28. Juni 2010

Marginalie: Das amerikanische Oberste Gericht stärkt die Rechte der Besitzer von Feuerwaffen

Viele Europäer verstehen das nicht oder mögen es gar überhaupt nicht glauben: Das Recht, Feuerwaffen zu tragen, ist in der amerikanischen Verfassung verankert, und zwar durch den Zweiten Verfassungszusatz von 1791; einem Teil des Bill of Rights, der Garantie der Grundrechte.

Gewiß hatte das Tragen von Feuerwaffen damals eine andere Bedeutung als heute; zumal der Verfassungszusatz die Verbindung zur Miliz herstellt ("A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed" - Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staats notwendig ist, darf das Recht des Volks, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht angetastet werden).

Aber so ist das nun einmal in den USA: Die Verfassung ist sakrosankt. Niemand käme auf den Gedanken, die Verfassung einfach durch eine neue zu ersetzen, wie das die Franzosen zum Beispiel 1958 getan haben, oder sie ständig zu ändern, wie wir das mit unserem Grundgesetz machen.

Vor zwei Stunden fand ich in meinem Posteingang eine Eilmeldung der New York Times, die auf diesen Artikel hinwies: Das Oberste Bundesgericht hat entschieden, daß der Zweite Verfassungszusatz nicht nur die Bundesregierung in Washington bindet, sondern ebenso die gesetzgebenden Körperschaften auf den anderen Ebenen, bis hinunter zu den Kommunen.

Es ging um eine Klage gegen die Stadt Chicago, die den privaten Besitz und das Tragen von Waffen im Innenstadtbereich und in dem Vorort Oak Park grundsätzlich untersagt; und zwar durch eine Verordnung, die schon seit knapp dreißig Jahren besteht. Sie muß jetzt geändert werden. Allerdings ist der Spruch der Richter des Obersten Gerichts noch nicht unmittelbar wirksam; der Fall geht jetzt an ein lokales Bundesgericht, das auf der Grundlage der Entscheidung des Supreme Court urteilen wird.



Das Recht eines US-Bürgers auf das Tragen von Waffen stößt bei vielen Europäern nicht nur auf Unverständnis, sondern in den einschlägigen Diskussionen ist oft Empörung zu verspüren. Man erregt sich gegen diese Freiheit der Amerikaner, so als sei sie etwas Verwerfliches, Unzivilisiertes.

Ich kann das nicht nachvollziehen. Auch in Europa kann sich jeder Kriminelle, wenn er das will, auf dem Schwarzen Markt eine Feuerwaffe besorgen. Der gesetzestreue Bürger aber kann das legal nur in sehr eingeschränkten Fällen. Nicht die Kriminellen werden durch unser striktes Waffenrecht benachteiligt, sondern die Nichtkriminellen.

Ob das Recht gesetzestreuer Bürger, in der Öffentlichkeit Waffen zu tragen, die Kriminalität begünstigt oder ihr entgegenwirkt, ist eine empirische Frage, keine grundsätzliche. Ob der Staat das Recht hat, dem friedlichen, gesetzestreuen Bürger den Selbstschutz mittels einer Feuerwaffe zu verbieten, ist freilich eine grundsätzliche Frage.

Ich sehe keine Erwägungen, die von vornherein gegen die amerikanische Verfassung und zugunsten derer sprechen würden, die sich gegen sie ereifern.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.