollte den "Spiegel" wieder nach vorn bringen?

Er tat es. Er krempelte die Optik des Blatts um. Er sorgte für einen Generationswechsel. (Damals begann der "Spiegel" mit der Sitte, hinter die Namen seiner Redakteure, wenn sie in der "Hausmittelung" genannt wurden, stets das Alter zu setzen). Er setzte sich mit den rotgrünen Weltverbesserern auseinander, von denen ein Teil das Blatt verließ. Er machte den "Spiegel" (fast) wieder so frisch und so frech, wie er es in den fünfziger Jahren gewesen war.

Dabei sank das Niveau keineswegs. Das Ressort "Gesellschaft" wurde um etliche Edelfedern um Cordt Schnibben erweitert, die zuvor an einem gescheiterten Zeitschriften- Projekt des "Spiegel"- Verlags gebastelt hatten. Die Berichterstattung wurde überwiegend politisch neutraler, als das seit den späten sechziger Jahren der Fall gewesen war. (Mit der Ausnahme allerdings der USA-Berichterstattung). Wirtschaftlich geht es dem "Spiegel" heute bestens. Aust hat daran entscheidenden Anteil.



Er hätte wohl gern noch zwei Jahre weitergemacht. Jedenfalls hatte er bei den letzten Vertragsverhandlungen eine Option auf eine Verlängerung seines Vertrags über den 31. Dezember 2008 hinaus um weitere zwei Jahre durchgesetzt.

Jetzt hat sich die Geschäftsführung darauf verständigt, von dieser Option keinen Gebrauch zu machen. Das geschah, so wurde mitgeteilt, auf Initiative der Mitarbeiter KG - jener einzigartigen Konstruktion, die daraus hervorging, daß Augstein Anfang der siebziger Jahre den Mitarbeitern die Hälfte seines Anteils am "Spiegel"- Verlag geschenkt hatte; ein eleganter Schachzug, mit dem er den "Spiegel" unbeschädigt durch die damalige Revoluzzerei brachte.

Über die Hintergründe des jetzigen Schritts ist noch wenig bekannt. Von einem "Modernisierungs- Schub" und "frischer, neuer Kraft" ist die Rede.

Ich wünsche dem "Spiegel", daß das funktioniert und daß man wieder einen wie Aust findet. Er war unter allen, die die Geschicke des "Spiegel" geleitet haben, Augstein selbst am ähnlichsten.

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