Die von den Betreuern ... geprüfte Einwilligung der Patientin rechtfertigte nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente. Eine nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten wird dem sachlichen Unterschied zwischen der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung und Verhaltensweisen nicht gerecht, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen.
Aus der heutigen Pressemitteilung 129/2010 des Bundesgerichtshofs (BGH) mit der Überschrift "Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens ist nicht strafbar".
Kommentar: Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor; man wird sie hier finden.
Der Sachverhalt ist in seinen groben Grundzügen seit heute Vormittag im Internet nachzulesen; zum Beispiel bei FAZ.Net, bei "Spiegel-Online" oder bei "Zeit-Online". Allerdings wirklich nur in den Grundzügen:
Eine Frau lag im Wachkoma. Im Jahr 2002 hatte sie gegenüber ihrer Tochter, Elke Gloor, geäußert, daß sie in einem solchen Fall keine lebensverlängernden Maßnahmen wünschte. Sie war aber dennoch fünf Jahre in einem Pflegeheim künstlich ernährt worden.
Ende 2007 wandten sich Frau Gloor und ihr (inzwischen verstorbener) Bruder an den auf Medizinrecht spezialisierten Münchener Rechtsanwalt Wolfgang Putz. Dieser riet zur Beendigung der künstlichen Ernährung gemäß dem Wunsch der Mutter. Das weitere Geschehen wird in den zitierten Berichten sehr verkürzt dargestellt. Hier ist der Wortlaut der Pressemitteilung des BGH:
Frau Gloor wurde freigesprochen, weil sie sich "angesichts des Rechtsrats des Angeklagten [RA Putz] in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und deshalb ohne Schuld gehandelt" habe. Der Rechtsanwalt wurde wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Entscheidend für die Verurteilung war allein das aktive Durchschneiden des Schlauchs gewesen. Die zuvor mit der Heimleitung getroffene Vereinbarung, daß die künstliche Ernährung eingestellt werden sollte und die Geschwister ihre Mutter beim Sterben begleiten würden, hatte das Landgericht ausdrücklich für rechtens erklärt.
Daß die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung angeordnet hatte, wertete das Landgericht Fulda sogar als "rechtswidrigen Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin".
Aber dagegen hätten die Geschwister - so das Landgericht Fulda - eben nicht zur Selbsthilfe schreiten und den Schlauch durchschneiden dürfen. Weil Rechtsanwalt Putz ihnen dazu geraten hatte, wurde er verurteilt.
Der BGH hob nun diesen Teil des Urteils auf, weil er auf der Unterscheidung zwischen Unterlassen - dem Einstellen der Ernährung - und aktivem Tun - dem Durchschneiden des Schlauchs - beruhte.
Bezogen auf den jetzigen Fall ist diese Argumentation schlüssig.
Man hatte mit der Klinikleitung vereinbart, die Mutter sterben zu lassen, indem man die Ernährung einstellte. Die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens hatte das - wie man nun weiß, rechtswidrig - verhindert und den Geschwistern sogar Hausverbot angedroht.
Sie handelten also offensichtlich im Geist der ursprünglichen, rechtlich einwandfreien Vereinbarung, wenn sie sich gegen dieses Eingreifen der Geschäftsleitung wehrten, indem sie den Schlauch durchschnitten. Daß es rechtens sein soll, die Ernährung dadurch zu unterbrechen, daß in den Schlauch keine Nährflüssigkeit mehr eingefüllt wird, daß es hingegen Totschlag sein soll, den Schlauch zum selben Zweck zu entfernen, wäre eine nicht nachvollziehbare Haarspalterei.
Die Tragweite des Urteils wird man wohl aber erst dann kennen, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt.
Es leuchtet ein, daß der BGH sich gegen eine "nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten" wendet. Aber diese Unterscheidung war immerhin bisher ein Fixpunkt; eine Krücke, wenn man so will.
Wenn jetzt aktives Tun dann nicht mehr strafbar ist, wenn es im Dienst der straflosen Sterbehilfe steht - wie grenzt man es dann von dem aktiven Tun ab, das einer strafbaren Tötung des Patienten dient?
Ohne die schriftliche Urteilsbegründung zu kennen, könnte man befürchten, daß der BGH eine fragwürdige Grenzziehung aufgehoben hat, daß aber damit eine nicht minder schwierige Grenzziehung jetzt zu leisten sein wird. Etwas an Äußerlichkeiten festzumachen, ist oft problematisch; aber Äußerlichkeiten kann man wenigstens leicht erkennen.
Aus der heutigen Pressemitteilung 129/2010 des Bundesgerichtshofs (BGH) mit der Überschrift "Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens ist nicht strafbar".
Kommentar: Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor; man wird sie hier finden.
Der Sachverhalt ist in seinen groben Grundzügen seit heute Vormittag im Internet nachzulesen; zum Beispiel bei FAZ.Net, bei "Spiegel-Online" oder bei "Zeit-Online". Allerdings wirklich nur in den Grundzügen:
Eine Frau lag im Wachkoma. Im Jahr 2002 hatte sie gegenüber ihrer Tochter, Elke Gloor, geäußert, daß sie in einem solchen Fall keine lebensverlängernden Maßnahmen wünschte. Sie war aber dennoch fünf Jahre in einem Pflegeheim künstlich ernährt worden.
Ende 2007 wandten sich Frau Gloor und ihr (inzwischen verstorbener) Bruder an den auf Medizinrecht spezialisierten Münchener Rechtsanwalt Wolfgang Putz. Dieser riet zur Beendigung der künstlichen Ernährung gemäß dem Wunsch der Mutter. Das weitere Geschehen wird in den zitierten Berichten sehr verkürzt dargestellt. Hier ist der Wortlaut der Pressemitteilung des BGH:
Entsprechend einem von Frau K. im September 2002 mündlich für einen solchen Fall geäußerten Wunsch bemühten sich die Geschwister, die inzwischen zu Betreuern ihrer Mutter bestellt worden waren, um die Einstellung der künstlichen Ernährung, um ihrer Mutter ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Nach Auseinandersetzungen mit der Heimleitung kam es Ende 2007 zu einem Kompromiss, wonach das Heimpersonal sich nur noch um die Pflegetätigkeiten im engeren Sinne kümmern sollte, während die Kinder der Patientin selbst die Ernährung über die Sonde einstellen, die erforderliche Palliativversorgung durchführen und ihrer Mutter im Sterben beistehen sollten.Sowohl gegen Frau Gloor als auch gegen Rechtsanwalt Putz wurde vor dem Landgericht Fulda Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben.
Nachdem Frau G. am 20.12.2007 die Nahrungszufuhr über die Sonde beendet hatte, wies die Geschäftsleistung des Gesamtunternehmens am 21.12.2007 jedoch die Heimleitung an, die künstliche Ernährung umgehend wieder aufzunehmen. Den Kindern der Frau K. wurde ein Hausverbot für den Fall angedroht, dass sie sich hiermit nicht einverstanden erklären sollten. Darauf erteilte der Angeklagte P. Frau G. am gleichen Tag den Rat, den Schlauch der PEG-Sonde unmittelbar über der Bauchdecke zu durchtrennen.
Frau G. schnitt Minuten später mit Unterstützung ihres Bruders den Schlauch durch. Nachdem das Heimpersonal dies bereits nach einigen weiteren Minuten entdeckt und die Heimleitung die Polizei eingeschaltet hatte, wurde Frau K. auf Anordnung eines Staatsanwalts gegen den Willen ihrer Kinder in ein Krankenhaus gebracht, wo ihr eine neue PEG-Sonde gelegt und die künstliche Ernährung wieder aufgenommen wurde. Sie starb dort zwei Wochen darauf eines natürlichen Todes auf Grund ihrer Erkrankungen.
Frau Gloor wurde freigesprochen, weil sie sich "angesichts des Rechtsrats des Angeklagten [RA Putz] in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und deshalb ohne Schuld gehandelt" habe. Der Rechtsanwalt wurde wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Entscheidend für die Verurteilung war allein das aktive Durchschneiden des Schlauchs gewesen. Die zuvor mit der Heimleitung getroffene Vereinbarung, daß die künstliche Ernährung eingestellt werden sollte und die Geschwister ihre Mutter beim Sterben begleiten würden, hatte das Landgericht ausdrücklich für rechtens erklärt.
Daß die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung angeordnet hatte, wertete das Landgericht Fulda sogar als "rechtswidrigen Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin".
Aber dagegen hätten die Geschwister - so das Landgericht Fulda - eben nicht zur Selbsthilfe schreiten und den Schlauch durchschneiden dürfen. Weil Rechtsanwalt Putz ihnen dazu geraten hatte, wurde er verurteilt.
Der BGH hob nun diesen Teil des Urteils auf, weil er auf der Unterscheidung zwischen Unterlassen - dem Einstellen der Ernährung - und aktivem Tun - dem Durchschneiden des Schlauchs - beruhte.
Bezogen auf den jetzigen Fall ist diese Argumentation schlüssig.
Man hatte mit der Klinikleitung vereinbart, die Mutter sterben zu lassen, indem man die Ernährung einstellte. Die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens hatte das - wie man nun weiß, rechtswidrig - verhindert und den Geschwistern sogar Hausverbot angedroht.
Sie handelten also offensichtlich im Geist der ursprünglichen, rechtlich einwandfreien Vereinbarung, wenn sie sich gegen dieses Eingreifen der Geschäftsleitung wehrten, indem sie den Schlauch durchschnitten. Daß es rechtens sein soll, die Ernährung dadurch zu unterbrechen, daß in den Schlauch keine Nährflüssigkeit mehr eingefüllt wird, daß es hingegen Totschlag sein soll, den Schlauch zum selben Zweck zu entfernen, wäre eine nicht nachvollziehbare Haarspalterei.
Die Tragweite des Urteils wird man wohl aber erst dann kennen, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt.
Es leuchtet ein, daß der BGH sich gegen eine "nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung der straflosen Sterbehilfe vom strafbaren Töten des Patienten" wendet. Aber diese Unterscheidung war immerhin bisher ein Fixpunkt; eine Krücke, wenn man so will.
Wenn jetzt aktives Tun dann nicht mehr strafbar ist, wenn es im Dienst der straflosen Sterbehilfe steht - wie grenzt man es dann von dem aktiven Tun ab, das einer strafbaren Tötung des Patienten dient?
Ohne die schriftliche Urteilsbegründung zu kennen, könnte man befürchten, daß der BGH eine fragwürdige Grenzziehung aufgehoben hat, daß aber damit eine nicht minder schwierige Grenzziehung jetzt zu leisten sein wird. Etwas an Äußerlichkeiten festzumachen, ist oft problematisch; aber Äußerlichkeiten kann man wenigstens leicht erkennen.
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