24. März 2011

Kurzberichte zu Fukushima Daiichi (11): Die Temperaturen sinken jetzt schnell. "Kein zweites Tschernobyl" (Stand: Donnerstag, 17.00 Uhr)

Die wichtigsten Meldungen des heutigen Tages (in Japan ist es jetzt bereits ein Uhr nachts) betreffen die Temperaturen.

Die Temperaturen sind in mehrfacher Hinsicht kritisch: Zum einen müssen die Reaktoren und die Abklingbecken gekühlt werden, damit aus dem Schmelzen oder Anschmelzen einzelner Brennstäbe keine umfassende Kernschmelze hervorgehen kann. Das ist der langfristige, der sozusagen strategische Aspekt. Kurzfristig - gewissermaßen auf der taktischen Ebene - geht es darum, die Temperaturen zu senken, um damit auch die ionisierende Strahlung, die vor allem von den Brennstäben in den Abklingbecken ausgeht, weiter zu reduzieren.

Neben den Messungen mittels der Thermometer in den Systemen, die dank der Versorgung mit Elektrizität jetzt wieder zu funktionieren beginnen, wurden heute vom japanischen Militär auch wieder Messungen aus Hubschraubern mit Infrarot-Meßgeräten vorgenommen. NHK hat darüber heute um 13.48 Uhr MEZ berichtet; siehe auch diese vorausgehende Meldung zum selben Thema.

Die Ergebnisse zeigen einen nachgerade dramatischen Rückgang der Temperaturen. An der Oberfläche des Containments von Block 3 waren beispielsweise am Sonntag mit dieser Methode 128° Celsius gemessen worden. Am Mittwoch lag die Temperatur dort nur noch bei 35°.

Auch an den Außenwänden der Reaktorgebäude gingen die Temperaturen stark zurück. Für Mittwoch wurde für die vier Blöcke noch "unterhalb von 40°" angegeben; die Werte für heute betragen 13° für Block 1 und Block 2, 11° für Block 3 und 17° für Block 4. Überall seien die Werte erheblich gesunken, heißt es in der Meldung. (Die Blöcke 5 und 6 arbeiten seit Tagen normal, d.h. sie sind im normalen heruntergefahrenen Zustand). Im Reaktorkern von Block 1 betrug die Temperatur am Mittwoch 400°.

(Um diese Werte zu verstehen, muß man sich den Aufbau eines Blocks klarmachen, den ich mit der Analogie der Walnuß in der Schachtel illustriert habe; siehe Besessen von der Kernschmelze. Die seltsame deutsche Reaktion auf die Katastrophe in Japan; ZR vom 12. 3. 2011. Die Temperaturen sind logischerweise im Reaktorkern, an der Oberfläche des Containments und an der Außenwand der Gebäude sehr verschieden).

Ebenfalls gesunken sind die Temperaturen in den Abklingbecken; und auch hier ist die Stärke dieser Änderung bemerkenswert. Am Abklingbecken von Block 3 wurden beispielsweise nur noch 31° gemessen; gestern hatte die Temperatur dort noch 57° betragen.



Auf der "taktischen Ebene" bedeutet dies, daß weniger ionisierende Strahlung abgegeben wird. In der Tat gehen die Strahlenbelastungen zurück; in Tokio beispielsweise ist die Belastung des Trinkwassers so weit gesunken, daß laut einer Meldung von heute 9.12 Uhr (MEZ) die Stadtverwaltung jetzt ihre Empfehlung aufgehoben hat, Kleinkindern und Säuglingen kein Leitungswasser zu geben. Die Belastung ging bereits seit drei Tagen zurück und liegt mit 79 Bq/l jetzt deutlich unter dem Grenzwert für Säuglinge von 100 Bq/l. Dennoch wird die Stadtverwaltung als Vorsichtsmaßnahme am morgigen Freitag, wie schon heute, 240.000 Flaschen mit Trinkwasser an Haushalte mit Säuglingen oder Kleinkindern ausgeben.

Auf der "strategischen Ebene" bedeuten die Erfolge bei der Kühlung, daß eine Katastrophe wie in Tschernobyl, die ohnehin immer sehr unwahrscheinlich gewesen war, noch weiter an Wahrscheinlichkeit verliert.

In der englischen Ausgabe der japanischen Fachzeitschrift Denkin Shimbun, The Electric Daily News, steht heute ein längerer Artikel des Atomwissenschaftlers Michio Ishikawa, Chefberater des Japanischen Instituts für Nukleartechnologie (JANTI). Ishikawa geht ausführlich auf die einzelnen Prozesse ein, die sich in einer Situation wie der jetzigen in den Reaktorkernen abspielen und stützt sich dabei wesentlich auch auf die wissenschaftliche Analyse des Unfalls von Three Mile Island 1979.

Im einzelnen ist das sehr schwer zu verstehen; teils wegen der Fachbegriffe, teils auch wegen des ein wenig seltsamen Englisch des Autors oder des Übersetzers. Das Fazit, zu dem Ishikawa gelangt, ist aber eindeutig: In Fukushima wird es kein zweites Tschernobyl geben.

Er könne, schreibt der Autor, einen solchen Vergleich überhaupt nicht nachvollziehen. Es könne keine vergleichbare Strahlengefahr geben; denn erstens gebe es in den Blöcken von Fukushima keine brennenden Graphitstäbe, und zweitens sei in Fukushima die Temperatur des Kühlwassers auch jetzt im Vergleich zu Tschernobyl niedrig. Deshalb könnten nur radioaktive Substanzen mit einem niedrigen Siedepunkt, wie Edelgase und Jod, in die Atmosphäre gelangen.

Ishikawas Fazit: "The accident at Fukushima is different at all from the Chernobyl accident" - der Unfall in Fukushima sei vollkommen verschieden von dem in Tschernobyl.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette zeigt ein von Tungsten in die Public Domain gestelltes Schema der fünf "Verteidigungslinien", die einen Reaktor schützen. Näheres finden Sie hier.