16. Dezember 2011

Marginalie: Schäfflers und Hirschs Erklärung im Wortlaut. Nebst Anmerkungen zur "Basisdemokratie"

Zum Ergebnis des Mitgliederentscheids haben dessen Initiatoren Burkhard Hirsch und Frank Schäffler die folgende Pressemitteilung herausgegeben:
PRESSEMITTEILUNG ZUM ERGEBNIS DES FDP-MITGLIEDERENTSCHEIDS ZUR WÄHRUNGSPOLITIK

Datum: 16.12.2011

Wir bedauern, dass der Mitgliederentscheid nicht zu dem von uns angestrebten Beschluss der FDP geführt hat, die Einrichtung eines permanenten „Rettungs-schirms“ für den Euro abzulehnen.

Wir danken allen Parteifreunden, die uns mit ihrer Stimme unterstützt und sich in den letzten Wochen engagiert für den Mitgliederentscheid eingesetzt haben. Wir erkennen ihre besonderen Anstrengungen an.

Sie haben die zahllosen Veranstaltungen ermöglicht, auf denen sich Mitglieder und Außenstehende über die Probleme des Währungsverbundes und die unterschiedlichen Ansätze zu ihrer Lösung informieren und über sie beraten konnten.

Das Verfahren des Mitgliederentscheids hat sich dabei in wesentlichen Punkten als stark verbesserungs-bedürftig herausgestellt. Wir bitten den Bundesvorstand deshalb, die Verfahrensordnung zu überarbeiten. Dafür bieten wir unsere Unterstützung an.

Der Mitgliederentscheid hat eine von vielen vermisste Beteiligung der politischen Basis der FDP ermöglicht. Wir fordern die anderen Parteien der Bundesrepublik auf, diesem Vorbild zu folgen. Das Vertrauen in unsere Währung ist nicht nur Sache des Parlamentes oder von Parteitagen, sondern geht jeden Bürger unseres Landes an.

Wir erhoffen uns, dass die Führung der FDP das knappe inhaltliche Ergebnis des Mitgliederentscheids würdigt. Wir erwarten, dass die Führung der FDP nun die Positionen durchsetzt, die sie in ihrem eigenen Antrag B gefordert hat. Nur eine knappe Mehrheit der Parteimitglieder hat ihrem Antrag auf Fortsetzung der „Rettungsschirme“ zugestimmt. Die 44,2 Prozent der Mitglieder für Antrag A sind integraler Bestandteil der liberalen Partei. Wir rufen alle unsere Unterstützer des Antrags A auf, in der FDP weiter für ein Europa des Rechts, der Rechtsstaatlichkeit und der Marktwirtschaft zu kämpfen. Wir rufen die Parteiführung auf, die gemeinsamen europapolitischen Überzeugungen eines marktwirtschaftlichen, subsidiären und solide wirtschaftenden Europas zukünftig zu betonen.

Wir erwarten von der Bundestagsfraktion der FDP, dass sie nicht nur – wie bisher – vorsorglich ein „imperatives Mandat“ ablehnt, sondern auch für das Verfassungsrecht aller Abgeordneten des Bundestages eintritt, ausschließlich ihrer eigenen Gewissens-entscheidung zu folgen.

Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch und Frank Schäffler, MdB

Kommentar: In einem ersten Kommentar unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses habe ich geschrieben, daß der Ausgang des Mitgliederentscheids mich überrascht hat.

Das lag nicht nur daran, daß in den vergangenen Tagen eine Mehrheit für Antrag A kolportiert worden war (von 60:40 war die Rede gewesen); sondern meine Erwartung, daß Antrag A gewinnen werde, basierte auch auf dem, was in Zettels kleinem Zimmer FDP-Mitglieder über die Stimmung in den Versammlungen berichteten, an denen sie teilgenommen hatten.

Das schien auf eine solide Mehrheit "an der Basis" für Schäfflers Position hinzudeuten. Aber was ist "die Basis"? Aber wer ist das? Dieser schwammige Begriff stammt aus dem linken Slang, hat sich aber inzwischen weithin durchgesetzt. Er ist schwammig, weil er ganz unterschiedliche Gruppen von Parteimitgliedern meinen kann.

Man kann sich das wie die Schalen einer Zwiebel vorstellen; oder wie die russische Matrjoschka, die Puppe-in-der-Puppe. Mindestens sechs Sphären sind zu unterscheiden:
  • Die Gesamtheit der Mitglieder. Dazu gehören die vielen "zahlenden Mitglieder", die irgendwann einmal in die Partei eingetreten sind, aber nicht oder nicht mehr an deren Parteileben teilnehmen. Manche bleiben Mitglieder, weil sie weiter Sympathie für die Partei empfinden; andere wollen sich nicht zu dem aktiven Schritt des Austritts entschließen. Sie lassen den Dauerauftrag weiterlaufen; darin besteht ihre Mitgliedschaft.

  • Diejenigen Mitglieder, die (noch) eine gewisse Verbindung zur Partei haben. Sie sind vielleicht mit anderen Parteimitgliedern befreundet, gehen gelegentlich zur Jahreshauptversammlung; dergleichen.

  • Die mehr oder weniger aktiven Mitglieder, die Parteiversammlungen besuchen, Kontakt zu dem betreffenden Ortsverband halten, sich vielleicht an Wahlkämpfen als Helfer beteiligen.

  • Die unterste Ebene der Mandatsträger - also diejenigen, die in ihrem Ortsverband ein Amt haben; als Beisitzer im Vorstand, als Kassenprüfer, dergleichen.

  • Diejenigen Mandatsträger, die Politik ernster nehmen. Also die Vorsitzenden der Ortsverbände; diejenigen, die als Delegierte zu den Parteitagen fahren; diejenigen, die ein kommunales Mandat anstreben oder innehaben. Sie bringen einen mehr oder weniger großen Teil ihrer Freizeit in die politische Arbeit ein.

  • Von ihnen gibt es einen vielstufigen Übergang zum Berufspolitiker. Irgendwann auf dieser Skala endet die "Basis" und beginnt ja was? Der "Überbau" müßte man wohl sagen, wenn man sich in dem Jargon bewegen will, dem der Begriff "Basis" entstammt. Sagen wir: Es beginnt "der Politiker".
  • Auf den jetzigen Fall bezogen: In den Versammlungen zum Mitgliederentscheid war eine andere "Basis" als diejenige "Basis", die sich an diesem Entscheid beteiligt hat. So ist wohl das überraschende Ergebnis zu erklären.



    Es ist hier wieder einmal zu sehen, wie fragwürdig der Ruf nach einer "Basisdemokratie" ist. Betrachtet man das Thema allgemein, und nicht nur bezogen auf den jetzigen Mitgliederentscheid, dann wären noch zwei weitere Zwiebelschalen oder Puppen hinzuzuzfügen, nämlich die Wähler der betreffenden Partei und schließlich die Gesamtheit der Bevölkerung.

    Wenn "basisdemokratisch" entschieden wird, dann entscheidet irgendeine dieser Sphären; eine der Puppen irgendeiner Größe. In der repräsentativen Demokratie gibt es nur die Entscheidung der Wähler. Das ist im Grunde weit mehr an "direkter Demokratie".
    Zettel



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